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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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gekommen sind, wogegen die deutschen Minnesänger aber nie-
mals ihre Geliebten nennen. Was noch mehr, die Namenver-
steckerei 159) hätten sie doch nachahmen können, aber auch da-
von keine Spur. Dafür liefert herumgedreht die auswärtige
Poesie keine Beispiele der allegorischen Dichternamen 160), die
in Deutschland gebräuchlich gewesen und es also auch hier
scheint, der Deutsche habe mit seiner Kunst gespielt, der Pro-
venzal mit seiner Liebe.

6) Ein Hauptpunct ist endlich der, daß in Italien und Pro-
venze eigene Verhältnisse zwischen den troubadours und jon-
gleurs
bestanden, wovon wir nichts in Deutschland wissen,
weder dem Namen, noch der Sache nach. Die jongleurs
waren entweder bloße Musikanten oder zugleich Volksdichter 161),
die sich von den Troubadurs zum Absingen ihrer Lieder brau-
then ließen und zuweilen in deren Dienst gestanden haben müs-
sen, ja sich zu der Würde eines Troubadours selbst erheben
konnten 162). Manchmal mögen sie ein besonderes Gewerbe
getrieben haben, denn die Troubadours klagen über ihre ganze
Classe. In Deutschland waren nun auch Volksdichter neben
den Meistern, und es wird an schlechten, unberufenen Nach-
singern nicht gefehlt haben; allein daß diese niederen Sänger
von den andern, wie die Jonglenrs von den Troubadours wä-
ren gebraucht worden, dürfte sich mit nichts darthun, zudem
gerade die sogenannten envois in unsern Minneliedern fehlen.
Daß sie aber zuweilen den Frauen übersandt wurden durch
Boten, kommt vor beim Rotenburg 1. 34 a., Dietmar v. Ast
1. 41. (ich bin ein etc.) Reinmar 1. 71. (sage das ich etc.) von

159) Beispiele davon: belregard, beldeport, belri[s], belcavalier,
miels de donna, monplazer, fleur delys.
160) Etwa den einzigen Cercamons ausgenommen.
161) Wie schon der Name angibt, joculator (von jocus), jugleur.
giullare (gioia).
162) Faidit war 20 Jahr Jongleur und dann erst Troubadour.

gekommen ſind, wogegen die deutſchen Minneſaͤnger aber nie-
mals ihre Geliebten nennen. Was noch mehr, die Namenver-
ſteckerei 159) haͤtten ſie doch nachahmen koͤnnen, aber auch da-
von keine Spur. Dafuͤr liefert herumgedreht die auswaͤrtige
Poeſie keine Beiſpiele der allegoriſchen Dichternamen 160), die
in Deutſchland gebraͤuchlich geweſen und es alſo auch hier
ſcheint, der Deutſche habe mit ſeiner Kunſt geſpielt, der Pro-
venzal mit ſeiner Liebe.

6) Ein Hauptpunct iſt endlich der, daß in Italien und Pro-
venze eigene Verhaͤltniſſe zwiſchen den troubadours und jon-
gleurs
beſtanden, wovon wir nichts in Deutſchland wiſſen,
weder dem Namen, noch der Sache nach. Die jongleurs
waren entweder bloße Muſikanten oder zugleich Volksdichter 161),
die ſich von den Troubadurs zum Abſingen ihrer Lieder brau-
then ließen und zuweilen in deren Dienſt geſtanden haben muͤſ-
ſen, ja ſich zu der Wuͤrde eines Troubadours ſelbſt erheben
konnten 162). Manchmal moͤgen ſie ein beſonderes Gewerbe
getrieben haben, denn die Troubadours klagen uͤber ihre ganze
Claſſe. In Deutſchland waren nun auch Volksdichter neben
den Meiſtern, und es wird an ſchlechten, unberufenen Nach-
ſingern nicht gefehlt haben; allein daß dieſe niederen Saͤnger
von den andern, wie die Jonglenrs von den Troubadours waͤ-
ren gebraucht worden, duͤrfte ſich mit nichts darthun, zudem
gerade die ſogenannten envois in unſern Minneliedern fehlen.
Daß ſie aber zuweilen den Frauen uͤberſandt wurden durch
Boten, kommt vor beim Rotenburg 1. 34 a., Dietmar v. Aſt
1. 41. (ich bin ein ꝛc.) Reinmar 1. 71. (ſage das ich ꝛc.) von

159) Beiſpiele davon: belregard, beldeport, belri[s], belcavalier,
miels de donna, monplazer, fleur delys.
160) Etwa den einzigen Cercamons ausgenommen.
161) Wie ſchon der Name angibt, joculator (von jocus), jugleur.
giullare (gioia).
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[149/0159] gekommen ſind, wogegen die deutſchen Minneſaͤnger aber nie- mals ihre Geliebten nennen. Was noch mehr, die Namenver- ſteckerei 159) haͤtten ſie doch nachahmen koͤnnen, aber auch da- von keine Spur. Dafuͤr liefert herumgedreht die auswaͤrtige Poeſie keine Beiſpiele der allegoriſchen Dichternamen 160), die in Deutſchland gebraͤuchlich geweſen und es alſo auch hier ſcheint, der Deutſche habe mit ſeiner Kunſt geſpielt, der Pro- venzal mit ſeiner Liebe. 6) Ein Hauptpunct iſt endlich der, daß in Italien und Pro- venze eigene Verhaͤltniſſe zwiſchen den troubadours und jon- gleurs beſtanden, wovon wir nichts in Deutſchland wiſſen, weder dem Namen, noch der Sache nach. Die jongleurs waren entweder bloße Muſikanten oder zugleich Volksdichter 161), die ſich von den Troubadurs zum Abſingen ihrer Lieder brau- then ließen und zuweilen in deren Dienſt geſtanden haben muͤſ- ſen, ja ſich zu der Wuͤrde eines Troubadours ſelbſt erheben konnten 162). Manchmal moͤgen ſie ein beſonderes Gewerbe getrieben haben, denn die Troubadours klagen uͤber ihre ganze Claſſe. In Deutſchland waren nun auch Volksdichter neben den Meiſtern, und es wird an ſchlechten, unberufenen Nach- ſingern nicht gefehlt haben; allein daß dieſe niederen Saͤnger von den andern, wie die Jonglenrs von den Troubadours waͤ- ren gebraucht worden, duͤrfte ſich mit nichts darthun, zudem gerade die ſogenannten envois in unſern Minneliedern fehlen. Daß ſie aber zuweilen den Frauen uͤberſandt wurden durch Boten, kommt vor beim Rotenburg 1. 34 a., Dietmar v. Aſt 1. 41. (ich bin ein ꝛc.) Reinmar 1. 71. (ſage das ich ꝛc.) von 159) Beiſpiele davon: belregard, beldeport, belris, belcavalier, miels de donna, monplazer, fleur delys. 160) Etwa den einzigen Cercamons ausgenommen. 161) Wie ſchon der Name angibt, joculator (von jocus), jugleur. giullare (gioia). 162) Faidit war 20 Jahr Jongleur und dann erſt Troubadour.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/159>, abgerufen am 18.04.2024.