Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

finde 196), so kann der deutsche Meister recht gut die Sache
von Hörensagen 197) wissen, ohne daß er je scaldische Lieder
zu Gesicht bekommen. In der Sitte selbst, in den Lobliedern
auf die Herren, zeigt sich freilich auch eine Uebereinstimmung
mit deutscher Dichtkunst, nur daß die Scalden wieder das
weit mehr ins Große, ja als ihr eigentliches Amt trieben, und
die Thaten der Fürsten, welchen sie dienten, in ausgesuchte
Worte faßten. Was sie dadurch an historischem Interesse ge-
winnen, ist wenig zu rechnen gegen das, was sie an wahrer
Poesie einbüßten. Liebeslieder, womit doch in Deutschland al-
ler Meistergesang entsprang, unbefangene Klagen über den Zu-
stand ihres Gemüths findet man bei ihnen fast nicht 198),
selbst die alten nordischen Heldensagen wurden nicht gesungen.

196) Olassen p. 186. gedenkt des gesangliebenden Hofes von König
Harald, worunter also jener Hofscalde selbst nicht gemeint seyn
kann.
197) Str. CCCLIV u. CCCLXXVIII - XXX. besingt er die Er-
mordung des dänischen Königs. Auch Reinmar preist den Kö-
nig Erich von Tenemarcke (2. 132.)
198) Oder sind der Mansaungr mehr gewesen, als aufgezeichnet
worden? Ich kenne nur einen in der Egilssaga cap 56. p 325.
(coll. cap. 2. pag. 5.) und einen aus der Viglunds S. von
Thorlacius (antiqq. bor. spec. 1. p. 41. 42.) beigebrachten.
Auffallend ist übrigens der Zusammenhang des Worts mit un-
serm Minnesang, indem ich lieber man, von mana, mona,
mun[a,] gemynan, = meminisse
als mit Thorlacius p 39.
von man (Jungfrau) ableite. Jenes muna ist nun wohl mit
minna verwandt, erinnert an das nordische, aber auch Ribe-
lungische "Minnetrinken" und führt uns mithin auf die alte
Bedeutung unseres Wortes "Minne." S. auch Olafsen,
Anhang § 20.
In den Kämpeviser p. 416. ist die erste Strophe eines Lie-
beslieds aufbewahrt, welches König Magnus (Barfuß) von
Norwegen der Kaiserstochter Mathild gesungen haben soll, (er
fällt ins Ende des 11ten Jahrh.) und dessen Eingang: hvad er
i heimi bettra, enn vife fogra? an so viel deutsche Minnelie-

finde 196), ſo kann der deutſche Meiſter recht gut die Sache
von Hoͤrenſagen 197) wiſſen, ohne daß er je ſcaldiſche Lieder
zu Geſicht bekommen. In der Sitte ſelbſt, in den Lobliedern
auf die Herren, zeigt ſich freilich auch eine Uebereinſtimmung
mit deutſcher Dichtkunſt, nur daß die Scalden wieder das
weit mehr ins Große, ja als ihr eigentliches Amt trieben, und
die Thaten der Fuͤrſten, welchen ſie dienten, in ausgeſuchte
Worte faßten. Was ſie dadurch an hiſtoriſchem Intereſſe ge-
winnen, iſt wenig zu rechnen gegen das, was ſie an wahrer
Poeſie einbuͤßten. Liebeslieder, womit doch in Deutſchland al-
ler Meiſtergeſang entſprang, unbefangene Klagen uͤber den Zu-
ſtand ihres Gemuͤths findet man bei ihnen faſt nicht 198),
ſelbſt die alten nordiſchen Heldenſagen wurden nicht geſungen.

196) Olaſſen p. 186. gedenkt des geſangliebenden Hofes von Koͤnig
Harald, worunter alſo jener Hofſcalde ſelbſt nicht gemeint ſeyn
kann.
197) Str. CCCLIV u. CCCLXXVIII - XXX. beſingt er die Er-
mordung des daͤniſchen Koͤnigs. Auch Reinmar preiſt den Koͤ-
nig Erich von Tenemarcke (2. 132.)
198) Oder ſind der Manſaungr mehr geweſen, als aufgezeichnet
worden? Ich kenne nur einen in der Egilsſaga cap 56. p 325.
(coll. cap. 2. pag. 5.) und einen aus der Viglunds S. von
Thorlacius (antiqq. bor. spec. 1. p. 41. 42.) beigebrachten.
