Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

und hier ist, Gott sei Dank, alles vollkommen, und nichts zu tadeln, wie auf Erden.' Er trat also ein, und gieng in den weiten Räumen des Himmels auf und ab, sah sich nach allen Seiten um, schüttelte aber zuweilen mit dem Kopf oder brummte etwas vor sich hin. Indem erblickte er zwei Engel die einen Balken wegtrugen. Es war der Balken, den einer im Auge gehabt hatte, während er nach dem Splitter in den Augen anderer suchte. Sie trugen aber den Balken nicht der Länge nach, sondern queer. 'Hat man je einen solchen Unverstand gesehen?' dachte Meister Pfriem; doch schwieg er und gab sich zufrieden: 'es ist im Grunde einerlei, wie man den Balken trägt, gerade aus oder queer, wenn man nur damit durchkommt, und wahrhaftig ich sehe sie stoßen nirgend an.' Bald hernach erblickte er zwei Engel, welche Wasser aus einem Brunnen in ein Faß schöpften, zugleich bemerkte er daß das Faß durchlöchert war, und das Wasser von allen Seiten herauslief. 'Alle Hagel!' platzte er heraus, besann sich aber glücklicherweise, und dachte 'vielleicht ists bloßer Zeitvertreib; machts einem Spaß, so kann man dergleichen unnütze Dinge thun, zumal hier im Himmel, wo man, wie ich schon bemerkt habe, doch nur faullenzt.' Er gieng weiter, und sah einen Wagen, der in einem tiefen Loch stecken geblieben war. 'Kein Wunder,' sprach er zu dem Mann, der dabei stand, 'wer wird so unvernünftig aufladen? was habt ihr da?' 'Fromme Wünsche,' antwortete der Mann, 'ich konnte damit nicht auf den rechten Weg kommen, aber ich habe den Wagen noch glücklich herauf geschoben, und hier werden sie mich nicht stecken lassen.' Wirklich kam ein Engel, und spannte zwei

und hier ist, Gott sei Dank, alles vollkommen, und nichts zu tadeln, wie auf Erden.’ Er trat also ein, und gieng in den weiten Räumen des Himmels auf und ab, sah sich nach allen Seiten um, schüttelte aber zuweilen mit dem Kopf oder brummte etwas vor sich hin. Indem erblickte er zwei Engel die einen Balken wegtrugen. Es war der Balken, den einer im Auge gehabt hatte, während er nach dem Splitter in den Augen anderer suchte. Sie trugen aber den Balken nicht der Länge nach, sondern queer. ‘Hat man je einen solchen Unverstand gesehen?’ dachte Meister Pfriem; doch schwieg er und gab sich zufrieden: ‘es ist im Grunde einerlei, wie man den Balken trägt, gerade aus oder queer, wenn man nur damit durchkommt, und wahrhaftig ich sehe sie stoßen nirgend an.’ Bald hernach erblickte er zwei Engel, welche Wasser aus einem Brunnen in ein Faß schöpften, zugleich bemerkte er daß das Faß durchlöchert war, und das Wasser von allen Seiten herauslief. ‘Alle Hagel!’ platzte er heraus, besann sich aber glücklicherweise, und dachte ‘vielleicht ists bloßer Zeitvertreib; machts einem Spaß, so kann man dergleichen unnütze Dinge thun, zumal hier im Himmel, wo man, wie ich schon bemerkt habe, doch nur faullenzt.’ Er gieng weiter, und sah einen Wagen, der in einem tiefen Loch stecken geblieben war. ‘Kein Wunder,’ sprach er zu dem Mann, der dabei stand, ‘wer wird so unvernünftig aufladen? was habt ihr da?’ ‘Fromme Wünsche,’ antwortete der Mann, ‘ich konnte damit nicht auf den rechten Weg kommen, aber ich habe den Wagen noch glücklich herauf geschoben, und hier werden sie mich nicht stecken lassen.’ Wirklich kam ein Engel, und spannte zwei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0416" n="406"/>
