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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Husen 1. 95. (lihte ein etc.) Hartman 1. 180. (swes spröide etc.)
und 1. 182. (dir hat entboten etc.) Auch vergl. Nithart 2. 73.
(nu grünet etc.) und besonders den Taler 2. 100. 101. (kunzeli
bring mir etc.), entweder weil der Dichter zu vornehm, oder zu
weit war, oder sich sonst geheim halten mußte. S. Walter 1.
103. (Bote sage dem Kaiser etc.) Vielleicht übernahmen öfters
die Freunde den Gesangbotendienst, cf. Hug v. Werbenw. 2. 49.

Wird aber eine Dichtkunst aus einem Land in ein anderes
fortgepflanzt, so muß man annehmen, daß sie mit all ihren
Individualitäten und Namen übergehe, voraus in den empfäng-
lichen Zeiten des 12. u. 13. Jahrh. Ich habe nur auf Eigenhei-
ten der provenzalischen Poesie, die der Zeit nach die ältere ist,
gewiesen und gezeigt, daß sie nicht in Deutschland existirt ha-
ben, folglich nicht dahin angeführt sind. Es ließe sich auch aus
vielem Eigenthümlichen deutscher Dichtkunst, das sich nicht in
Provenze zeigt, ein gleicher Schluß machen, was ich hier nicht
ausführen mag. Nur eines Puncts muß ich noch gedenken, der
oben S. 96. angeführten Stelle von den approvatori, die wir am
Hof zu Po im 13ten Jahrh. erblicken. Eine Uebereinstimmung,
welche, wie ich glaube, aus dem damals in ganz Europa blühen-
den Ritterwesen erläutert werden muß; die Sitte der Turniere,
die Richter, welche auf das Benehmen der Kämpfer achteten
und Preise zusprachen, wurde auf jede Poesie übertragen, die
unter dem Einfluß der Höfe und des Ritterthums stand 163).

Daß die Troubadours eine gewisse Classe bildeten und ihre
Regeln hielten 164), ist eben so sicher, wie bei den Minnesängern,

163) Wie man sieht, durchaus kein Grund gegen die Identität der
späteren mit den alten Merkern. Zur Zeit des späteren Mei-
stergesangs und besonders im bürgerlichen Stand war eben nichts
mehr vom Geist des Ritterthums zu spüren.
164) Arnoldo Daniello wurde von einem Jongl[eu]r in schweren Rei-
men aufgefordert, Ferrari beantwortet alle Fragen, die man
ihm gethan, in künstlichen Liedern, und wird von andern

Huſen 1. 95. (lihte ein ꝛc.) Hartman 1. 180. (ſwes ſproͤide ꝛc.)
und 1. 182. (dir hat entboten ꝛc.) Auch vergl. Nithart 2. 73.
(nu gruͤnet ꝛc.) und beſonders den Taler 2. 100. 101. (kunzeli
bring mir ꝛc.), entweder weil der Dichter zu vornehm, oder zu
weit war, oder ſich ſonſt geheim halten mußte. S. Walter 1.
103. (Bote ſage dem Kaiſer ꝛc.) Vielleicht uͤbernahmen oͤfters
die Freunde den Geſangbotendienſt, cf. Hug v. Werbenw. 2. 49.

Wird aber eine Dichtkunſt aus einem Land in ein anderes
fortgepflanzt, ſo muß man annehmen, daß ſie mit all ihren
Individualitaͤten und Namen uͤbergehe, voraus in den empfaͤng-
lichen Zeiten des 12. u. 13. Jahrh. Ich habe nur auf Eigenhei-
ten der provenzaliſchen Poeſie, die der Zeit nach die aͤltere iſt,
gewieſen und gezeigt, daß ſie nicht in Deutſchland exiſtirt ha-
ben, folglich nicht dahin angefuͤhrt ſind. Es ließe ſich auch aus
vielem Eigenthuͤmlichen deutſcher Dichtkunſt, das ſich nicht in
Provenze zeigt, ein gleicher Schluß machen, was ich hier nicht
ausfuͤhren mag. Nur eines Puncts muß ich noch gedenken, der
oben S. 96. angefuͤhrten Stelle von den approvatori, die wir am
Hof zu Po im 13ten Jahrh. erblicken. Eine Uebereinſtimmung,
welche, wie ich glaube, aus dem damals in ganz Europa bluͤhen-
den Ritterweſen erlaͤutert werden muß; die Sitte der Turniere,
die Richter, welche auf das Benehmen der Kaͤmpfer achteten
und Preiſe zuſprachen, wurde auf jede Poeſie uͤbertragen, die
unter dem Einfluß der Hoͤfe und des Ritterthums ſtand 163).