Auffallend iſt uͤbrigens der Zuſammenhang des Worts mit un-
ſerm Minneſang, indem ich lieber man, von mana, mona,
mun[a,] gemynan, = meminisse
als mit Thorlacius p 39.
von man (Jungfrau) ableite. Jenes muna iſt nun wohl mit
minna verwandt, erinnert an das nordiſche, aber auch Ribe-
lungiſche „Minnetrinken“ und fuͤhrt uns mithin auf die alte
Bedeutung unſeres Wortes „Minne.“ S. auch Olafſen,
Anhang § 20.
In den Kaͤmpeviſer p. 416. iſt die erſte Strophe eines Lie-
beslieds aufbewahrt, welches Koͤnig Magnus (Barfuß) von
Norwegen der Kaiſerstochter Mathild geſungen haben ſoll, (er
faͤllt ins Ende des 11ten Jahrh.) und deſſen Eingang: hvad er
i heimi bettra, enn vife fogra? an ſo viel deutſche Minnelie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0177" n="167"/>
finde <note place="foot" n="196)">Ola&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">p.</hi> 186. gedenkt des ge&#x017F;angliebenden Hofes von Ko&#x0364;nig<lb/>
Harald, worunter al&#x017F;o jener Hof&#x017F;calde &#x017F;elb&#x017F;t nicht gemeint &#x017F;eyn<lb/>
kann.</note>, &#x017F;o kann der deut&#x017F;che Mei&#x017F;ter recht gut die Sache<lb/>
von Ho&#x0364;ren&#x017F;agen <note place="foot" n="197)">Str. <hi rendition="#aq">CCCLIV</hi> u. <hi rendition="#aq">CCCLXXVIII - XXX.</hi> be&#x017F;ingt er die Er-<lb/>
mordung des da&#x0364;ni&#x017F;chen Ko&#x0364;nigs. Auch Reinmar prei&#x017F;t den Ko&#x0364;-<lb/>
nig Erich von Tenemarcke (2. 132.)</note> wi&#x017F;&#x017F;en, ohne daß er je &#x017F;caldi&#x017F;che Lieder<lb/>
zu Ge&#x017F;icht bekommen. In der Sitte &#x017F;elb&#x017F;t, in den Lobliedern<lb/>
auf die Herren, zeigt &#x017F;ich freilich auch eine Ueberein&#x017F;timmung<lb/>
mit deut&#x017F;cher Dichtkun&#x017F;t, nur daß die Scalden wieder das<lb/>
weit mehr ins Große, ja als ihr eigentliches Amt trieben, und<lb/>
die Thaten der Fu&#x0364;r&#x017F;ten, welchen &#x017F;ie dienten, in ausge&#x017F;uchte<lb/>
Worte faßten. Was &#x017F;ie dadurch an hi&#x017F;tori&#x017F;chem Intere&#x017F;&#x017F;e ge-<lb/>
winnen, i&#x017F;t wenig zu rechnen gegen das, was &#x017F;ie an wahrer<lb/>
Poe&#x017F;ie einbu&#x0364;ßten. Liebeslieder, womit doch in Deut&#x017F;chland al-<lb/>
ler Mei&#x017F;terge&#x017F;ang ent&#x017F;prang, unbefangene Klagen u&#x0364;ber den Zu-<lb/>
&#x017F;tand ihres Gemu&#x0364;ths findet man bei ihnen fa&#x017F;t nicht <note xml:id="seg2pn_20_1" next="#seg2pn_20_2" place="foot" n="198)">Oder &#x017F;ind der <hi rendition="#g">Man&#x017F;aungr</hi> mehr gewe&#x017F;en, als aufgezeichnet<lb/>
worden? Ich kenne nur einen in der Egils&#x017F;aga <hi rendition="#aq">cap</hi> 56. <hi rendition="#aq">p</hi> 325.<lb/>
(<hi rendition="#aq">coll. cap.</hi> 2. <hi rendition="#aq">pag.</hi> 5.) und einen aus der Viglunds S. von<lb/>
Thorlacius (<hi rendition="#aq">antiqq. bor. spec. 1. p.</hi> 41. 42.) beigebrachten.<lb/>
Auffallend i&#x017F;t u&#x0364;brigens der Zu&#x017F;ammenhang des Worts mit un-<lb/>
&#x017F;erm Minne&#x017F;ang, indem ich lieber <hi rendition="#aq">man,</hi> von <hi rendition="#aq">mana, mona,<lb/>
mun<supplied>a,</supplied> gemynan, = meminisse</hi> als mit Thorlacius <hi rendition="#aq">p</hi> 39.<lb/>
