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Grimm, Albert Ludwig: Die malerischen und romantischen Stellen des Odenwaldes. Darmstadt, 1843.

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Im dreissigjährigen und Orleans'schen Kriege zerstörten die Franzosen die Klosterkirche und das Kloster; nur das Kapitelhaus blieb stehen und ist jetzt noch die protestantische Kirche; die neuere katholische Kirche wurde im Jahre 1737 erbaut. Die wenigen vorgothischen Reste des Klosters und der Kirche dienen in manchen neueren Gebäuden zur Rückwand. Sehenswürdig ist der schöne und noch wohl erhaltene Thorbogen der Kirche mit der Inschrift an dem einen Pfeiler, die uns anzeigt, wie reichlich die Kirche mit ewig brennenden Lichtern versehen war.

Unter den Mönchen dieses Klosters lebte unerkannt auch eine Zeitlang eine Heilige. Sie wollte sich unter die frommen Brüder desselben aufnehmen lassen, starb aber, noch ehe sie ihr Gelübde abgelegt hatte, als Novize. Wir lassen die fromme Sage von ihrem Leben und Tode hier folgen.



Legende von der heiligen Hildegunde.

In der Nähe der Stadt Köln lebten zwei fromme Eheleute im Wohlstand und Ansehen; Eines fehlte aber zu ihrem vollkommenen Glücke, ihre Ehe war lange Jahre kinderlos. Gebete und Gelübde, die sie gen Himmel schickten, schienen lange unerhört zu bleiben. Als eine besondere Gunst erschien ihnen daher die glückliche Geburt zweier Zwillingsschwestern. Eine derselben war Hildegunde. Kaum waren die beiden Mädchen den Jahren der hilfsbedürftigen Kindheit entwachsen, so brachten sie die Aeltern, um ihr Dankgelöbniss zu erfüllen, in ein Frauenkloster zu Neuss, dem sie ihre Erziehung anvertrauten, und begaben sich auf die weite Pilgerreise nach dem gelobten Lande.

Kein Unfall störte ihre Reise; sie kehrten glücklich in die Heimath zurück. Allein bald darauf starb die Mutter. Da entschloss sich der Vater, von frommer Neigung getrieben, noch einmal die heiligen Stellen zu besuchen, wo der Heiland gelebt und gelitten. Als aber Hildegunde von diesem Vorhaben erfuhr, lag sie ihrem Vater mit Bitten und Thränen so lange an, bis er ihr erlaubte, ihn zu begleiten. Schnell waren ihre Zurüstungen gemacht, und um jedem Anstosse vorzubeugen, den ihr Geschlecht auf der weiten Reise geben konnte, zog sie als junger Pilgersmann

Im dreissigjährigen und Orleans’schen Kriege zerstörten die Franzosen die Klosterkirche und das Kloster; nur das Kapitelhaus blieb stehen und ist jetzt noch die protestantische Kirche; die neuere katholische Kirche wurde im Jahre 1737 erbaut. Die wenigen vorgothischen Reste des Klosters und der Kirche dienen in manchen neueren Gebäuden zur Rückwand. Sehenswürdig ist der schöne und noch wohl erhaltene Thorbogen der Kirche mit der Inschrift an dem einen Pfeiler, die uns anzeigt, wie reichlich die Kirche mit ewig brennenden Lichtern versehen war.

Unter den Mönchen dieses Klosters lebte unerkannt auch eine Zeitlang eine Heilige. Sie wollte sich unter die frommen Brüder desselben aufnehmen lassen, starb aber, noch ehe sie ihr Gelübde abgelegt hatte, als Novize. Wir lassen die fromme Sage von ihrem Leben und Tode hier folgen.



Legende von der heiligen Hildegunde.