Daß die Troubadours eine gewiſſe Claſſe bildeten und ihre
Regeln hielten 164), iſt eben ſo ſicher, wie bei den Minneſaͤngern,

163) Wie man ſieht, durchaus kein Grund gegen die Identitaͤt der
ſpaͤteren mit den alten Merkern. Zur Zeit des ſpaͤteren Mei-
ſtergeſangs und beſonders im buͤrgerlichen Stand war eben nichts
mehr vom Geiſt des Ritterthums zu ſpuͤren.
164) Arnoldo Daniello wurde von einem Jongl[eu]r in ſchweren Rei-
men aufgefordert, Ferrari beantwortet alle Fragen, die man
ihm gethan, in kuͤnſtlichen Liedern, und wird von andern
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[150/0160] Huſen 1. 95. (lihte ein ꝛc.) Hartman 1. 180. (ſwes ſproͤide ꝛc.) und 1. 182. (dir hat entboten ꝛc.) Auch vergl. Nithart 2. 73. (nu gruͤnet ꝛc.) und beſonders den Taler 2. 100. 101. (kunzeli bring mir ꝛc.), entweder weil der Dichter zu vornehm, oder zu weit war, oder ſich ſonſt geheim halten mußte. S. Walter 1. 103. (Bote ſage dem Kaiſer ꝛc.) Vielleicht uͤbernahmen oͤfters die Freunde den Geſangbotendienſt, cf. Hug v. Werbenw. 2. 49. Wird aber eine Dichtkunſt aus einem Land in ein anderes fortgepflanzt, ſo muß man annehmen, daß ſie mit all ihren Individualitaͤten und Namen uͤbergehe, voraus in den empfaͤng- lichen Zeiten des 12. u. 13. Jahrh. Ich habe nur auf Eigenhei- ten der provenzaliſchen Poeſie, die der Zeit nach die aͤltere iſt, gewieſen und gezeigt, daß ſie nicht in Deutſchland exiſtirt ha- ben, folglich nicht dahin angefuͤhrt ſind. Es ließe ſich auch aus vielem Eigenthuͤmlichen deutſcher Dichtkunſt, das ſich nicht in Provenze zeigt, ein gleicher Schluß machen, was ich hier nicht ausfuͤhren mag. Nur eines Puncts muß ich noch gedenken, der oben S. 96. angefuͤhrten Stelle von den approvatori, die wir am Hof zu Po im 13ten Jahrh. erblicken. Eine Uebereinſtimmung, welche, wie ich glaube, aus dem damals in ganz Europa bluͤhen- den Ritterweſen erlaͤutert werden muß; die Sitte der Turniere, die Richter, welche auf das Benehmen der Kaͤmpfer achteten und Preiſe zuſprachen, wurde auf jede Poeſie uͤbertragen, die unter dem Einfluß der Hoͤfe und des Ritterthums ſtand 163). Daß die Troubadours eine gewiſſe Claſſe bildeten und ihre Regeln hielten 164), iſt eben ſo ſicher, wie bei den Minneſaͤngern, 163) Wie man ſieht, durchaus kein Grund gegen die Identitaͤt der ſpaͤteren mit den alten Merkern. Zur Zeit des ſpaͤteren Mei- ſtergeſangs und beſonders im buͤrgerlichen Stand war eben nichts mehr vom Geiſt des Ritterthums zu ſpuͤren. 164) Arnoldo Daniello wurde von einem Jongleur in ſchweren Rei- men aufgefordert, Ferrari beantwortet alle Fragen, die man ihm gethan, in kuͤnſtlichen Liedern, und wird von andern

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/160>, abgerufen am 23.04.2024.