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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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genau 2. 238., wie bei den letzten M. S. Desgl. Conrads abge-
spitzter Ton von 21 Reimen, Maneße 2. 202. (Aspis ein Wurm etc.)
Ich gestehe, daß es schwierig hält, die dem Wolfram zugeschriebe-
nen aufzudecken, am wenigsten unter den Paar Liedern von ihm
selbst. Daß er die Hönweis 96) erfunden, ist mir sogar unwahr-
scheinlich, indem ihm schwerlich die Auflösung des Heldenbuchs zu-
geschrieben werden darf. Die Reime des verguldten Tones
sind so in manchen Liedern, (1. 12. ich clage nicht etc. -- 1. 22.
mir was wie etc. -- 1. 153. swer minekliche etc. -- 1. 159. in
diesem nuwen etc. -- 2. 22. sich froeit etc. -- 2. 49. achtent
wie etc.), allein Silben und anderes variirt beständig. Der
Flamweis ist ähnlich 1. 186. ob allen tugenden etc. -- 2. 166.
merkent an etc. -- 2. 220. ze rome etc. -- 221. geliuckes rat etc.
aber dennoch welche Verschiedenheiten. Wären nicht Silben
und Reimgeschlecht, so könnte man des Canzlers erstes Lied
(2. 238.) und ein anderes (2. 244. so wol dir hoh etc.) für den
guldenen Ton halten (der sonderbar mit dem blauen Regen-
bogens zusammenfällt, so wie Walters Creuz- mit Frauen-
lobs Ritterweis) und mit dem Bauwerk des langen hat
Aehnlichkeit Misners: swen uns das alter etc. (2. 157.) Ich
glaube also nicht, daß man eines der letztangeführten ähnlichen
Lieder für eine Nachbildung der genannten Töne halten darf,
eben weil dazumal Nachbildungen selten. Die Beispiele haben
ihr Interesse, weil sie die bewähren, wie die Abweichung oft
nur an kleinen Zügen hängt; ein Verzeichniß der Meistertöne,
das bloß die Reime zählte und ihre Verschlingungen angäbe,
wäre eine höchst unvollkommene Arbeit. Außerdem zeigen sie,
daß der Totaleindruck der Form alter Minnelieder durchaus
einerlei mit dem späteren Meistergesange ist.

Wo das Wesen in künstlicher Form liegt, wie im Meister-
gesang, ist es ganz in der Ordnung, daß auf die Eigenthüm-
lichkeit erfundener Form gehalten wird, und von jeher scheint

96) Höhen, hohe Weis? oder spöttische?

genau 2. 238., wie bei den letzten M. S. Desgl. Conrads abge-
ſpitzter Ton von 21 Reimen, Maneße 2. 202. (Aſpis ein Wurm ꝛc.)
Ich geſtehe, daß es ſchwierig haͤlt, die dem Wolfram zugeſchriebe-
nen aufzudecken, am wenigſten unter den Paar Liedern von ihm
ſelbſt. Daß er die Hoͤnweis 96) erfunden, iſt mir ſogar unwahr-
ſcheinlich, indem ihm ſchwerlich die Aufloͤſung des Heldenbuchs zu-
geſchrieben werden darf. Die Reime des verguldten Tones
ſind ſo in manchen Liedern, (1. 12. ich clage nicht ꝛc. — 1. 22.
mir was wie ꝛc. — 1. 153. ſwer minekliche ꝛc. — 1. 159. in
dieſem nuwen ꝛc. — 2. 22. ſich froeit ꝛc. — 2. 49. achtent
wie ꝛc.), allein Silben und anderes variirt beſtaͤndig. Der
Flamweis iſt aͤhnlich 1. 186. ob allen tugenden ꝛc. — 2. 166.
merkent an ꝛc. — 2. 220. ze rome ꝛc. — 221. geliuckes rat ꝛc.
aber dennoch welche Verſchiedenheiten. Waͤren nicht Silben
und Reimgeſchlecht, ſo koͤnnte man des Canzlers erſtes Lied
(2. 238.) und ein anderes (2. 244. ſo wol dir hoh ꝛc.) fuͤr den
guldenen Ton halten (der ſonderbar mit dem blauen Regen-
bogens zuſammenfaͤllt, ſo wie Walters Creuz- mit Frauen-
lobs Ritterweis) und mit dem Bauwerk des langen hat
Aehnlichkeit Misners: ſwen uns das alter ꝛc. (2. 157.) Ich
glaube alſo nicht, daß man eines der letztangefuͤhrten aͤhnlichen
Lieder fuͤr eine Nachbildung der genannten Toͤne halten darf,
eben weil dazumal Nachbildungen ſelten. Die Beiſpiele haben
ihr Intereſſe, weil ſie die bewaͤhren, wie die Abweichung oft
nur an kleinen Zuͤgen haͤngt; ein Verzeichniß der Meiſtertoͤne,
das bloß die Reime zaͤhlte und ihre Verſchlingungen angaͤbe,
waͤre eine hoͤchſt unvollkommene Arbeit. Außerdem zeigen ſie,
daß der Totaleindruck der Form alter Minnelieder durchaus
einerlei mit dem ſpaͤteren Meiſtergeſange iſt.

