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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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wandtschaft und Vertauschung der Flamme und des
schimmernden Glases liegt sehr nah. -- Der Schlaf-
trunk, vor dem sie ihn warnt und der ihn überwäl-
tigt, ist der Vergessenstrank der nordischen
Grimhild.

Eine Annäherung zu den drei Raben I. 25. ist
sichtbar und doch dieses Märchen neu. In einem
der Braunschweiger Sammlung, das sonst ganz an-
ders ist, kommt S. 226. ff. vor, wie die Verwünschte
dreimal vorbei fährt und der Ritter, der zu ihrer
Erlösung wachen soll, weil er aus einer Quelle ge-
trunken, an einer Blume gerochen oder einen Apfel
genossen, eingeschlafen ist: sie legt ihm jedesmal ein
Geschenk zur Seite, ihr Bild, eine Bürste, die Geld
schafft und ein Schwert mit der Inschrift: "folge
mir." Auch ist die Farbe ihrer Pferde jedesmal, wie
hier, verschieden. Uebrigens beweist diese Recension
den näheren Zusammenhang mit dem vorangehenden
Märchen vom goldenen Berg, denn der Ritter hat
auch vorher die verzauberte aus ihrer Schlangenge-
stalt durch Schweigen bei furchtbaren Gespenstern
erlöst. -- Ueber das Kundgeben durch das Werfen
des Rings in den Weinbecher vgl. Hildebrands Lied.
S. 79.

8.
Die kluge Bauerntochter.

(Aus Zwehrn.) Hier hat sich deutliche Spur der
alten Sage von Aslaug, Tochter Brynhilds und
Sigurds erhalten. Wiewohl eine königlich ge-
borne
, die durch Unglück in die Hände von Bauern
gerathen ist, nicht ausdrücklich genannt, zeigt sich
doch klar dasselbe Verhältniß. Sie ist über ihren
Stand und ihre Eltern weise und der König wird wie
Ragnar auf Kraka (so heißt Aslaug als Bäuerin)
durch ihre Klugheit aufmerksam gemacht. Um
sie zu prüfen, legt er ihr gleichfalls ein Räthsel
vor, das sie durch ihren Scharfsinn glücklich und
rasch löst. Der Inhalt des Räthsels selber stimmt
nah zusammen und es sind nur verschiedene Aeuße-
rungen desselben Gedankens. Der nord. König ver-
langt von Kraka (Ragnar Lodbroks S. Cap. 4.), sie

wandtſchaft und Vertauſchung der Flamme und des
ſchimmernden Glaſes liegt ſehr nah. — Der Schlaf-
trunk, vor dem ſie ihn warnt und der ihn uͤberwaͤl-
tigt, iſt der Vergeſſenstrank der nordiſchen
Grimhild.

Eine Annaͤherung zu den drei Raben I. 25. iſt
ſichtbar und doch dieſes Maͤrchen neu. In einem
der Braunſchweiger Sammlung, das ſonſt ganz an-
ders iſt, kommt S. 226. ff. vor, wie die Verwuͤnſchte
dreimal vorbei faͤhrt und der Ritter, der zu ihrer
Erloͤſung wachen ſoll, weil er aus einer Quelle ge-
trunken, an einer Blume gerochen oder einen Apfel
genoſſen, eingeſchlafen iſt: ſie legt ihm jedesmal ein
Geſchenk zur Seite, ihr Bild, eine Buͤrſte, die Geld
ſchafft und ein Schwert mit der Inſchrift: „folge
mir.“ Auch iſt die Farbe ihrer Pferde jedesmal, wie
hier, verſchieden. Uebrigens beweiſt dieſe Recenſion
den naͤheren Zuſammenhang mit dem vorangehenden
Maͤrchen vom goldenen Berg, denn der Ritter hat
auch vorher die verzauberte aus ihrer Schlangenge-
ſtalt durch Schweigen bei furchtbaren Geſpenſtern
erloͤſt. — Ueber das Kundgeben durch das Werfen
des Rings in den Weinbecher vgl. Hildebrands Lied.
S. 79.

