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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Zeile. Nehmen wir nun das sehr unrein auf uns gekommene
und am Ende erst, nachdem es sich im Mund der Sänger
vielfach ausgesungen, aufgezeichnete Lied von Salomon und
Morolf hinzu, so erblicken wir darin außer jenen langzeili-
gen Strophen eine große Zahl gemischt gehaltener, aber auch
eine merkbare, wo die beiden ersten Zeilen, vorzüglich der
dritte kurz ausfallen, und nur die vierte (indem man die
abgesetzte, reimlose dazu zu schlagen hat) bedeutend lang
wird und einen großen Abstand von der dritten macht. Ver-
gleichen wir die Strophen letzter Art mit einer andern im
16ten und 17ten Jahrhundert gangbarsten Weise, in welcher
sich freilich die Form schon wieder mehr gesetzt, namentlich
für die beiden letzten Zeilen auf weiblicher Endung bestan-
den hat, (doch auch dieses im Morolf z. B. 256 -- 260.
272 -- 276. 292 -- 297.) so haben wir wieder unleugbare
Uebereinstimmung gefunden. Das könnte also für das Al-
ter und zugleich die anfänglich größere Ungebundenheit der
hiermit gemeinten Jacobsweise (Wunderh. 2. 327.) Zeug-
niß ablegen, in welcher so manches Lied, z. B. der Linden-
schmied, König Lasla, Störtebecher, Henneke Han, die Pa-
viaschlacht, Magdeburger Fehde u. s. w. gedichtet worden ist.
(In Brentanos Liederhandschrift wird dieser Volkston ge-
nannt: Besteuzer oder Bestenzer, ich vermuthe: Schreibfeh-
ler für Kostenzer, indem damit das bekannte Striegellied
gemeint seyn kann.)
Allein noch einen andern Weg hat vielleicht jener alte
Ton bis in die spätere Volkspoesie eingeschlagen. Nämlich
gleichwie der Hildebrandston aus dem Nibelungenlied ent-
stand, oder Wolfram die zwei Stollzeilen des alten Titurels
in vier kleinere theilte, so mag diese Verrichtung auch hier
ihrerseits und für sich die Volkspoesie unternommen haben,
nur daß sie dabei, wie zu erwarten stehet, freier zu Werke
ging. So scheint mir weiter aus dem alten Ton mit der
Zeile. Nehmen wir nun das ſehr unrein auf uns gekommene
und am Ende erſt, nachdem es ſich im Mund der Saͤnger
vielfach ausgeſungen, aufgezeichnete Lied von Salomon und
Morolf hinzu, ſo erblicken wir darin außer jenen langzeili-
gen Strophen eine große Zahl gemiſcht gehaltener, aber auch
eine merkbare, wo die beiden erſten Zeilen, vorzuͤglich der
dritte kurz ausfallen, und nur die vierte (indem man die
abgeſetzte, reimloſe dazu zu ſchlagen hat) bedeutend lang
wird und einen großen Abſtand von der dritten macht. Ver-
gleichen wir die Strophen letzter Art mit einer andern im
16ten und 17ten Jahrhundert gangbarſten Weiſe, in welcher
ſich freilich die Form ſchon wieder mehr geſetzt, namentlich
fuͤr die beiden letzten Zeilen auf weiblicher Endung beſtan-
den hat, (doch auch dieſes im Morolf z. B. 256 — 260.
272 — 276. 292 — 297.) ſo haben wir wieder unleugbare
Uebereinſtimmung gefunden. Das koͤnnte alſo fuͤr das Al-
ter und zugleich die anfaͤnglich groͤßere Ungebundenheit der
hiermit gemeinten Jacobsweiſe (Wunderh. 2. 327.) Zeug-
niß ablegen, in welcher ſo manches Lied, z. B. der Linden-
ſchmied, Koͤnig Laſla, Stoͤrtebecher, Henneke Han, die Pa-
viaſchlacht, Magdeburger Fehde u. ſ. w. gedichtet worden iſt.
(In Brentanos Liederhandſchrift wird dieſer Volkston ge-
nannt: Beſteuzer oder Beſtenzer, ich vermuthe: Schreibfeh-
ler fuͤr Koſtenzer, indem damit das bekannte Striegellied
gemeint ſeyn kann.)
Allein noch einen andern Weg hat vielleicht jener alte
Ton bis in die ſpaͤtere Volkspoeſie eingeſchlagen. Naͤmlich
gleichwie der Hildebrandston aus dem Nibelungenlied ent-
ſtand, oder Wolfram die zwei Stollzeilen des alten Titurels
in vier kleinere theilte, ſo mag dieſe Verrichtung auch hier
ihrerſeits und fuͤr ſich die Volkspoeſie unternommen haben,
nur daß ſie dabei, wie zu erwarten ſtehet, freier zu Werke
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[179/0189] Zeile. Nehmen wir nun das ſehr unrein auf uns gekommene und am Ende erſt, nachdem es ſich im Mund der Saͤnger vielfach ausgeſungen, aufgezeichnete Lied von Salomon und Morolf hinzu, ſo erblicken wir darin außer jenen langzeili- gen Strophen eine große Zahl gemiſcht gehaltener, aber auch eine merkbare, wo die beiden erſten Zeilen, vorzuͤglich der dritte kurz ausfallen, und nur die vierte (indem man die abgeſetzte, reimloſe dazu zu ſchlagen hat) bedeutend lang wird und einen großen Abſtand von der dritten macht. Ver- gleichen wir die Strophen letzter Art mit einer andern im 16ten und 17ten Jahrhundert gangbarſten Weiſe, in welcher ſich freilich die Form ſchon wieder mehr geſetzt, namentlich fuͤr die beiden letzten Zeilen auf weiblicher Endung beſtan- den hat, (doch auch dieſes im Morolf z. B. 256 — 260. 272 — 276. 292 — 297.) ſo haben wir wieder unleugbare Uebereinſtimmung gefunden. Das koͤnnte alſo fuͤr das Al- ter und zugleich die anfaͤnglich groͤßere Ungebundenheit der hiermit gemeinten Jacobsweiſe (Wunderh. 2. 327.) Zeug- niß ablegen, in welcher ſo manches Lied, z. B. der Linden- ſchmied, Koͤnig Laſla, Stoͤrtebecher, Henneke Han, die Pa- viaſchlacht, Magdeburger Fehde u. ſ. w. gedichtet worden iſt. (In Brentanos Liederhandſchrift wird dieſer Volkston ge- nannt: Beſteuzer oder Beſtenzer, ich vermuthe: Schreibfeh- ler fuͤr Koſtenzer, indem damit das bekannte Striegellied gemeint ſeyn kann.) Allein noch einen andern Weg hat vielleicht jener alte Ton bis in die ſpaͤtere Volkspoeſie eingeſchlagen. Naͤmlich gleichwie der Hildebrandston aus dem Nibelungenlied ent- ſtand, oder Wolfram die zwei Stollzeilen des alten Titurels in vier kleinere theilte, ſo mag dieſe Verrichtung auch hier ihrerſeits und fuͤr ſich die Volkspoeſie unternommen haben, nur daß ſie dabei, wie zu erwarten ſtehet, freier zu Werke ging. So ſcheint mir weiter aus dem alten Ton mit der

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/189>, abgerufen am 29.03.2024.