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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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für letztere wird man "Dichter" am wenigsten nehmen, wel-
thes Wort ohnedem im 13ten Jahrh. nur sparsam vorkommt,
(Gottfrieds Tristan 4564. Conrads troj. Kr. anfangs. Canz-
ler 2. 238. anfangs), andererseits aber schon weit älter seyn
muß, (mehrmals bei Otfried und dictando imitari, bei Ros-
witha, in praefat.
und Docen Misc. 1. 217. v. hantalot.) --
Dagegen findet sich auch unser: Meister nicht in der eigen-
thümlichen Beziehung bei den Provenzalen, sondern nur in all-
gemeinem Sinn 147). Man verwechsele mit mestro nicht das
messer, limous. mosen, mein Herr, das aber auch wie im
Altdeutschen gewöhnlich nichts als: Herr bedeutet 148).

2) Eben so wenig kennen wir Deutschen die Namen der
Tenzonen und Sirventes, und unser: Sang ist gewiß keine
Verdeutschung von: canzone oder chanson. Letztere sind der
Sache nach natürlich vorhanden; über die Sirventes 149) weiß
man nicht einmal etwas zuverlässiges, waren sie, wie es
scheint, historische Lieder zum Preis oder Tadel der Herren, so
haben ihrer die deutschen Meister auch gedichtet, die nordischen
Scalden noch viel mehr. Unter Tenzonen aber denke ich nicht
an unsere Wettstreite.


(Egilssaga p. 431.) So allgemein sprechen unsere Meister mehr-
mals von falschen und rechten Fünden, Tristan (4623.), Mis-
ner (DX in fine), Hermann Damen (XIV.) in einem Sinn,
wie er noch jetzo gäng und gebe ist. S. Walter oben S. 88.
und Morungen 1. 56.
147) Ferrari heißt maestro, so wie der Bernard d'Auriac. Petrarch
nennt den Arnoldo Daniello einen gran maestro d'amore
(Minnenmeister wie im Parcifal 15881. -- oder: mein Meister?)
148) Tanhuser 2. 66 b. Titurel Str. 632. "mein her Walter" (die
hier gemeinte Stelle Walters steht Maneße 1. 102.) Str. 2167.
meine Frau (madame) Parcifal 4264. 9009.
149) Zweifelhafte Etymologie; am vermuthlichsten von servire,
Dienstgedichte. Roquefort v. servantois sieht immer Bittge-
dichte und keine satyrische darin.
K

fuͤr letztere wird man „Dichter“ am wenigſten nehmen, wel-
thes Wort ohnedem im 13ten Jahrh. nur ſparſam vorkommt,
(Gottfrieds Triſtan 4564. Conrads troj. Kr. anfangs. Canz-
ler 2. 238. anfangs), andererſeits aber ſchon weit aͤlter ſeyn
muß, (mehrmals bei Otfried und dictando imitari, bei Ros-
witha, in praefat.
und Docen Miſc. 1. 217. v. hantalot.) —
Dagegen findet ſich auch unſer: Meiſter nicht in der eigen-
thuͤmlichen Beziehung bei den Provenzalen, ſondern nur in all-
gemeinem Sinn 147). Man verwechſele mit mestro nicht das
messer, limouſ. mosèn, mein Herr, das aber auch wie im
Altdeutſchen gewoͤhnlich nichts als: Herr bedeutet 148).

2) Eben ſo wenig kennen wir Deutſchen die Namen der
Tenzonen und Sirventes, und unſer: Sang iſt gewiß keine
Verdeutſchung von: canzone oder chanson. Letztere ſind der
Sache nach natuͤrlich vorhanden; uͤber die Sirventes 149) weiß
man nicht einmal etwas zuverlaͤſſiges, waren ſie, wie es
ſcheint, hiſtoriſche Lieder zum Preis oder Tadel der Herren, ſo
haben ihrer die deutſchen Meiſter auch gedichtet, die nordiſchen
Scalden noch viel mehr. Unter Tenzonen aber denke ich nicht
an unſere Wettſtreite.