8.
Die kluge Bauerntochter.

(Aus Zwehrn.) Hier hat ſich deutliche Spur der
alten Sage von Aslaug, Tochter Brynhilds und
Sigurds erhalten. Wiewohl eine koͤniglich ge-
borne
, die durch Ungluͤck in die Haͤnde von Bauern
gerathen iſt, nicht ausdruͤcklich genannt, zeigt ſich
doch klar daſſelbe Verhaͤltniß. Sie iſt uͤber ihren
Stand und ihre Eltern weiſe und der Koͤnig wird wie
Ragnar auf Kraka (ſo heißt Aslaug als Baͤuerin)
durch ihre Klugheit aufmerkſam gemacht. Um
ſie zu pruͤfen, legt er ihr gleichfalls ein Raͤthſel
vor, das ſie durch ihren Scharfſinn gluͤcklich und
raſch loͤſt. Der Inhalt des Raͤthſels ſelber ſtimmt
nah zuſammen und es ſind nur verſchiedene Aeuße-
rungen deſſelben Gedankens. Der nord. Koͤnig ver-
langt von Kraka (Ragnar Lodbroks S. Cap. 4.), ſie

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[XIV/0333] wandtſchaft und Vertauſchung der Flamme und des ſchimmernden Glaſes liegt ſehr nah. — Der Schlaf- trunk, vor dem ſie ihn warnt und der ihn uͤberwaͤl- tigt, iſt der Vergeſſenstrank der nordiſchen Grimhild. Eine Annaͤherung zu den drei Raben I. 25. iſt ſichtbar und doch dieſes Maͤrchen neu. In einem der Braunſchweiger Sammlung, das ſonſt ganz an- ders iſt, kommt S. 226. ff. vor, wie die Verwuͤnſchte dreimal vorbei faͤhrt und der Ritter, der zu ihrer Erloͤſung wachen ſoll, weil er aus einer Quelle ge- trunken, an einer Blume gerochen oder einen Apfel genoſſen, eingeſchlafen iſt: ſie legt ihm jedesmal ein Geſchenk zur Seite, ihr Bild, eine Buͤrſte, die Geld ſchafft und ein Schwert mit der Inſchrift: „folge mir.“ Auch iſt die Farbe ihrer Pferde jedesmal, wie hier, verſchieden. Uebrigens beweiſt dieſe Recenſion den naͤheren Zuſammenhang mit dem vorangehenden Maͤrchen vom goldenen Berg, denn der Ritter hat auch vorher die verzauberte aus ihrer Schlangenge- ſtalt durch Schweigen bei furchtbaren Geſpenſtern erloͤſt. — Ueber das Kundgeben durch das Werfen des Rings in den Weinbecher vgl. Hildebrands Lied. S. 79. 8. Die kluge Bauerntochter. (Aus Zwehrn.) Hier hat ſich deutliche Spur der alten Sage von Aslaug, Tochter Brynhilds und Sigurds erhalten. Wiewohl eine koͤniglich ge- borne, die durch Ungluͤck in die Haͤnde von Bauern gerathen iſt, nicht ausdruͤcklich genannt, zeigt ſich doch klar daſſelbe Verhaͤltniß. Sie iſt uͤber ihren Stand und ihre Eltern weiſe und der Koͤnig wird wie Ragnar auf Kraka (ſo heißt Aslaug als Baͤuerin) durch ihre Klugheit aufmerkſam gemacht. Um ſie zu pruͤfen, legt er ihr gleichfalls ein Raͤthſel vor, das ſie durch ihren Scharfſinn gluͤcklich und raſch loͤſt. Der Inhalt des Raͤthſels ſelber ſtimmt nah zuſammen und es ſind nur verſchiedene Aeuße- rungen deſſelben Gedankens. Der nord. Koͤnig ver- langt von Kraka (Ragnar Lodbroks S. Cap. 4.), ſie

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/333>, abgerufen am 18.04.2024.