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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von den souverainen Staaten überhaupt,
§. 40.
Souverainetät der in ein System vereinig-
ten Staaten
.

Mit gleichem Rechte können diejenigen Staaten auf
Unabhängigkeit Anspruch machen, welche durch ein ewi-
ges Bündnis zu gemeinschaftlicher Wohlfahrt sich verei-
nigt haben, ohne ihre übrigen Rechte und vornemlich
die Eigenschaft eines besondern Staats dabey aufzuge-
ben. Man nent eine solche Vereinigung mehrerer Staa-
ten ein Staatensystem. Die Einrichtung dieser poli-
tischen Körper kan sehr verschieden seyn, und muß nach
dem unter den einzelnen Staaten errichteten Bündnisse
beurteilt werden. Die Haupterfordernisse sind, daß
Gegenstände, welche das gemeinsame Wohl betreffen,
auch in gemeinschaftliche Berathschlagung gezogen wer-
den müssen, und daß übrigens ieder Staat die zu seiner
Aufrechterhaltung insbesondere nöthigen Maasregeln nach
eignem Gutfinden ergreifen und in dieser Rücksicht alle
Souverainetätsrechte ausüben kan, ob iene Verbindung,
in der er steht, gleich zuweiln einige Einschränkung
nöthig macht a].

Ein solches Staatensystem machten ehemals die
Städte Griechenlands unter den Amphictyonen und die
Heptarchie in England aus. Gegenwärtig rechnet man
die vereinigten Niederlande und die schweitzerische
Eidgenossenschaft
dahin.

Viele Staatsrechtslehrer geben auch das teutsche
Reich für einen dergleichen zusammengesetzten Staat aus.
Diese Behauptung scheint mir unter den mancherley
Meinungen über Teutschlands Regierungsform der Sache
beinah am angemessensten und mit der Reichsverfassung,
ohne irgend einem Theile zu nahe zu treten, gar wohl
vereinbarlich zu seyn. Man mag der Regierungsform
einen Namen geben, welchen man will, so dürfen die

vor-
Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
§. 40.
Souverainetaͤt der in ein Syſtem vereinig-
ten Staaten
.

Mit gleichem Rechte koͤnnen diejenigen Staaten auf
Unabhaͤngigkeit Anſpruch machen, welche durch ein ewi-
ges Buͤndnis zu gemeinſchaftlicher Wohlfahrt ſich verei-
nigt haben, ohne ihre uͤbrigen Rechte und vornemlich
die Eigenſchaft eines beſondern Staats dabey aufzuge-
ben. Man nent eine ſolche Vereinigung mehrerer Staa-
ten ein Staatenſyſtem. Die Einrichtung dieſer poli-
tiſchen Koͤrper kan ſehr verſchieden ſeyn, und muß nach
dem unter den einzelnen Staaten errichteten Buͤndniſſe
beurteilt werden. Die Haupterforderniſſe ſind, daß
Gegenſtaͤnde, welche das gemeinſame Wohl betreffen,
auch in gemeinſchaftliche Berathſchlagung gezogen wer-
den muͤſſen, und daß uͤbrigens ieder Staat die zu ſeiner
Aufrechterhaltung insbeſondere noͤthigen Maasregeln nach
eignem Gutfinden ergreifen und in dieſer Ruͤckſicht alle
Souverainetaͤtsrechte ausuͤben kan, ob iene Verbindung,
in der er ſteht, gleich zuweiln einige Einſchraͤnkung
noͤthig macht a].

Ein ſolches Staatenſyſtem machten ehemals die
Staͤdte Griechenlands unter den Amphictyonen und die
Heptarchie in England aus. Gegenwaͤrtig rechnet man
die vereinigten Niederlande und die ſchweitzeriſche
Eidgenoſſenſchaft
dahin.

Viele Staatsrechtslehrer geben auch das teutſche
Reich fuͤr einen dergleichen zuſammengeſetzten Staat aus.
Dieſe Behauptung ſcheint mir unter den mancherley
Meinungen uͤber Teutſchlands Regierungsform der Sache
beinah am angemeſſenſten und mit der Reichsverfaſſung,
ohne irgend einem Theile zu nahe zu treten, gar wohl
vereinbarlich zu ſeyn. Man mag der Regierungsform
einen Namen geben, welchen man will, ſo duͤrfen die

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[140/0166] Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt, §. 40. Souverainetaͤt der in ein Syſtem vereinig- ten Staaten. Mit gleichem Rechte koͤnnen diejenigen Staaten auf Unabhaͤngigkeit Anſpruch machen, welche durch ein ewi- ges Buͤndnis zu gemeinſchaftlicher Wohlfahrt ſich verei- nigt haben, ohne ihre uͤbrigen Rechte und vornemlich die Eigenſchaft eines beſondern Staats dabey aufzuge- ben. Man nent eine ſolche Vereinigung mehrerer Staa- ten ein Staatenſyſtem. Die Einrichtung dieſer poli- tiſchen Koͤrper kan ſehr verſchieden ſeyn, und muß nach dem unter den einzelnen Staaten errichteten Buͤndniſſe beurteilt werden. Die Haupterforderniſſe ſind, daß Gegenſtaͤnde, welche das gemeinſame Wohl betreffen, auch in gemeinſchaftliche Berathſchlagung gezogen wer- den muͤſſen, und daß uͤbrigens ieder Staat die zu ſeiner Aufrechterhaltung insbeſondere noͤthigen Maasregeln nach eignem Gutfinden ergreifen und in dieſer Ruͤckſicht alle Souverainetaͤtsrechte ausuͤben kan, ob iene Verbindung, in der er ſteht, gleich zuweiln einige Einſchraͤnkung noͤthig macht a]. Ein ſolches Staatenſyſtem machten ehemals die Staͤdte Griechenlands unter den Amphictyonen und die Heptarchie in England aus. Gegenwaͤrtig rechnet man die vereinigten Niederlande und die ſchweitzeriſche Eidgenoſſenſchaft dahin. Viele Staatsrechtslehrer geben auch das teutſche Reich fuͤr einen dergleichen zuſammengeſetzten Staat aus. Dieſe Behauptung ſcheint mir unter den mancherley Meinungen uͤber Teutſchlands Regierungsform der Sache beinah am angemeſſenſten und mit der Reichsverfaſſung, ohne irgend einem Theile zu nahe zu treten, gar wohl vereinbarlich zu ſeyn. Man mag der Regierungsform einen Namen geben, welchen man will, ſo duͤrfen die vor-

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/166>, abgerufen am 28.03.2024.