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German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.

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Deß Abentheurl. Simplicissimi
die Wildnus außerwehlt? O blindes Ploch/ du hast
dieselbe verlassen/ in Hoffnung/ deinen schändlichen
Begierden (die Welt zu sehen) genug zu thun. Aber
nun schaue/ in dem du vermeynest/ deine Augen zu
wäiden/ mustu in diesem gefährlichen Jrrgarten un-
tergeben und verderben; Hastu unweiser Tropff dir
nicht zuvor können einbilden/ daß dein seeliger Vor-
gänger der Welt Freude umb sein hartes Leben/ das
er in der Einöde geführt/ nicht verdauscht haben wür-
de/ wenn er in der Welt den wahren Frieden/ eine
rechte Ruhe/ und die ewige Seeligkeit zu erlangen
getraut hätte? Du armer Simplici, jetzt fahr hin/ und
empfahe den Lohn deiner gehabten eitelen Gedancken
und vermessenen Thorheit; Du hast dich keines Un-
rechts zu beklagen/ auch keiner Unschuld zu getrö-
sten/ weil du selber deiner Marter und darauff fol-
gendem Todt entgegen bist geeylet. Also klagte ich
mich selber an/ bat GOtt umb Vergebung/ und be-
fahl ihm meine Seel: Jndessen näherten wir dem
Diebs-Thurn/ und als die Noth am grösten/ da war
die Hülff Gottes am nächsten; dann als ich mit den
Schergen umdgeben war/ und sampt einer grossen
Menge Volcks vorm Gefängnus stund/ zu warten
biß es auffgemacht/ und ich hinein gethan würde/
wolte mein Pfarrherr/ dem neulich sein Dorff ge-
plündert und verbrennt worden/ auch sehen/ was da
vorhanden wäre: (dann er lag zunächst darbey auch
im Arrest) Als dieser zum Fenster außsahe/ und mich
erblickte/ ruffte er überlaut: o Simplici bistus? Als
ich ihn hörte und sahe/ konte ich nichts anders/ als
daß ich beyde Händ gegen ihm auffhube/ und schrye:
o Vatter! o Vatter! o Vatter! Er aber fragte/

was

Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
die Wildnus außerwehlt? O blindes Ploch/ du haſt
dieſelbe verlaſſen/ in Hoffnung/ deinen ſchaͤndlichen
Begierden (die Welt zu ſehen) genug zu thun. Aber
nun ſchaue/ in dem du vermeyneſt/ deine Augen zu
waͤiden/ muſtu in dieſem gefaͤhrlichen Jrꝛgarten un-
tergeben und verderben; Haſtu unweiſer Tropff dir
nicht zuvor koͤnnen einbilden/ daß dein ſeeliger Vor-
gaͤnger der Welt Freude umb ſein hartes Leben/ das
er in der Einoͤde gefuͤhrt/ nicht verdauſcht haben wuͤr-
de/ wenn er in der Welt den wahren Frieden/ eine
rechte Ruhe/ und die ewige Seeligkeit zu erlangen
getraut haͤtte? Du armer Simplici, jetzt fahr hin/ und
empfahe den Lohn deiner gehabten eitelen Gedancken
und vermeſſenen Thorheit; Du haſt dich keines Un-
rechts zu beklagen/ auch keiner Unſchuld zu getroͤ-
ſten/ weil du ſelber deiner Marter und darauff fol-
gendem Todt entgegen biſt geeylet. Alſo klagte ich
mich ſelber an/ bat GOtt umb Vergebung/ und be-
fahl ihm meine Seel: Jndeſſen naͤherten wir dem
Diebs-Thurn/ und als die Noth am groͤſten/ da war
die Huͤlff Gottes am naͤchſten; dann als ich mit den
Schergen umdgeben war/ und ſampt einer groſſen
Menge Volcks vorm Gefaͤngnus ſtund/ zu warten
biß es auffgemacht/ und ich hinein gethan wuͤrde/
wolte mein Pfarꝛherꝛ/ dem neulich ſein Dorff ge-
pluͤndert und verbrennt worden/ auch ſehen/ was da
vorhanden waͤre: (dann er lag zunaͤchſt darbey auch
im Arreſt) Als dieſer zum Fenſter außſahe/ und mich
erblickte/ ruffte er uͤberlaut: ô Simplici biſtus? Als
ich ihn hoͤrte und ſahe/ konte ich nichts anders/ als
daß ich beyde Haͤnd gegen ihm auffhube/ und ſchrye:
ô Vatter! ô Vatter! ô Vatter! Er aber fragte/

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[72/0078] Deß Abentheurl. Simpliciſſimi die Wildnus außerwehlt? O blindes Ploch/ du haſt dieſelbe verlaſſen/ in Hoffnung/ deinen ſchaͤndlichen Begierden (die Welt zu ſehen) genug zu thun. Aber nun ſchaue/ in dem du vermeyneſt/ deine Augen zu waͤiden/ muſtu in dieſem gefaͤhrlichen Jrꝛgarten un- tergeben und verderben; Haſtu unweiſer Tropff dir nicht zuvor koͤnnen einbilden/ daß dein ſeeliger Vor- gaͤnger der Welt Freude umb ſein hartes Leben/ das er in der Einoͤde gefuͤhrt/ nicht verdauſcht haben wuͤr- de/ wenn er in der Welt den wahren Frieden/ eine rechte Ruhe/ und die ewige Seeligkeit zu erlangen getraut haͤtte? Du armer Simplici, jetzt fahr hin/ und empfahe den Lohn deiner gehabten eitelen Gedancken und vermeſſenen Thorheit; Du haſt dich keines Un- rechts zu beklagen/ auch keiner Unſchuld zu getroͤ- ſten/ weil du ſelber deiner Marter und darauff fol- gendem Todt entgegen biſt geeylet. Alſo klagte ich mich ſelber an/ bat GOtt umb Vergebung/ und be- fahl ihm meine Seel: Jndeſſen naͤherten wir dem Diebs-Thurn/ und als die Noth am groͤſten/ da war die Huͤlff Gottes am naͤchſten; dann als ich mit den Schergen umdgeben war/ und ſampt einer groſſen Menge Volcks vorm Gefaͤngnus ſtund/ zu warten biß es auffgemacht/ und ich hinein gethan wuͤrde/ wolte mein Pfarꝛherꝛ/ dem neulich ſein Dorff ge- pluͤndert und verbrennt worden/ auch ſehen/ was da vorhanden waͤre: (dann er lag zunaͤchſt darbey auch im Arreſt) Als dieſer zum Fenſter außſahe/ und mich erblickte/ ruffte er uͤberlaut: ô Simplici biſtus? Als ich ihn hoͤrte und ſahe/ konte ich nichts anders/ als daß ich beyde Haͤnd gegen ihm auffhube/ und ſchrye: ô Vatter! ô Vatter! ô Vatter! Er aber fragte/ was

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Zitationshilfe: German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/78>, abgerufen am 23.04.2024.