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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Ueberschrift: "ein ander weis" einführe. Allein wenn man
erwägt, daß der, wohl in der ersten Hälfte des 15ten
Jahrhunderts lebende Copist ein Paar alte Minnelieder
höchst incorrect, fragmentarisch und unter einander gewor-
fen, mitten unter Frauenlobische Meisterlieder gestellt hat,
so ist leicht zu ermessen, daß er zu den vielleicht seiner
Zeit noch gangbaren Weisen die Tonnamen angeben konnte,
die älteren Weisen aber nicht mehr recht verstand, oder
noch glaublicher, daß er sich nach den verschiedenen Origi-
nalen, die er ausgeschrieben, gerichtet, wo er dann leicht
erstere Lieder mit, letztere ohne Namen vorfand. Außerdem
sind ja selbst die alten Minnelieder hier äußerlich nach Stol-
len und Abgesang getheilt, so wie einige in jeder Absicht
unbestreitbare Meisterlieder ebenfalls bloß als "ein ander
Ton" angezeigt. Mithin bleibt der Einwurf eben so unbe-
deutend, wie jener, daß Frauenlobs Lieder in der maneßi-
schen Handschrift ohne Rubrik der Töne stehen.
S. 37. Anm. 26. Daß Otfried seine Arbeit für den Gesang der
Franken bestimmte, läßt sich nach seinen eigenen Aeußerungen
und dem vierzeiligen Strophenbau kaum bezweifeln. Aber
ob sie je gesungen worden sind! die unsanghaften, meist auf
leerer Endung ruhenden Reime.
S. 135. Z. 3. Die maneßische Sammlung bekanntlich ent-
hält nur zwölf solcher Brennberger (sollte aber nicht später
die Weise mit des Tanhäusers Hofton verwechselt worden
seyn, unerachtet der verkürzten zweiten und vierten Zeile
des Abgesangs?), wovon wiederum nur neun zu der be-
rühmten Liebesgeschichte des Dichters gehören. Ich habe
diese aus andern Handschriften schon mit neunzehn neuen
Strophen (worunter ausgezeichnete) vermehren können, und
werde bei Gelegenheit das Ganze, nebst verschiedenen an-
dern Liedern in derselben Gesangweise bekannt machen.

Ueberſchrift: „ein ander weis“ einfuͤhre. Allein wenn man
erwaͤgt, daß der, wohl in der erſten Haͤlfte des 15ten
Jahrhunderts lebende Copiſt ein Paar alte Minnelieder
hoͤchſt incorrect, fragmentariſch und unter einander gewor-
fen, mitten unter Frauenlobiſche Meiſterlieder geſtellt hat,
ſo iſt leicht zu ermeſſen, daß er zu den vielleicht ſeiner
Zeit noch gangbaren Weiſen die Tonnamen angeben konnte,
die aͤlteren Weiſen aber nicht mehr recht verſtand, oder
noch glaublicher, daß er ſich nach den verſchiedenen Origi-
nalen, die er ausgeſchrieben, gerichtet, wo er dann leicht
erſtere Lieder mit, letztere ohne Namen vorfand. Außerdem
ſind ja ſelbſt die alten Minnelieder hier aͤußerlich nach Stol-
len und Abgeſang getheilt, ſo wie einige in jeder Abſicht
unbeſtreitbare Meiſterlieder ebenfalls bloß als „ein ander
Ton“ angezeigt. Mithin bleibt der Einwurf eben ſo unbe-
deutend, wie jener, daß Frauenlobs Lieder in der maneßi-
ſchen Handſchrift ohne Rubrik der Toͤne ſtehen.
S. 37. Anm. 26. Daß Otfried ſeine Arbeit fuͤr den Geſang der
Franken beſtimmte, laͤßt ſich nach ſeinen eigenen Aeußerungen
und dem vierzeiligen Strophenbau kaum bezweifeln. Aber
ob ſie je geſungen worden ſind! die unſanghaften, meiſt auf
leerer Endung ruhenden Reime.
S. 135. Z. 3. Die maneßiſche Sammlung bekanntlich ent-
haͤlt nur zwoͤlf ſolcher Brennberger (ſollte aber nicht ſpaͤter
die Weiſe mit des Tanhaͤuſers Hofton verwechſelt worden
ſeyn, unerachtet der verkuͤrzten zweiten und vierten Zeile
des Abgeſangs?), wovon wiederum nur neun zu der be-
ruͤhmten Liebesgeſchichte des Dichters gehoͤren. Ich habe
dieſe aus andern Handſchriften ſchon mit neunzehn neuen
Strophen (worunter ausgezeichnete) vermehren koͤnnen, und
werde bei Gelegenheit das Ganze, nebſt verſchiedenen an-
dern Liedern in derſelben Geſangweiſe bekannt machen.

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[185/0195] Ueberſchrift: „ein ander weis“ einfuͤhre. Allein wenn man erwaͤgt, daß der, wohl in der erſten Haͤlfte des 15ten Jahrhunderts lebende Copiſt ein Paar alte Minnelieder hoͤchſt incorrect, fragmentariſch und unter einander gewor- fen, mitten unter Frauenlobiſche Meiſterlieder geſtellt hat, ſo iſt leicht zu ermeſſen, daß er zu den vielleicht ſeiner Zeit noch gangbaren Weiſen die Tonnamen angeben konnte, die aͤlteren Weiſen aber nicht mehr recht verſtand, oder noch glaublicher, daß er ſich nach den verſchiedenen Origi- nalen, die er ausgeſchrieben, gerichtet, wo er dann leicht erſtere Lieder mit, letztere ohne Namen vorfand. Außerdem ſind ja ſelbſt die alten Minnelieder hier aͤußerlich nach Stol- len und Abgeſang getheilt, ſo wie einige in jeder Abſicht unbeſtreitbare Meiſterlieder ebenfalls bloß als „ein ander Ton“ angezeigt. Mithin bleibt der Einwurf eben ſo unbe- deutend, wie jener, daß Frauenlobs Lieder in der maneßi- ſchen Handſchrift ohne Rubrik der Toͤne ſtehen. S. 37. Anm. 26. Daß Otfried ſeine Arbeit fuͤr den Geſang der Franken beſtimmte, laͤßt ſich nach ſeinen eigenen Aeußerungen und dem vierzeiligen Strophenbau kaum bezweifeln. Aber ob ſie je geſungen worden ſind! die unſanghaften, meiſt auf leerer Endung ruhenden Reime. S. 135. Z. 3. Die maneßiſche Sammlung bekanntlich ent- haͤlt nur zwoͤlf ſolcher Brennberger (ſollte aber nicht ſpaͤter die Weiſe mit des Tanhaͤuſers Hofton verwechſelt worden ſeyn, unerachtet der verkuͤrzten zweiten und vierten Zeile des Abgeſangs?), wovon wiederum nur neun zu der be- ruͤhmten Liebesgeſchichte des Dichters gehoͤren. Ich habe dieſe aus andern Handſchriften ſchon mit neunzehn neuen Strophen (worunter ausgezeichnete) vermehren koͤnnen, und werde bei Gelegenheit das Ganze, nebſt verſchiedenen an- dern Liedern in derſelben Geſangweiſe bekannt machen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/195>, abgerufen am 28.03.2024.