Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Von den geselschaftlichen Verbindungen
lich noch keine Geselschaft aus; die Handlungen müssen
gemeinschaftlich und wechselseitig geschehen: und als-
dann kan derienige der zeithero stilschweigend sich als ein
Glied der Geselschaft betragen, eben so wenig, als der-
ienige, der ausdrücklich sich dazu bekant hat, eigenwillig
sich trennen, weil er sonst den übrigen, die vermöge des
vorigen Benehmens, auf seinen Beistand rechneten,
vielleicht einen unersetzlichen Schaden und also die stärkste
Beleidigung zufügen würde.

a] Wolf gründet seinen von der Natur hergeleiteten großen
Weltstaat ebenfals auf die vermeintliche Einwilligung
[quasi pacta] der Völker, weil sie gewis einwilligen wür-
den, wenn sie ihren wahren Nutzen kennten. Quoniam
itaque gentes,
sagt er am ang. O. §. 9. quae commo-
da inde nascentia norunt, impetu naturali in hanc con-
sociationem feruntur, quae genus humanum, seu gen-
tes omnes inter se colligat, ceterae autem in eam con-
sensurae praesumuntur, si bona sua noßent; quidni
quasi pacto etiam in societatem coaluiße dicendae sunt?
b] Jus Naturae L. II. S. I. T. 1. §. 9.
§. 7.
Zweck dieser Geselschaft.

Der Mensch ist mit dem Triebe nach Glückseligkeit
und Vervolkommung gebohren. Die Bemühungen dar-
nach sind im ursprünglich natürlichen aussergeselschaftli-
chen Zustande blos einseitig: ieder sorgt nur für sich und
seine eignen Bedürfnisse. Er muß, will er andere zu
seinem Vortheil vermögen, mit ihnen in nähere Verbin-
dung d. i. in Geselschaft treten. Die Natur selbst zeigt
ihm die erste und einfachste Geselschaft in der ehelichen
und daraus entspringenden häußlichen Verbindung. Da
aber der Mensch in dieser allein noch nicht alle ihm mög-

liche

Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
lich noch keine Geſelſchaft aus; die Handlungen muͤſſen
gemeinſchaftlich und wechſelſeitig geſchehen: und als-
dann kan derienige der zeithero ſtilſchweigend ſich als ein
Glied der Geſelſchaft betragen, eben ſo wenig, als der-
ienige, der ausdruͤcklich ſich dazu bekant hat, eigenwillig
ſich trennen, weil er ſonſt den uͤbrigen, die vermoͤge des
vorigen Benehmens, auf ſeinen Beiſtand rechneten,
vielleicht einen unerſetzlichen Schaden und alſo die ſtaͤrkſte
Beleidigung zufuͤgen wuͤrde.

a] Wolf gruͤndet ſeinen von der Natur hergeleiteten großen
Weltſtaat ebenfals auf die vermeintliche Einwilligung
[quaſi pacta] der Voͤlker, weil ſie gewis einwilligen wuͤr-
den, wenn ſie ihren wahren Nutzen kennten. Quoniam
itaque gentes,
ſagt er am ang. O. §. 9. quae commo-
da inde naſcentia norunt, impetu naturali in hanc con-
ſociationem feruntur, quae genus humanum, ſeu gen-
tes omnes inter ſe colligat, ceterae autem in eam con-
ſenſurae praeſumuntur, ſi bona ſua noßent; quidni
quaſi pacto etiam in ſocietatem coaluiße dicendae ſunt?
b] Jus Naturae L. II. S. I. T. 1. §. 9.
§. 7.
Zweck dieſer Geſelſchaft.

Der Menſch iſt mit dem Triebe nach Gluͤckſeligkeit
und Vervolkommung gebohren. Die Bemuͤhungen dar-
nach ſind im urſpruͤnglich natuͤrlichen auſſergeſelſchaftli-
chen Zuſtande blos einſeitig: ieder ſorgt nur fuͤr ſich und
ſeine eignen Beduͤrfniſſe. Er muß, will er andere zu
ſeinem Vortheil vermoͤgen, mit ihnen in naͤhere Verbin-
dung d. i. in Geſelſchaft treten. Die Natur ſelbſt zeigt
ihm die erſte und einfachſte Geſelſchaft in der ehelichen
und daraus entſpringenden haͤußlichen Verbindung. Da
aber der Menſch in dieſer allein noch nicht alle ihm moͤg-