von <hi rendition="#aq">man</hi> (Jungfrau) ableite. Jenes <hi rendition="#aq">muna</hi> i&#x017F;t nun wohl mit<lb/><hi rendition="#aq">minna</hi> verwandt, erinnert an das nordi&#x017F;che, aber auch Ribe-<lb/>
lungi&#x017F;che &#x201E;Minnetrinken&#x201C; und fu&#x0364;hrt uns mithin auf die alte<lb/>
Bedeutung un&#x017F;eres Wortes &#x201E;Minne.&#x201C; S. auch <hi rendition="#g">Olaf&#x017F;en</hi>,<lb/>
Anhang § 20.<lb/>
In den Ka&#x0364;mpevi&#x017F;er <hi rendition="#aq">p.</hi> 416. i&#x017F;t die er&#x017F;te Strophe eines Lie-<lb/>
beslieds aufbewahrt, welches Ko&#x0364;nig Magnus (Barfuß) von<lb/>
Norwegen der Kai&#x017F;erstochter Mathild ge&#x017F;ungen haben &#x017F;oll, (er<lb/>
fa&#x0364;llt ins Ende des 11ten Jahrh.) und de&#x017F;&#x017F;en Eingang: hvad er<lb/>
i heimi bettra, enn vife fogra? an &#x017F;o viel deut&#x017F;che Minnelie-</note>,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die alten nordi&#x017F;chen Helden&#x017F;agen wurden nicht ge&#x017F;ungen.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0177] finde 196), ſo kann der deutſche Meiſter recht gut die Sache von Hoͤrenſagen 197) wiſſen, ohne daß er je ſcaldiſche Lieder zu Geſicht bekommen. In der Sitte ſelbſt, in den Lobliedern auf die Herren, zeigt ſich freilich auch eine Uebereinſtimmung mit deutſcher Dichtkunſt, nur daß die Scalden wieder das weit mehr ins Große, ja als ihr eigentliches Amt trieben, und die Thaten der Fuͤrſten, welchen ſie dienten, in ausgeſuchte Worte faßten. Was ſie dadurch an hiſtoriſchem Intereſſe ge- winnen, iſt wenig zu rechnen gegen das, was ſie an wahrer Poeſie einbuͤßten. Liebeslieder, womit doch in Deutſchland al- ler Meiſtergeſang entſprang, unbefangene Klagen uͤber den Zu- ſtand ihres Gemuͤths findet man bei ihnen faſt nicht 198), ſelbſt die alten nordiſchen Heldenſagen wurden nicht geſungen. 196) Olaſſen p. 186. gedenkt des geſangliebenden Hofes von Koͤnig Harald, worunter alſo jener Hofſcalde ſelbſt nicht gemeint ſeyn kann. 197) Str. CCCLIV u. CCCLXXVIII - XXX. beſingt er die Er- mordung des daͤniſchen Koͤnigs. Auch Reinmar preiſt den Koͤ- nig Erich von Tenemarcke (2. 132.) 198) Oder ſind der Manſaungr mehr geweſen, als aufgezeichnet worden? Ich kenne nur einen in der Egilsſaga cap 56. p 325. (coll. cap. 2. pag. 5.) und einen aus der Viglunds S. von Thorlacius (antiqq. bor. spec. 1. p. 41. 42.) beigebrachten. Auffallend iſt uͤbrigens der Zuſammenhang des Worts mit un- ſerm Minneſang, indem ich lieber man, von mana, mona, muna, gemynan, = meminisse als mit Thorlacius p 39. von man (Jungfrau) ableite. Jenes muna iſt nun wohl mit minna verwandt, erinnert an das nordiſche, aber auch Ribe- lungiſche „Minnetrinken“ und fuͤhrt uns mithin auf die alte Bedeutung unſeres Wortes „Minne.“ S. auch Olafſen, Anhang § 20. In den Kaͤmpeviſer p. 416. iſt die erſte Strophe eines Lie- beslieds aufbewahrt, welches Koͤnig Magnus (Barfuß) von Norwegen der Kaiſerstochter Mathild geſungen haben ſoll, (er faͤllt ins Ende des 11ten Jahrh.) und deſſen Eingang: hvad er i heimi bettra, enn vife fogra? an ſo viel deutſche Minnelie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/177
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/177>, abgerufen am 28.03.2024.