Wo das Weſen in kuͤnſtlicher Form liegt, wie im Meiſter-
geſang, iſt es ganz in der Ordnung, daß auf die Eigenthuͤm-
lichkeit erfundener Form gehalten wird, und von jeher ſcheint

96) Hoͤhen, hohe Weis? oder ſpoͤttiſche?
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[110/0120] genau 2. 238., wie bei den letzten M. S. Desgl. Conrads abge- ſpitzter Ton von 21 Reimen, Maneße 2. 202. (Aſpis ein Wurm ꝛc.) Ich geſtehe, daß es ſchwierig haͤlt, die dem Wolfram zugeſchriebe- nen aufzudecken, am wenigſten unter den Paar Liedern von ihm ſelbſt. Daß er die Hoͤnweis 96) erfunden, iſt mir ſogar unwahr- ſcheinlich, indem ihm ſchwerlich die Aufloͤſung des Heldenbuchs zu- geſchrieben werden darf. Die Reime des verguldten Tones ſind ſo in manchen Liedern, (1. 12. ich clage nicht ꝛc. — 1. 22. mir was wie ꝛc. — 1. 153. ſwer minekliche ꝛc. — 1. 159. in dieſem nuwen ꝛc. — 2. 22. ſich froeit ꝛc. — 2. 49. achtent wie ꝛc.), allein Silben und anderes variirt beſtaͤndig. Der Flamweis iſt aͤhnlich 1. 186. ob allen tugenden ꝛc. — 2. 166. merkent an ꝛc. — 2. 220. ze rome ꝛc. — 221. geliuckes rat ꝛc. aber dennoch welche Verſchiedenheiten. Waͤren nicht Silben und Reimgeſchlecht, ſo koͤnnte man des Canzlers erſtes Lied (2. 238.) und ein anderes (2. 244. ſo wol dir hoh ꝛc.) fuͤr den guldenen Ton halten (der ſonderbar mit dem blauen Regen- bogens zuſammenfaͤllt, ſo wie Walters Creuz- mit Frauen- lobs Ritterweis) und mit dem Bauwerk des langen hat Aehnlichkeit Misners: ſwen uns das alter ꝛc. (2. 157.) Ich glaube alſo nicht, daß man eines der letztangefuͤhrten aͤhnlichen Lieder fuͤr eine Nachbildung der genannten Toͤne halten darf, eben weil dazumal Nachbildungen ſelten. Die Beiſpiele haben ihr Intereſſe, weil ſie die bewaͤhren, wie die Abweichung oft nur an kleinen Zuͤgen haͤngt; ein Verzeichniß der Meiſtertoͤne, das bloß die Reime zaͤhlte und ihre Verſchlingungen angaͤbe, waͤre eine hoͤchſt unvollkommene Arbeit. Außerdem zeigen ſie, daß der Totaleindruck der Form alter Minnelieder durchaus einerlei mit dem ſpaͤteren Meiſtergeſange iſt. Wo das Weſen in kuͤnſtlicher Form liegt, wie im Meiſter- geſang, iſt es ganz in der Ordnung, daß auf die Eigenthuͤm- lichkeit erfundener Form gehalten wird, und von jeher ſcheint 96) Hoͤhen, hohe Weis? oder ſpoͤttiſche?

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/120>, abgerufen am 25.04.2024.