liche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0180" n="154"/><fw place="top" type="header">Von den ge&#x017F;el&#x017F;chaftlichen Verbindungen</fw><lb/>
lich noch keine Ge&#x017F;el&#x017F;chaft aus; die Handlungen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gemein&#x017F;chaftlich und wech&#x017F;el&#x017F;eitig ge&#x017F;chehen: und als-<lb/>
dann kan derienige der zeithero &#x017F;til&#x017F;chweigend &#x017F;ich als ein<lb/>
Glied der Ge&#x017F;el&#x017F;chaft betragen, eben &#x017F;o wenig, als der-<lb/>
ienige, der ausdru&#x0364;cklich &#x017F;ich dazu bekant hat, eigenwillig<lb/>
&#x017F;ich trennen, weil er &#x017F;on&#x017F;t den u&#x0364;brigen, die vermo&#x0364;ge des<lb/>
vorigen Benehmens, auf &#x017F;einen Bei&#x017F;tand rechneten,<lb/>
vielleicht einen uner&#x017F;etzlichen Schaden und al&#x017F;o die &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;te<lb/>
Beleidigung zufu&#x0364;gen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
            <note place="end" n="a]">Wolf gru&#x0364;ndet &#x017F;einen von der Natur hergeleiteten großen<lb/>
Welt&#x017F;taat ebenfals auf die vermeintliche Einwilligung<lb/>
[<hi rendition="#aq">qua&#x017F;i pacta</hi>] der Vo&#x0364;lker, weil &#x017F;ie gewis einwilligen wu&#x0364;r-<lb/>
den, wenn &#x017F;ie ihren wahren Nutzen kennten. <hi rendition="#aq">Quoniam<lb/>
itaque gentes,</hi> &#x017F;agt er am ang. O. §. 9. <hi rendition="#aq">quae commo-<lb/>
da inde na&#x017F;centia norunt, impetu naturali in hanc con-<lb/>
&#x017F;ociationem feruntur, quae genus humanum, &#x017F;eu gen-<lb/>
tes omnes inter &#x017F;e colligat, ceterae autem in eam con-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;urae <hi rendition="#i">prae&#x017F;umuntur</hi>, &#x017F;i bona &#x017F;ua noßent; quidni<lb/><hi rendition="#i">qua&#x017F;i pacto</hi> etiam in &#x017F;ocietatem coaluiße dicendae &#x017F;unt?</hi></note><lb/>
            <note place="end" n="b]"><hi rendition="#aq">Jus Naturae L. II. S. I. T.</hi> 1. §. 9.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 7.<lb/><hi rendition="#g">Zweck die&#x017F;er Ge&#x017F;el&#x017F;chaft</hi>.</head><lb/>
            <p>Der Men&#x017F;ch i&#x017F;t mit dem Triebe nach Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit<lb/>
und Vervolkommung gebohren. Die Bemu&#x0364;hungen dar-<lb/>
nach &#x017F;ind im ur&#x017F;pru&#x0364;nglich natu&#x0364;rlichen au&#x017F;&#x017F;erge&#x017F;el&#x017F;chaftli-<lb/>
chen Zu&#x017F;tande blos ein&#x017F;eitig: ieder &#x017F;orgt nur fu&#x0364;r &#x017F;ich und<lb/>
&#x017F;eine eignen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e. Er muß, will er andere zu<lb/>
&#x017F;einem Vortheil vermo&#x0364;gen, mit ihnen in na&#x0364;here Verbin-<lb/>
dung d. i. in Ge&#x017F;el&#x017F;chaft treten. Die Natur &#x017F;elb&#x017F;t zeigt<lb/>
ihm die er&#x017F;te und einfach&#x017F;te Ge&#x017F;el&#x017F;chaft in der ehelichen<lb/>
und daraus ent&#x017F;pringenden ha&#x0364;ußlichen Verbindung. Da<lb/>
aber der Men&#x017F;ch in die&#x017F;er allein noch nicht alle ihm mo&#x0364;g-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">liche</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0180] Von den geſelſchaftlichen Verbindungen lich noch keine Geſelſchaft aus; die Handlungen muͤſſen gemeinſchaftlich und wechſelſeitig geſchehen: und als- dann kan derienige der zeithero ſtilſchweigend ſich als ein Glied der Geſelſchaft betragen, eben ſo wenig, als der- ienige, der ausdruͤcklich ſich dazu bekant hat, eigenwillig ſich trennen, weil er ſonſt den uͤbrigen, die vermoͤge des vorigen Benehmens, auf ſeinen Beiſtand rechneten, vielleicht einen unerſetzlichen Schaden und alſo die ſtaͤrkſte Beleidigung zufuͤgen wuͤrde. a] Wolf gruͤndet ſeinen von der Natur hergeleiteten großen Weltſtaat ebenfals auf die vermeintliche Einwilligung [quaſi pacta] der Voͤlker, weil ſie gewis einwilligen wuͤr- den, wenn ſie ihren wahren Nutzen kennten. Quoniam itaque gentes, ſagt er am ang. O. §. 9. quae commo- da inde naſcentia norunt, impetu naturali in hanc con- ſociationem feruntur, quae genus humanum, ſeu gen- tes omnes inter ſe colligat, ceterae autem in eam con- ſenſurae praeſumuntur, ſi bona ſua noßent; quidni quaſi pacto etiam in ſocietatem coaluiße dicendae ſunt? b] Jus Naturae L. II. S. I. T. 1. §. 9. §. 7. Zweck dieſer Geſelſchaft. Der Menſch iſt mit dem Triebe nach Gluͤckſeligkeit und Vervolkommung gebohren. Die Bemuͤhungen dar- nach ſind im urſpruͤnglich natuͤrlichen auſſergeſelſchaftli- chen Zuſtande blos einſeitig: ieder ſorgt nur fuͤr ſich und ſeine eignen Beduͤrfniſſe. Er muß, will er andere zu ſeinem Vortheil vermoͤgen, mit ihnen in naͤhere Verbin- dung d. i. in Geſelſchaft treten. Die Natur ſelbſt zeigt ihm die erſte und einfachſte Geſelſchaft in der ehelichen und daraus entſpringenden haͤußlichen Verbindung. Da aber der Menſch in dieſer allein noch nicht alle ihm moͤg- liche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/180
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/180>, abgerufen am 28.03.2024.