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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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könnte er nicht ruhen, wär' er nicht stark genug,
euch hinüber zu tragen, und wenn du es vergißt,
wirft er euch ins Meer hinunter."

Da ging sie hin und fand alles, wie der
Nachtwind gesagt hatte und schnitt die eilfte Ru-
the ab, damit schlug sie den Lindwurm, alsbald
bezwang ihn der Löwe und da hatten beide ihren
menschlichen Leib wieder. Und wie sich die Prin-
zessin, die vorher ein Lindwurm gewesen war, frei
sah, nahm sie den Prinzen in den Arm, setzte sich
auf den Vogel Greif und führte ihn mit sich fort.
Also stand die arme, weitgewanderte und war
wieder verlassen, sie sprach aber: "ich will noch
so weit gehen als der Wind weht und so lang als
der Hahn kräht, bis ich ihn finde." Und ging
fort, lange lange Wege, bis sie endlich zu dem
Schloß kam, wo beide zusammen lebten, da hörte
sie daß bald ein Fest wäre, wo sie Hochzeit mit
einander machen wollten. Sie sprach aber, Gott
hilft mir doch noch, und nahm das Schächtelchen,
das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid
darin, so glänzend, wie die Sonne selber. Da
nahm sie es heraus und zog es an und ging hinauf
in das Schloß und alle Leute sahen sie an und die
Braut selber; und das Kleid gefiel ihr so gut,
daß sie dachte, es könnte ihr Hochzeitkleid ge-
ben und fragte, ob es nicht feil wäre? "Nicht
für Geld und Gut, sagte sie, aber für Fleisch und

koͤnnte er nicht ruhen, waͤr’ er nicht ſtark genug,
euch hinuͤber zu tragen, und wenn du es vergißt,
wirft er euch ins Meer hinunter.“

Da ging ſie hin und fand alles, wie der
Nachtwind geſagt hatte und ſchnitt die eilfte Ru-
the ab, damit ſchlug ſie den Lindwurm, alsbald
bezwang ihn der Loͤwe und da hatten beide ihren
menſchlichen Leib wieder. Und wie ſich die Prin-
zeſſin, die vorher ein Lindwurm geweſen war, frei
ſah, nahm ſie den Prinzen in den Arm, ſetzte ſich
auf den Vogel Greif und fuͤhrte ihn mit ſich fort.
Alſo ſtand die arme, weitgewanderte und war
wieder verlaſſen, ſie ſprach aber: „ich will noch
ſo weit gehen als der Wind weht und ſo lang als
der Hahn kraͤht, bis ich ihn finde.“ Und ging
fort, lange lange Wege, bis ſie endlich zu dem
Schloß kam, wo beide zuſammen lebten, da hoͤrte
ſie daß bald ein Feſt waͤre, wo ſie Hochzeit mit
einander machen wollten. Sie ſprach aber, Gott
hilft mir doch noch, und nahm das Schaͤchtelchen,
das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid
darin, ſo glaͤnzend, wie die Sonne ſelber. Da
nahm ſie es heraus und zog es an und ging hinauf
in das Schloß und alle Leute ſahen ſie an und die
Braut ſelber; und das Kleid gefiel ihr ſo gut,
daß ſie dachte, es koͤnnte ihr Hochzeitkleid ge-
ben und fragte, ob es nicht feil waͤre? „Nicht
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[13/0034] koͤnnte er nicht ruhen, waͤr’ er nicht ſtark genug, euch hinuͤber zu tragen, und wenn du es vergißt, wirft er euch ins Meer hinunter.“ Da ging ſie hin und fand alles, wie der Nachtwind geſagt hatte und ſchnitt die eilfte Ru- the ab, damit ſchlug ſie den Lindwurm, alsbald bezwang ihn der Loͤwe und da hatten beide ihren menſchlichen Leib wieder. Und wie ſich die Prin- zeſſin, die vorher ein Lindwurm geweſen war, frei ſah, nahm ſie den Prinzen in den Arm, ſetzte ſich auf den Vogel Greif und fuͤhrte ihn mit ſich fort. Alſo ſtand die arme, weitgewanderte und war wieder verlaſſen, ſie ſprach aber: „ich will noch ſo weit gehen als der Wind weht und ſo lang als der Hahn kraͤht, bis ich ihn finde.“ Und ging fort, lange lange Wege, bis ſie endlich zu dem Schloß kam, wo beide zuſammen lebten, da hoͤrte ſie daß bald ein Feſt waͤre, wo ſie Hochzeit mit einander machen wollten. Sie ſprach aber, Gott hilft mir doch noch, und nahm das Schaͤchtelchen, das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid darin, ſo glaͤnzend, wie die Sonne ſelber. Da nahm ſie es heraus und zog es an und ging hinauf in das Schloß und alle Leute ſahen ſie an und die Braut ſelber; und das Kleid gefiel ihr ſo gut, daß ſie dachte, es koͤnnte ihr Hochzeitkleid ge- ben und fragte, ob es nicht feil waͤre? „Nicht fuͤr Geld und Gut, ſagte ſie, aber fuͤr Fleiſch und

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/34>, abgerufen am 25.04.2024.