Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
130.
Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein.

Es war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß die älteste Einäuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste Zweiäuglein, weil sie zwei Augen hatte wie andere Menschen, und die jüngste Dreiäuglein weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm 'du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehörst nicht zu uns;' und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie übrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.

Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hüten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Bächlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die

130.
Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein.

Es war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß die älteste Einäuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste Zweiäuglein, weil sie zwei Augen hatte wie andere Menschen, und die jüngste Dreiäuglein weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm ‘du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehörst nicht zu uns;’ und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie übrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.

Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hüten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Bächlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0256" n="235"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">130.<lb/>
Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß die älteste <hi rendition="#g">Einäuglein</hi>, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste <hi rendition="#g">Zweiäuglein</hi>, weil sie zwei Augen hatte wie andere Menschen, und die jüngste <hi rendition="#g">Dreiäuglein</hi> weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm &#x2018;du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehörst nicht zu uns;&#x2019; und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie übrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten.</p><lb/>
        <p>Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hüten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Bächlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0256] 130. Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein. Es war eine Frau, die hatte drei Töchter, davon hieß die älteste Einäuglein, weil sie nur ein einziges Auge mitten auf der Stirn hatte, und die mittelste Zweiäuglein, weil sie zwei Augen hatte wie andere Menschen, und die jüngste Dreiäuglein weil sie drei Augen hatte, und das dritte stand bei ihr gleichfalls mitten auf der Stirne. Darum aber, daß Zweiäuglein nicht anders aussah, als andere Menschenkinder, konnten es die Schwestern und die Mutter nicht leiden, und sie sprachen zu ihm ‘du siehst mit deinen zwei Augen nicht besser aus als das gemeine Volk, du gehörst nicht zu uns;’ und stießen es herum, und warfen ihm schlechte alte Kleider hin, und gaben ihm nicht mehr zu essen als was sie übrig ließen, und thaten ihm Herzeleid an, wo sie nur konnten. Es trug sich zu, daß Zweiäuglein hinaus ins Feld gehen und die Ziege hüten mußte, und noch ganz hungrig war, weil ihm seine Schwestern so wenig zu essen gegeben hatten. Da setzte es sich auf einen Rain, und fieng an zu weinen, und so zu weinen, daß zwei Bächlein aus seinen Augen herabflossen. Und wie es einmal aufsah, stand eine Frau neben ihm, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-27T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/256
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/256>, abgerufen am 18.04.2024.