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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Nicht viel anders verhält es sich mit den bei Hiltbolt
1. 146. (kalte rifen und sne etc.) und Nithart 2. 82. (ein
altu vor etc.) befindlichen kurzzeiligen Strophen von vier Rei-
men. In solchen streift Volksgesang in den meisterlichen hinü-
ber, oder umgekehrt. Noch weniger können die in einem Liede
Wolframs 1. 147. (der helden minne etc.) und bei Walter
1. 102. (ich sas uf einem etc.) 1. 109. (do der sumer etc.) vor-
kommenden, nicht überschlagenden 39) Reime eingeworfen wer-
den, in denen nichts volksmäßiges liegt. In Dietmars
Liede 1. 39. (es stuont ein frowe etc.) treten sie kaum aus den
Assonanzen heraus, reiner sind sie bei demselben 1. 41. (slafest
du friedel etc.) und bei Friedr. v. Husen 1. 93. (si darf mich etc.)
Ich brauche bloß zu bemerken, daß eine gleiche Anomalie in
Hans Sachsens Spruch- und Rosenweis statt findet, worin
auch solche unmittelbare Reime. Dahin gehört endlich die
fünfzeilige Strophe Walters 1. 113. (uns hat der Winter etc.)
und sein Vocalenspiel 1. 125.

Zweiter Einwand. (Abnorme Fälle.)

Wichtiger scheinen sich einige offenbare kunstmäßige Lieder
nicht das System gefallen zu lassen. Sie fodern eine genaue
Aufmerksamkeit.

1) Die maneßische Sammlung zählt Lieder, die nur aus
zwei zu einander zugewandten oder sich genau auf einander be-
ziehenden Theilen zu bestehen scheinen, so daß das Ende des
einen an den Anfang des andern reicht und nun dieselbe Reim-
leiter wieder hinaufgestiegen wird; oder auch nur so, daß alle
in dem ersten Theil aufgewandte Töne in dem zweiten ihre

39) Besser wäre ein positiver Ausdruck. Man könnte sie die so-
gleich gebundenen, unmittelbaren nennen, im Gegensatz zu den
sich verschlingenden.
D

Nicht viel anders verhaͤlt es ſich mit den bei Hiltbolt
1. 146. (kalte rifen und ſne ꝛc.) und Nithart 2. 82. (ein
altu vor ꝛc.) befindlichen kurzzeiligen Strophen von vier Rei-
men. In ſolchen ſtreift Volksgeſang in den meiſterlichen hinuͤ-
ber, oder umgekehrt. Noch weniger koͤnnen die in einem Liede
Wolframs 1. 147. (der helden minne ꝛc.) und bei Walter
1. 102. (ich ſas uf einem ꝛc.) 1. 109. (do der ſumer ꝛc.) vor-
kommenden, nicht uͤberſchlagenden 39) Reime eingeworfen wer-
den, in denen nichts volksmaͤßiges liegt. In Dietmars
Liede 1. 39. (es ſtuont ein frowe ꝛc.) treten ſie kaum aus den
Aſſonanzen heraus, reiner ſind ſie bei demſelben 1. 41. (ſlafeſt
du friedel ꝛc.) und bei Friedr. v. Huſen 1. 93. (ſi darf mich ꝛc.)
Ich brauche bloß zu bemerken, daß eine gleiche Anomalie in
Hans Sachſens Spruch- und Roſenweis ſtatt findet, worin
auch ſolche unmittelbare Reime. Dahin gehoͤrt endlich die
fuͤnfzeilige Strophe Walters 1. 113. (uns hat der Winter ꝛc.)
und ſein Vocalenſpiel 1. 125.

Zweiter Einwand. (Abnorme Faͤlle.)

Wichtiger ſcheinen ſich einige offenbare kunſtmaͤßige Lieder
nicht das Syſtem gefallen zu laſſen. Sie fodern eine genaue
Aufmerkſamkeit.

1) Die maneßiſche Sammlung zaͤhlt Lieder, die nur aus
zwei zu einander zugewandten oder ſich genau auf einander be-
ziehenden Theilen zu beſtehen ſcheinen, ſo daß das Ende des
einen an den Anfang des andern reicht und nun dieſelbe Reim-
leiter wieder hinaufgeſtiegen wird; oder auch nur ſo, daß alle
in dem erſten Theil aufgewandte Toͤne in dem zweiten ihre

39) Beſſer waͤre ein poſitiver Ausdruck. Man koͤnnte ſie die ſo-
gleich gebundenen, unmittelbaren nennen, im Gegenſatz zu den
ſich verſchlingenden.
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[49/0059] Nicht viel anders verhaͤlt es ſich mit den bei Hiltbolt 1. 146. (kalte rifen und ſne ꝛc.) und Nithart 2. 82. (ein altu vor ꝛc.) befindlichen kurzzeiligen Strophen von vier Rei- men. In ſolchen ſtreift Volksgeſang in den meiſterlichen hinuͤ- ber, oder umgekehrt. Noch weniger koͤnnen die in einem Liede Wolframs 1. 147. (der helden minne ꝛc.) und bei Walter 1. 102. (ich ſas uf einem ꝛc.) 1. 109. (do der ſumer ꝛc.) vor- kommenden, nicht uͤberſchlagenden 39) Reime eingeworfen wer- den, in denen nichts volksmaͤßiges liegt. In Dietmars Liede 1. 39. (es ſtuont ein frowe ꝛc.) treten ſie kaum aus den Aſſonanzen heraus, reiner ſind ſie bei demſelben 1. 41. (ſlafeſt du friedel ꝛc.) und bei Friedr. v. Huſen 1. 93. (ſi darf mich ꝛc.) Ich brauche bloß zu bemerken, daß eine gleiche Anomalie in Hans Sachſens Spruch- und Roſenweis ſtatt findet, worin auch ſolche unmittelbare Reime. Dahin gehoͤrt endlich die fuͤnfzeilige Strophe Walters 1. 113. (uns hat der Winter ꝛc.) und ſein Vocalenſpiel 1. 125. Zweiter Einwand. (Abnorme Faͤlle.) Wichtiger ſcheinen ſich einige offenbare kunſtmaͤßige Lieder nicht das Syſtem gefallen zu laſſen. Sie fodern eine genaue Aufmerkſamkeit. 1) Die maneßiſche Sammlung zaͤhlt Lieder, die nur aus zwei zu einander zugewandten oder ſich genau auf einander be- ziehenden Theilen zu beſtehen ſcheinen, ſo daß das Ende des einen an den Anfang des andern reicht und nun dieſelbe Reim- leiter wieder hinaufgeſtiegen wird; oder auch nur ſo, daß alle in dem erſten Theil aufgewandte Toͤne in dem zweiten ihre 39) Beſſer waͤre ein poſitiver Ausdruck. Man koͤnnte ſie die ſo- gleich gebundenen, unmittelbaren nennen, im Gegenſatz zu den ſich verſchlingenden. D

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/59>, abgerufen am 29.03.2024.