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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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3) Nämlich diese Tenzonen scheinen mit einer andern Ein-
richtung zusammen zu hängen, die noch über die Dichtkunst
hinaus ins Leben des Ritterthums eingriff. Den Liebeshöfen,
bei aller Feinheit und Gemüthlichkeit liegt dennoch etwas fri-
voles, undeutsches bei, und nie ist dergleichen in Deutschland
aufgekommen. Der Deutsche sang, man solle ihm sein Herz
aufbrechen, so werde seiner Frauen Bild darin stehen, er suchte
lieber nach tausend Gleichnissen, um seine unsägliche Liebe zu
benennen, als daß er darüber mit spitzfindigen Reden und Mei-
nungen entschieden und damit alles zweifelhaft gemacht hätte 150).

Unsere alten Gedichte vermögen die schiefe Vorstellung zu
berichtigen, die man sich von der Verehrung der Weiber im
Mittelalter gemacht und einige sogar aus germanischer Wurzel
ableiten. Man lese in den Nibelungen, wie weit ab von aus-
ländischer Galanterie rechte und wahre Ehre den Frauen gebo-
ten wird und wie aufrecht daneben alle andere Tugend stehet.
Die Helden schlagen den Weibern die Bitte ab, wo sie der
ritterlichen Treue entgegen, Wolfdieterich hat es der geliebten
Kaiserinn gar kein Hehl, daß er ihrer tausend dahin gäbe für
seine gefangenen "eilef Dienestmann." In der Wendung: um
Gottes und der Frauen willen die uns geboren haben 151),
liegt einmal die religiöse Bedeutung, dann die Liebe zu der
Mutter; es wird indessen damit gar nicht geleugnet, daß die
Zeit der Minnepoesie einen weicheren, besonnenen Frauendienst
gehabt oder hervorgebracht. Bekannt ist, daß die Lieder vor
den Frauen, und ihrentwillen gesungen wurden, daß sie den
Dichtern Lieder abverlangten 152) und die Minnesinger sich

150) In den Regeln und Gesetzen der Minne, die man in Aretins
Ausgabe vor den eigentlichen Urtheilen findet, ist nichts, was
nicht auch in Deutschland erdacht seyn könnte.
151) "Die frawen seind vns berende zer welt." Titurel 1891.
152) Auch ernsthafte Betrachtung wurde den Meistern von ihren
Frauen aufgegeben. M. s. die oben Note 65. von Fr. v. Son-
ncnburg angezogene Stelle.

3) Naͤmlich dieſe Tenzonen ſcheinen mit einer andern Ein-
richtung zuſammen zu haͤngen, die noch uͤber die Dichtkunſt
hinaus ins Leben des Ritterthums eingriff. Den Liebeshoͤfen,
bei aller Feinheit und Gemuͤthlichkeit liegt dennoch etwas fri-
voles, undeutſches bei, und nie iſt dergleichen in Deutſchland
aufgekommen. Der Deutſche ſang, man ſolle ihm ſein Herz
aufbrechen, ſo werde ſeiner Frauen Bild darin ſtehen, er ſuchte
lieber nach tauſend Gleichniſſen, um ſeine unſaͤgliche Liebe zu
benennen, als daß er daruͤber mit ſpitzfindigen Reden und Mei-
nungen entſchieden und damit alles zweifelhaft gemacht haͤtte 150).

