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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Im vierzehnten Jahrhundert blüht er zu Mainz, Straß-
burg, Colmar, Frankfurt 114), Wirzburg, Zwickau, Prag.
Im funfzehnten zu Nürnberg, Augsburg 115). Im sechszehn-
ten zu Regensburg, Ulm, München, Steiermark, Mähren,
(Iglau), Breslau, Görliz bis nach Danzig. Im siebenzehnten
zu Memmingen, Basel, Dünkelsspiel. So unvollständig diese
Angaben ausfallen, (an manchen Oertern mag er auch früher
oder später in Aufnahme gewesen seyn, länger oder kürzer be-
standen haben), so beweisen sie unleugbar im Allgemeinen. Die
Sitte des Gesangs blieb im Lande, wo sie zuerst entsprungen,
und da schlug sie ihren Sitz auf, wo die Bürgerschaft am
freiesten, kräftigsten wohnte, also in den südlichen Reichestädten.
Den Einwohnern der nördlich gelegenen fiel etwas, wovon sie
niemals gesehen noch gehört, nicht in Gedanken. Alles was
die Wanderungen der Handwerker, die aus dem Süden kamen,
oder aus dem Norden in jenen gezogen, bewirkten, war, ein-
zelne Liebhaber ihrem Gesang zu erwecken. Diese einzelnen
Ausnahmen aber genauer zu verfolgen, fehlt es an guten Nach-
weisungen. So findet man Spuren, daß sich in Hessen Mei-
stersinger aufgehalten 116), so mag auch der bekannte Valen-
tin Vogt, ein Magdeburger, seine Kunst aus Nürnberg oder
Augsburg mitgebracht und für sich allein getrieben haben.
Denn an Schulen, worauf es hier jetzt ankommt, ist bei sol-
chen Fällen nicht zu denken. Man zeige mir Meistersängerschu-
len in Sachsen 117), Niedersachsen, Westphalen, Pommern,
Meklenburg, Brandenburg u. a. m.


114) Herr Pfarrer Kirchner zu Frankfurt hat in den Archiven dieser
Stadt nichts auffinden können, was über den alten Meisterge-
sang daselbst Licht geben könnte.
115) Beischlag will aber sehr unwahrscheinlich erst vom Anfang des
16ten die Meistersänger in Augsburg gelten lassen.
116) Conf. Simplicissimus (Nürnb. 1713.) 1. 128.
117) Wiedeburg 152. nennt einen Otmar Wetter aus Dresden. Die
Rachricht einiger, daß Luther ein Meistersänger gewesen, grün-
J

Im vierzehnten Jahrhundert bluͤht er zu Mainz, Straß-
burg, Colmar, Frankfurt 114), Wirzburg, Zwickau, Prag.
Im funfzehnten zu Nuͤrnberg, Augsburg 115). Im ſechszehn-
ten zu Regensburg, Ulm, Muͤnchen, Steiermark, Maͤhren,
(Iglau), Breslau, Goͤrliz bis nach Danzig. Im ſiebenzehnten
zu Memmingen, Baſel, Duͤnkelsſpiel. So unvollſtaͤndig dieſe
Angaben ausfallen, (an manchen Oertern mag er auch fruͤher
oder ſpaͤter in Aufnahme geweſen ſeyn, laͤnger oder kuͤrzer be-
ſtanden haben), ſo beweiſen ſie unleugbar im Allgemeinen. Die
Sitte des Geſangs blieb im Lande, wo ſie zuerſt entſprungen,
und da ſchlug ſie ihren Sitz auf, wo die Buͤrgerſchaft am
freieſten, kraͤftigſten wohnte, alſo in den ſuͤdlichen Reicheſtaͤdten.
Den Einwohnern der noͤrdlich gelegenen fiel etwas, wovon ſie
niemals geſehen noch gehoͤrt, nicht in Gedanken. Alles was
die Wanderungen der Handwerker, die aus dem Suͤden kamen,
oder aus dem Norden in jenen gezogen, bewirkten, war, ein-
zelne Liebhaber ihrem Geſang zu erwecken. Dieſe einzelnen
Ausnahmen aber genauer zu verfolgen, fehlt es an guten Nach-
weiſungen. So findet man Spuren, daß ſich in Heſſen Mei-
ſterſinger aufgehalten 116), ſo mag auch der bekannte Valen-
tin Vogt, ein Magdeburger, ſeine Kunſt aus Nuͤrnberg oder
Augsburg mitgebracht und fuͤr ſich allein getrieben haben.
Denn an Schulen, worauf es hier jetzt ankommt, iſt bei ſol-
chen Faͤllen nicht zu denken. Man zeige mir Meiſterſaͤngerſchu-
len in Sachſen 117), Niederſachſen, Weſtphalen, Pommern,
Meklenburg, Brandenburg u. a. m.