und hier ist, Gott sei Dank, alles vollkommen, und nichts zu tadeln, wie auf Erden.&#x2019; Er trat also ein, und gieng in den weiten Räumen des Himmels auf und ab, sah sich nach allen Seiten um, schüttelte aber zuweilen mit dem Kopf oder brummte etwas vor sich hin. Indem erblickte er zwei Engel die einen Balken wegtrugen. Es war der Balken, den einer im Auge gehabt hatte, während er nach dem Splitter in den Augen anderer suchte. Sie trugen aber den Balken nicht der Länge nach, sondern queer. &#x2018;Hat man je einen solchen Unverstand gesehen?&#x2019; dachte Meister Pfriem; doch schwieg er und gab sich zufrieden: &#x2018;es ist im Grunde einerlei, wie man den Balken trägt, gerade aus oder queer, wenn man nur damit durchkommt, und wahrhaftig ich sehe sie stoßen nirgend an.&#x2019; Bald hernach erblickte er zwei Engel, welche Wasser aus einem Brunnen in ein Faß schöpften, zugleich bemerkte er daß das Faß durchlöchert war, und das Wasser von allen Seiten herauslief. &#x2018;Alle Hagel!&#x2019; platzte er heraus, besann sich aber glücklicherweise, und dachte &#x2018;vielleicht ists bloßer Zeitvertreib; machts einem Spaß, so kann man dergleichen unnütze Dinge thun, zumal hier im Himmel, wo man, wie ich schon bemerkt habe, doch nur faullenzt.&#x2019; Er gieng weiter, und sah einen Wagen, der in einem tiefen Loch stecken geblieben war. &#x2018;Kein Wunder,&#x2019; sprach er zu dem Mann, der dabei stand, &#x2018;wer wird so unvernünftig aufladen? was habt ihr da?&#x2019; &#x2018;Fromme Wünsche,&#x2019; antwortete der Mann, &#x2018;ich konnte damit nicht auf den rechten Weg kommen, aber ich habe den Wagen noch glücklich herauf geschoben, und hier werden sie mich nicht stecken lassen.&#x2019; Wirklich kam ein Engel, und spannte zwei
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0416] und hier ist, Gott sei Dank, alles vollkommen, und nichts zu tadeln, wie auf Erden.’ Er trat also ein, und gieng in den weiten Räumen des Himmels auf und ab, sah sich nach allen Seiten um, schüttelte aber zuweilen mit dem Kopf oder brummte etwas vor sich hin. Indem erblickte er zwei Engel die einen Balken wegtrugen. Es war der Balken, den einer im Auge gehabt hatte, während er nach dem Splitter in den Augen anderer suchte. Sie trugen aber den Balken nicht der Länge nach, sondern queer. ‘Hat man je einen solchen Unverstand gesehen?’ dachte Meister Pfriem; doch schwieg er und gab sich zufrieden: ‘es ist im Grunde einerlei, wie man den Balken trägt, gerade aus oder queer, wenn man nur damit durchkommt, und wahrhaftig ich sehe sie stoßen nirgend an.’ Bald hernach erblickte er zwei Engel, welche Wasser aus einem Brunnen in ein Faß schöpften, zugleich bemerkte er daß das Faß durchlöchert war, und das Wasser von allen Seiten herauslief. ‘Alle Hagel!’ platzte er heraus, besann sich aber glücklicherweise, und dachte ‘vielleicht ists bloßer Zeitvertreib; machts einem Spaß, so kann man dergleichen unnütze Dinge thun, zumal hier im Himmel, wo man, wie ich schon bemerkt habe, doch nur faullenzt.’ Er gieng weiter, und sah einen Wagen, der in einem tiefen Loch stecken geblieben war. ‘Kein Wunder,’ sprach er zu dem Mann, der dabei stand, ‘wer wird so unvernünftig aufladen? was habt ihr da?’ ‘Fromme Wünsche,’ antwortete der Mann, ‘ich konnte damit nicht auf den rechten Weg kommen, aber ich habe den Wagen noch glücklich herauf geschoben, und hier werden sie mich nicht stecken lassen.’ Wirklich kam ein Engel, und spannte zwei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/416
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/416>, abgerufen am 20.04.2024.