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German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.

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Viertes Buch.
ich mit einer schönen Manier hinauß/ biß ich vor
Plu[t]onem und Proserpinam in die Hölle kam/ densel-
ben stellte ich in einem sehr beweglichen Lied ihre Lieb/
die sie beyde zusammen trügen/ vor Augen/ und bate
sie/ darbey abzunehmen/ mit was grossem Schmer-
tzen ich und Euridice voneinander geschieden worden
wären/ bat demnach mit den aller- andächtigsten Ge-
berden/ und zwar alles in meine Harffe singend/ sie
wolten mir solche wider zukommen lassen/ und nach-
dem ich das Jawort erhalten/ bedanckte ich mich mit
einem frölichen Lied gegen ihnen/ und wuste das An-
gesicht sampt Geberden und Stimme so frölich zu ver-
kehren/ daß sich alle anwesende Zuseher darüber ver-
wunderten. Da ich aber meine Euridice wieder ohn-
versehens verlohr/ bildet ich mir die gröste Gefahr
ein/ darein je ein Mensch gerathen könte/ und wurde
davon so bleich/ als ob mir ohnmächtig werden wol-
len/ dann weil ich damals allein auff der Schäubühne
war/ und alle Spectatores auff mich sahen/ beflisse ich
mich meiner Sachen desto eyferiger/ und bekam die
Ehr darvon/ daß ich am besten agirt hätte. Nachge-
hends setzte ich mich auff einen Felsen/ und fieng an
den Verlust meiner Liebsten mit erbärmlichen Wor-
ten und [e]iner traurigen Melodey zu beklagen/ und
alle Cre[n]turen umb Mitleiden anzuruffen/ darauff
stellten sich allerhand zahme und wilde Thier/ Berg/
Bäum und dergleichen bey mir ein/ also daß es in
Warheit ein Ansehen hatte/ als ob alles mit Zaube-
rey über natürlicher Weis wäre zugericht worden.
Keinen andern Fehler begieng ich/ als zuletzt/ da ich
allen Weibern abgesagt/ von den Bacchis erwürgt/
und ins Wasser geworffen war (welches zugericht

gewe-

Viertes Buch.
ich mit einer ſchoͤnen Manier hinauß/ biß ich vor
Plu[t]onem und Proſerpinam in die Hoͤlle kam/ denſel-
ben ſtellte ich in einem ſehr beweglichen Lied ihre Lieb/
die ſie beyde zuſammen truͤgen/ vor Augen/ und bate
ſie/ darbey abzunehmen/ mit was groſſem Schmer-
tzen ich und Euridice voneinander geſchieden worden
waͤren/ bat demnach mit den aller- andaͤchtigſten Ge-
berden/ und zwar alles in meine Harffe ſingend/ ſie
wolten mir ſolche wider zukommen laſſen/ und nach-
dem ich das Jawort erhalten/ bedanckte ich mich mit
einem froͤlichen Lied gegen ihnen/ und wuſte das An-
geſicht ſampt Geberden und Stim̃e ſo froͤlich zu ver-
kehren/ daß ſich alle anweſende Zuſeher daruͤber ver-
wunderten. Da ich aber meine Euridice wieder ohn-
verſehens verlohr/ bildet ich mir die groͤſte Gefahr
ein/ darein je ein Menſch gerathen koͤnte/ und wurde
davon ſo bleich/ als ob mir ohnmaͤchtig werden wol-
len/ dann weil ich damals allein auff der Schaͤubuͤhne
war/ und alle Spectatores auff mich ſahen/ befliſſe ich
mich meiner Sachen deſto eyferiger/ und bekam die
Ehr darvon/ daß ich am beſten agirt haͤtte. Nachge-
hends ſetzte ich mich auff einen Felſen/ und fieng an
den Verluſt meiner Liebſten mit erbaͤrmlichen Wor-
ten und [e]iner traurigen Melodey zu beklagen/ und
alle Cre[n]turen umb Mitleiden anzuruffen/ darauff
ſtellten ſich allerhand zahme und wilde Thier/ Berg/
Baͤum und dergleichen bey mir ein/ alſo daß es in
Warheit ein Anſehen hatte/ als ob alles mit Zaube-
rey uͤber natuͤrlicher Weis waͤre zugericht worden.
Keinen andern Fehler begieng ich/ als zuletzt/ da ich
allen Weibern abgeſagt/ von den Bacchis erwuͤrgt/
und ins Waſſer geworffen war (welches zugericht

gewe-
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[397/0403] Viertes Buch. ich mit einer ſchoͤnen Manier hinauß/ biß ich vor Plutonem und Proſerpinam in die Hoͤlle kam/ denſel- ben ſtellte ich in einem ſehr beweglichen Lied ihre Lieb/ die ſie beyde zuſammen truͤgen/ vor Augen/ und bate ſie/ darbey abzunehmen/ mit was groſſem Schmer- tzen ich und Euridice voneinander geſchieden worden waͤren/ bat demnach mit den aller- andaͤchtigſten Ge- berden/ und zwar alles in meine Harffe ſingend/ ſie wolten mir ſolche wider zukommen laſſen/ und nach- dem ich das Jawort erhalten/ bedanckte ich mich mit einem froͤlichen Lied gegen ihnen/ und wuſte das An- geſicht ſampt Geberden und Stim̃e ſo froͤlich zu ver- kehren/ daß ſich alle anweſende Zuſeher daruͤber ver- wunderten. Da ich aber meine Euridice wieder ohn- verſehens verlohr/ bildet ich mir die groͤſte Gefahr ein/ darein je ein Menſch gerathen koͤnte/ und wurde davon ſo bleich/ als ob mir ohnmaͤchtig werden wol- len/ dann weil ich damals allein auff der Schaͤubuͤhne war/ und alle Spectatores auff mich ſahen/ befliſſe ich mich meiner Sachen deſto eyferiger/ und bekam die Ehr darvon/ daß ich am beſten agirt haͤtte. Nachge- hends ſetzte ich mich auff einen Felſen/ und fieng an den Verluſt meiner Liebſten mit erbaͤrmlichen Wor- ten und einer traurigen Melodey zu beklagen/ und alle Crenturen umb Mitleiden anzuruffen/ darauff ſtellten ſich allerhand zahme und wilde Thier/ Berg/ Baͤum und dergleichen bey mir ein/ alſo daß es in Warheit ein Anſehen hatte/ als ob alles mit Zaube- rey uͤber natuͤrlicher Weis waͤre zugericht worden. Keinen andern Fehler begieng ich/ als zuletzt/ da ich allen Weibern abgeſagt/ von den Bacchis erwuͤrgt/ und ins Waſſer geworffen war (welches zugericht gewe-

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Zitationshilfe: German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/403>, abgerufen am 29.03.2024.