114) Herr Pfarrer Kirchner zu Frankfurt hat in den Archiven dieſer
Stadt nichts auffinden koͤnnen, was uͤber den alten Meiſterge-
ſang daſelbſt Licht geben koͤnnte.
115) Beiſchlag will aber ſehr unwahrſcheinlich erſt vom Anfang des
16ten die Meiſterſaͤnger in Augsburg gelten laſſen.
116) Conf. Simpliciſſimus (Nuͤrnb. 1713.) 1. 128.
117) Wiedeburg 152. nennt einen Otmar Wetter aus Dresden. Die
Rachricht einiger, daß Luther ein Meiſterſaͤnger geweſen, gruͤn-
J
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[129/0139] Im vierzehnten Jahrhundert bluͤht er zu Mainz, Straß- burg, Colmar, Frankfurt 114), Wirzburg, Zwickau, Prag. Im funfzehnten zu Nuͤrnberg, Augsburg 115). Im ſechszehn- ten zu Regensburg, Ulm, Muͤnchen, Steiermark, Maͤhren, (Iglau), Breslau, Goͤrliz bis nach Danzig. Im ſiebenzehnten zu Memmingen, Baſel, Duͤnkelsſpiel. So unvollſtaͤndig dieſe Angaben ausfallen, (an manchen Oertern mag er auch fruͤher oder ſpaͤter in Aufnahme geweſen ſeyn, laͤnger oder kuͤrzer be- ſtanden haben), ſo beweiſen ſie unleugbar im Allgemeinen. Die Sitte des Geſangs blieb im Lande, wo ſie zuerſt entſprungen, und da ſchlug ſie ihren Sitz auf, wo die Buͤrgerſchaft am freieſten, kraͤftigſten wohnte, alſo in den ſuͤdlichen Reicheſtaͤdten. Den Einwohnern der noͤrdlich gelegenen fiel etwas, wovon ſie niemals geſehen noch gehoͤrt, nicht in Gedanken. Alles was die Wanderungen der Handwerker, die aus dem Suͤden kamen, oder aus dem Norden in jenen gezogen, bewirkten, war, ein- zelne Liebhaber ihrem Geſang zu erwecken. Dieſe einzelnen Ausnahmen aber genauer zu verfolgen, fehlt es an guten Nach- weiſungen. So findet man Spuren, daß ſich in Heſſen Mei- ſterſinger aufgehalten 116), ſo mag auch der bekannte Valen- tin Vogt, ein Magdeburger, ſeine Kunſt aus Nuͤrnberg oder Augsburg mitgebracht und fuͤr ſich allein getrieben haben. Denn an Schulen, worauf es hier jetzt ankommt, iſt bei ſol- chen Faͤllen nicht zu denken. Man zeige mir Meiſterſaͤngerſchu- len in Sachſen 117), Niederſachſen, Weſtphalen, Pommern, Meklenburg, Brandenburg u. a. m. 114) Herr Pfarrer Kirchner zu Frankfurt hat in den Archiven dieſer Stadt nichts auffinden koͤnnen, was uͤber den alten Meiſterge- ſang daſelbſt Licht geben koͤnnte. 115) Beiſchlag will aber ſehr unwahrſcheinlich erſt vom Anfang des 16ten die Meiſterſaͤnger in Augsburg gelten laſſen. 116) Conf. Simpliciſſimus (Nuͤrnb. 1713.) 1. 128. 117) Wiedeburg 152. nennt einen Otmar Wetter aus Dresden. Die Rachricht einiger, daß Luther ein Meiſterſaͤnger geweſen, gruͤn- J

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/139>, abgerufen am 19.04.2024.