Unſere alten Gedichte vermoͤgen die ſchiefe Vorſtellung zu
berichtigen, die man ſich von der Verehrung der Weiber im
Mittelalter gemacht und einige ſogar aus germaniſcher Wurzel
ableiten. Man leſe in den Nibelungen, wie weit ab von aus-
laͤndiſcher Galanterie rechte und wahre Ehre den Frauen gebo-
ten wird und wie aufrecht daneben alle andere Tugend ſtehet.
Die Helden ſchlagen den Weibern die Bitte ab, wo ſie der
ritterlichen Treue entgegen, Wolfdieterich hat es der geliebten
Kaiſerinn gar kein Hehl, daß er ihrer tauſend dahin gaͤbe fuͤr
ſeine gefangenen „eilef Dieneſtmann.“ In der Wendung: um
Gottes und der Frauen willen die uns geboren haben 151),
liegt einmal die religioͤſe Bedeutung, dann die Liebe zu der
Mutter; es wird indeſſen damit gar nicht geleugnet, daß die
Zeit der Minnepoeſie einen weicheren, beſonnenen Frauendienſt
gehabt oder hervorgebracht. Bekannt iſt, daß die Lieder vor
den Frauen, und ihrentwillen geſungen wurden, daß ſie den
Dichtern Lieder abverlangten 152) und die Minneſinger ſich

150) In den Regeln und Geſetzen der Minne, die man in Aretins
Ausgabe vor den eigentlichen Urtheilen findet, iſt nichts, was
nicht auch in Deutſchland erdacht ſeyn koͤnnte.
151) „Die frawen ſeind vns berende zer welt.“ Titurel 1891.
152) Auch ernſthafte Betrachtung wurde den Meiſtern von ihren
Frauen aufgegeben. M. ſ. die oben Note 65. von Fr. v. Son-
ncnburg angezogene Stelle.
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[146/0156] 3) Naͤmlich dieſe Tenzonen ſcheinen mit einer andern Ein- richtung zuſammen zu haͤngen, die noch uͤber die Dichtkunſt hinaus ins Leben des Ritterthums eingriff. Den Liebeshoͤfen, bei aller Feinheit und Gemuͤthlichkeit liegt dennoch etwas fri- voles, undeutſches bei, und nie iſt dergleichen in Deutſchland aufgekommen. Der Deutſche ſang, man ſolle ihm ſein Herz aufbrechen, ſo werde ſeiner Frauen Bild darin ſtehen, er ſuchte lieber nach tauſend Gleichniſſen, um ſeine unſaͤgliche Liebe zu benennen, als daß er daruͤber mit ſpitzfindigen Reden und Mei- nungen entſchieden und damit alles zweifelhaft gemacht haͤtte 150). Unſere alten Gedichte vermoͤgen die ſchiefe Vorſtellung zu berichtigen, die man ſich von der Verehrung der Weiber im Mittelalter gemacht und einige ſogar aus germaniſcher Wurzel ableiten. Man leſe in den Nibelungen, wie weit ab von aus- laͤndiſcher Galanterie rechte und wahre Ehre den Frauen gebo- ten wird und wie aufrecht daneben alle andere Tugend ſtehet. Die Helden ſchlagen den Weibern die Bitte ab, wo ſie der ritterlichen Treue entgegen, Wolfdieterich hat es der geliebten Kaiſerinn gar kein Hehl, daß er ihrer tauſend dahin gaͤbe fuͤr ſeine gefangenen „eilef Dieneſtmann.“ In der Wendung: um Gottes und der Frauen willen die uns geboren haben 151), liegt einmal die religioͤſe Bedeutung, dann die Liebe zu der Mutter; es wird indeſſen damit gar nicht geleugnet, daß die Zeit der Minnepoeſie einen weicheren, beſonnenen Frauendienſt gehabt oder hervorgebracht. Bekannt iſt, daß die Lieder vor den Frauen, und ihrentwillen geſungen wurden, daß ſie den Dichtern Lieder abverlangten 152) und die Minneſinger ſich 150) In den Regeln und Geſetzen der Minne, die man in Aretins Ausgabe vor den eigentlichen Urtheilen findet, iſt nichts, was nicht auch in Deutſchland erdacht ſeyn koͤnnte. 151) „Die frawen ſeind vns berende zer welt.“ Titurel 1891. 152) Auch ernſthafte Betrachtung wurde den Meiſtern von ihren Frauen aufgegeben. M. ſ. die oben Note 65. von Fr. v. Son- ncnburg angezogene Stelle.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/156>, abgerufen am 28.03.2024.