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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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England keine Minnepoesie gehabt, diese also auch nicht in
dem ernsthaften späteren Meistergesang endigen konnte. Die
erzählenden englischen Gedichte des 13ten und 14ten Jahrhun-
derts wurden entweder französischen nachgeahmt, oder in diesem
Sinn doch aus alten Liedern und Sagen hergenommen. Die
Form ist daher jene französische selbst, oder eine sangmäßige,
etwas steifer und strenger gehaltene. Im Stil der letzten Art
ist eine Aehnlichkeit mit gewissen unserer erzählenden gleichzeiti-
gen Gedichte kaum zu verkennen, von denen sich sagen läßt,
einmal, daß sich das Meistersängerische in ihnen freier, dann,
das Volksartige enger und beschränkter zeige. Dagegen be-
stand auch in England, vermuthlich zu aller Zeit eine Menge
herrlicher Volkslieder, die besonders Schottland bis auf die
neuste gebracht hat. Hierhin rechne ich auch die berühmten,
verloren gegangenen altbritannischen Leiche, für welche, könn-
ten wir noch zu ihnen, als der frischen und lauteren Quelle
aller Sagen von Artur und der Tafelrunde gehen, wir gerne
den schon getrübten französischen Fluß geben wollten.



sind einige neuere englische Schriftsteller, bes. Edward Jones
und William Owen nicht critisch genug verfahren, obwohl es
ihnen an reichen Materialien nicht gefehlt haben mag, da sie
schon so recht vieles mittheilen Die Alliteration hieß bei den
Barden cyfrinach y beirdd oder poetio secret of the bards.
An Förmlichkeit hat es hier sicher nicht gemangelt, so wenig un-
bedingten Glauben auch manche, wie Keating, zu verdienen
scheinen.

England keine Minnepoeſie gehabt, dieſe alſo auch nicht in
dem ernſthaften ſpaͤteren Meiſtergeſang endigen konnte. Die
erzaͤhlenden engliſchen Gedichte des 13ten und 14ten Jahrhun-
derts wurden entweder franzoͤſiſchen nachgeahmt, oder in dieſem
Sinn doch aus alten Liedern und Sagen hergenommen. Die
Form iſt daher jene franzoͤſiſche ſelbſt, oder eine ſangmaͤßige,
etwas ſteifer und ſtrenger gehaltene. Im Stil der letzten Art
iſt eine Aehnlichkeit mit gewiſſen unſerer erzaͤhlenden gleichzeiti-
gen Gedichte kaum zu verkennen, von denen ſich ſagen laͤßt,
einmal, daß ſich das Meiſterſaͤngeriſche in ihnen freier, dann,
das Volksartige enger und beſchraͤnkter zeige. Dagegen be-
ſtand auch in England, vermuthlich zu aller Zeit eine Menge
herrlicher Volkslieder, die beſonders Schottland bis auf die
neuſte gebracht hat. Hierhin rechne ich auch die beruͤhmten,
verloren gegangenen altbritanniſchen Leiche, fuͤr welche, koͤnn-
ten wir noch zu ihnen, als der friſchen und lauteren Quelle
aller Sagen von Artur und der Tafelrunde gehen, wir gerne
den ſchon getruͤbten franzoͤſiſchen Fluß geben wollten.



ſind einige neuere engliſche Schriftſteller, beſ. Edward Jones
und William Owen nicht critiſch genug verfahren, obwohl es
ihnen an reichen Materialien nicht gefehlt haben mag, da ſie
ſchon ſo recht vieles mittheilen Die Alliteration hieß bei den
Barden cyfrinach y beirdd oder poetio secret of the bards.
An Foͤrmlichkeit hat es hier ſicher nicht gemangelt, ſo wenig un-
bedingten Glauben auch manche, wie Keating, zu verdienen
ſcheinen.
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[169/0179] England keine Minnepoeſie gehabt, dieſe alſo auch nicht in dem ernſthaften ſpaͤteren Meiſtergeſang endigen konnte. Die erzaͤhlenden engliſchen Gedichte des 13ten und 14ten Jahrhun- derts wurden entweder franzoͤſiſchen nachgeahmt, oder in dieſem Sinn doch aus alten Liedern und Sagen hergenommen. Die Form iſt daher jene franzoͤſiſche ſelbſt, oder eine ſangmaͤßige, etwas ſteifer und ſtrenger gehaltene. Im Stil der letzten Art iſt eine Aehnlichkeit mit gewiſſen unſerer erzaͤhlenden gleichzeiti- gen Gedichte kaum zu verkennen, von denen ſich ſagen laͤßt, einmal, daß ſich das Meiſterſaͤngeriſche in ihnen freier, dann, das Volksartige enger und beſchraͤnkter zeige. Dagegen be- ſtand auch in England, vermuthlich zu aller Zeit eine Menge herrlicher Volkslieder, die beſonders Schottland bis auf die neuſte gebracht hat. Hierhin rechne ich auch die beruͤhmten, verloren gegangenen altbritanniſchen Leiche, fuͤr welche, koͤnn- ten wir noch zu ihnen, als der friſchen und lauteren Quelle aller Sagen von Artur und der Tafelrunde gehen, wir gerne den ſchon getruͤbten franzoͤſiſchen Fluß geben wollten. 200) 200) ſind einige neuere engliſche Schriftſteller, beſ. Edward Jones und William Owen nicht critiſch genug verfahren, obwohl es ihnen an reichen Materialien nicht gefehlt haben mag, da ſie ſchon ſo recht vieles mittheilen Die Alliteration hieß bei den Barden cyfrinach y beirdd oder poetio secret of the bards. An Foͤrmlichkeit hat es hier ſicher nicht gemangelt, ſo wenig un- bedingten Glauben auch manche, wie Keating, zu verdienen ſcheinen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/179>, abgerufen am 29.03.2024.