In der Nähe der Stadt Köln lebten zwei fromme Eheleute im Wohlstand und Ansehen; Eines fehlte aber zu ihrem vollkommenen Glücke, ihre Ehe war lange Jahre kinderlos. Gebete und Gelübde, die sie gen Himmel schickten, schienen lange unerhört zu bleiben. Als eine besondere Gunst erschien ihnen daher die glückliche Geburt zweier Zwillingsschwestern. Eine derselben war Hildegunde. Kaum waren die beiden Mädchen den Jahren der hilfsbedürftigen Kindheit entwachsen, so brachten sie die Aeltern, um ihr Dankgelöbniss zu erfüllen, in ein Frauenkloster zu Neuss, dem sie ihre Erziehung anvertrauten, und begaben sich auf die weite Pilgerreise nach dem gelobten Lande.

Kein Unfall störte ihre Reise; sie kehrten glücklich in die Heimath zurück. Allein bald darauf starb die Mutter. Da entschloss sich der Vater, von frommer Neigung getrieben, noch einmal die heiligen Stellen zu besuchen, wo der Heiland gelebt und gelitten. Als aber Hildegunde von diesem Vorhaben erfuhr, lag sie ihrem Vater mit Bitten und Thränen so lange an, bis er ihr erlaubte, ihn zu begleiten. Schnell waren ihre Zurüstungen gemacht, und um jedem Anstosse vorzubeugen, den ihr Geschlecht auf der weiten Reise geben konnte, zog sie als junger Pilgersmann

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[62/0062] Im dreissigjährigen und Orleans’schen Kriege zerstörten die Franzosen die Klosterkirche und das Kloster; nur das Kapitelhaus blieb stehen und ist jetzt noch die protestantische Kirche; die neuere katholische Kirche wurde im Jahre 1737 erbaut. Die wenigen vorgothischen Reste des Klosters und der Kirche dienen in manchen neueren Gebäuden zur Rückwand. Sehenswürdig ist der schöne und noch wohl erhaltene Thorbogen der Kirche mit der Inschrift an dem einen Pfeiler, die uns anzeigt, wie reichlich die Kirche mit ewig brennenden Lichtern versehen war. Unter den Mönchen dieses Klosters lebte unerkannt auch eine Zeitlang eine Heilige. Sie wollte sich unter die frommen Brüder desselben aufnehmen lassen, starb aber, noch ehe sie ihr Gelübde abgelegt hatte, als Novize. Wir lassen die fromme Sage von ihrem Leben und Tode hier folgen. Legende von der heiligen Hildegunde. In der Nähe der Stadt Köln lebten zwei fromme Eheleute im Wohlstand und Ansehen; Eines fehlte aber zu ihrem vollkommenen Glücke, ihre Ehe war lange Jahre kinderlos. Gebete und Gelübde, die sie gen Himmel schickten, schienen lange unerhört zu bleiben. Als eine besondere Gunst erschien ihnen daher die glückliche Geburt zweier Zwillingsschwestern. Eine derselben war Hildegunde. Kaum waren die beiden Mädchen den Jahren der hilfsbedürftigen Kindheit entwachsen, so brachten sie die Aeltern, um ihr Dankgelöbniss zu erfüllen, in ein Frauenkloster zu Neuss, dem sie ihre Erziehung anvertrauten, und begaben sich auf die weite Pilgerreise nach dem gelobten Lande. Kein Unfall störte ihre Reise; sie kehrten glücklich in die Heimath zurück. Allein bald darauf starb die Mutter. Da entschloss sich der Vater, von frommer Neigung getrieben, noch einmal die heiligen Stellen zu besuchen, wo der Heiland gelebt und gelitten. Als aber Hildegunde von diesem Vorhaben erfuhr, lag sie ihrem Vater mit Bitten und Thränen so lange an, bis er ihr erlaubte, ihn zu begleiten. Schnell waren ihre Zurüstungen gemacht, und um jedem Anstosse vorzubeugen, den ihr Geschlecht auf der weiten Reise geben konnte, zog sie als junger Pilgersmann

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Zitationshilfe: Grimm, Albert Ludwig: Die malerischen und romantischen Stellen des Odenwaldes. Darmstadt, 1843, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_odenwald_1843/62>, abgerufen am 24.04.2024.