(Egilsſaga p. 431.) So allgemein ſprechen unſere Meiſter mehr-
mals von falſchen und rechten Fuͤnden, Triſtan (4623.), Mis-
ner (DX in fine), Hermann Damen (XIV.) in einem Sinn,
wie er noch jetzo gaͤng und gebe iſt. S. Walter oben S. 88.
und Morungen 1. 56.
147) Ferrari heißt maestro, ſo wie der Bernard d’Auriac. Petrarch
nennt den Arnoldo Daniello einen gran maestro d’amore
(Minnenmeiſter wie im Parcifal 15881. — oder: mein Meiſter?)
148) Tanhuſer 2. 66 b. Titurel Str. 632. „mein her Walter“ (die
hier gemeinte Stelle Walters ſteht Maneße 1. 102.) Str. 2167.
meine Frau (madame) Parcifal 4264. 9009.
149) Zweifelhafte Etymologie; am vermuthlichſten von servire,
Dienſtgedichte. Roquefort v. servantois ſieht immer Bittge-
dichte und keine ſatyriſche darin.
K
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[145/0155] fuͤr letztere wird man „Dichter“ am wenigſten nehmen, wel- thes Wort ohnedem im 13ten Jahrh. nur ſparſam vorkommt, (Gottfrieds Triſtan 4564. Conrads troj. Kr. anfangs. Canz- ler 2. 238. anfangs), andererſeits aber ſchon weit aͤlter ſeyn muß, (mehrmals bei Otfried und dictando imitari, bei Ros- witha, in praefat. und Docen Miſc. 1. 217. v. hantalot.) — Dagegen findet ſich auch unſer: Meiſter nicht in der eigen- thuͤmlichen Beziehung bei den Provenzalen, ſondern nur in all- gemeinem Sinn 147). Man verwechſele mit mestro nicht das messer, limouſ. mosèn, mein Herr, das aber auch wie im Altdeutſchen gewoͤhnlich nichts als: Herr bedeutet 148). 2) Eben ſo wenig kennen wir Deutſchen die Namen der Tenzonen und Sirventes, und unſer: Sang iſt gewiß keine Verdeutſchung von: canzone oder chanson. Letztere ſind der Sache nach natuͤrlich vorhanden; uͤber die Sirventes 149) weiß man nicht einmal etwas zuverlaͤſſiges, waren ſie, wie es ſcheint, hiſtoriſche Lieder zum Preis oder Tadel der Herren, ſo haben ihrer die deutſchen Meiſter auch gedichtet, die nordiſchen Scalden noch viel mehr. Unter Tenzonen aber denke ich nicht an unſere Wettſtreite. 146) 147) Ferrari heißt maestro, ſo wie der Bernard d’Auriac. Petrarch nennt den Arnoldo Daniello einen gran maestro d’amore (Minnenmeiſter wie im Parcifal 15881. — oder: mein Meiſter?) 148) Tanhuſer 2. 66 b. Titurel Str. 632. „mein her Walter“ (die hier gemeinte Stelle Walters ſteht Maneße 1. 102.) Str. 2167. meine Frau (madame) Parcifal 4264. 9009. 149) Zweifelhafte Etymologie; am vermuthlichſten von servire, Dienſtgedichte. Roquefort v. servantois ſieht immer Bittge- dichte und keine ſatyriſche darin. 146) (Egilsſaga p. 431.) So allgemein ſprechen unſere Meiſter mehr- mals von falſchen und rechten Fuͤnden, Triſtan (4623.), Mis- ner (DX in fine), Hermann Damen (XIV.) in einem Sinn, wie er noch jetzo gaͤng und gebe iſt. S. Walter oben S. 88. und Morungen 1. 56. K

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/155>, abgerufen am 16.04.2024.