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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der Freiheit der Nazionen, ihre
§. 20.
Beurteilung der auffallenden und bedenk-
lichen Handlungen
.

Ob ein Unternehmen würklich bedenklich und für die
Sicherheit der übrigen Nazionen gefährlich sey? Dar-
über entsteht nicht selten Streit zwischen den handelnden
und fragenden Theilen. In diesem Falle hat iedoch das
zunächst interessirte Volk bey der Anfrage ohnstreitig
mehr für sich, weil dieses am besten beurteilen muß,
was ihm Bedenklichkeiten erregt, und ienes durch eine
befriedigende Antwort sehr leicht heben kann. Jedoch
darf die fragende Nazion nicht ohne Grund bey ieder
Gelegenheit ihr Mistrauen äussern. Auf den Anspruch
der, wegen Leistung der versprochenen Hülfe bey entste-
henden Streitigkeiten, dabey hauptsächlich interessirten
Bundsgenossen und übrigen Theilhaber komt vieles an a].
Uebrigens ist es eben nicht nöthig, daß die nachtheilige
Handlung würklich schon erfolgt sey. Zuweiln sind auch
ein gegründetes Besorgniß b], ein höchst wahrscheinlicher
Verdacht, oder eine zweideutige Lage der Sachen über-
haupt hinlänglich zur Anfrage c].

a] F. C. v. Moser am a. O. §. 36. 37. S. 318.
b] Ebendas. §. 31. S. 309. Die Verbreitung des Gerüchts
1738, daß der Kaiser mit Frankreich in geheimen Tracta-
ten wegen Abtretung eines Theils der Niederlande stünde,
veranlaßte die Erklärung der Generalstaaten an den kaiser-
lichen Bothschafter im Haag: Ihro Hochmögenden wolten
gebeten haben, daß Ihro Kaiserl. Maj. hierüber sich ge-
nauer erklären möchten, datait, wenn etwas in diesen von
allen Orten her zu verschiedenen mahlen erschollenen Ge-
rüchten würklich wäre, die Herrn Generalstaaten bey guter
Zeit ihre Anstalten darnach treffen, oder wenn alles ohne
Von der Freiheit der Nazionen, ihre
§. 20.
Beurteilung der auffallenden und bedenk-
lichen Handlungen
.

Ob ein Unternehmen wuͤrklich bedenklich und fuͤr die
Sicherheit der uͤbrigen Nazionen gefaͤhrlich ſey? Dar-
uͤber entſteht nicht ſelten Streit zwiſchen den handelnden
und fragenden Theilen. In dieſem Falle hat iedoch das
zunaͤchſt intereſſirte Volk bey der Anfrage ohnſtreitig
mehr fuͤr ſich, weil dieſes am beſten beurteilen muß,
was ihm Bedenklichkeiten erregt, und ienes durch eine
befriedigende Antwort ſehr leicht heben kann. Jedoch
darf die fragende Nazion nicht ohne Grund bey ieder
Gelegenheit ihr Mistrauen aͤuſſern. Auf den Anſpruch
der, wegen Leiſtung der verſprochenen Huͤlfe bey entſte-
henden Streitigkeiten, dabey hauptſaͤchlich intereſſirten
Bundsgenoſſen und uͤbrigen Theilhaber komt vieles an a].
Uebrigens iſt es eben nicht noͤthig, daß die nachtheilige
Handlung wuͤrklich ſchon erfolgt ſey. Zuweiln ſind auch
ein gegruͤndetes Beſorgniß b], ein hoͤchſt wahrſcheinlicher
Verdacht, oder eine zweideutige Lage der Sachen uͤber-
haupt hinlaͤnglich zur Anfrage c].

a] F. C. v. Moſer am a. O. §. 36. 37. S. 318.
b] Ebendaſ. §. 31. S. 309. Die Verbreitung des Geruͤchts
1738, daß der Kaiſer mit Frankreich in geheimen Tracta-
ten wegen Abtretung eines Theils der Niederlande ſtuͤnde,
veranlaßte die Erklaͤrung der Generalſtaaten an den kaiſer-
lichen Bothſchafter im Haag: Ihro Hochmoͤgenden wolten
gebeten haben, daß Ihro Kaiſerl. Maj. hieruͤber ſich ge-
nauer erklaͤren moͤchten, datait, wenn etwas in dieſen von
allen Orten her zu verſchiedenen mahlen erſchollenen Ge-
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[302/0328] Von der Freiheit der Nazionen, ihre §. 20. Beurteilung der auffallenden und bedenk- lichen Handlungen. Ob ein Unternehmen wuͤrklich bedenklich und fuͤr die Sicherheit der uͤbrigen Nazionen gefaͤhrlich ſey? Dar- uͤber entſteht nicht ſelten Streit zwiſchen den handelnden und fragenden Theilen. In dieſem Falle hat iedoch das zunaͤchſt intereſſirte Volk bey der Anfrage ohnſtreitig mehr fuͤr ſich, weil dieſes am beſten beurteilen muß, was ihm Bedenklichkeiten erregt, und ienes durch eine befriedigende Antwort ſehr leicht heben kann. Jedoch darf die fragende Nazion nicht ohne Grund bey ieder Gelegenheit ihr Mistrauen aͤuſſern. Auf den Anſpruch der, wegen Leiſtung der verſprochenen Huͤlfe bey entſte- henden Streitigkeiten, dabey hauptſaͤchlich intereſſirten Bundsgenoſſen und uͤbrigen Theilhaber komt vieles an a]. Uebrigens iſt es eben nicht noͤthig, daß die nachtheilige Handlung wuͤrklich ſchon erfolgt ſey. Zuweiln ſind auch ein gegruͤndetes Beſorgniß b], ein hoͤchſt wahrſcheinlicher Verdacht, oder eine zweideutige Lage der Sachen uͤber- haupt hinlaͤnglich zur Anfrage c]. a] F. C. v. Moſer am a. O. §. 36. 37. S. 318. b] Ebendaſ. §. 31. S. 309. Die Verbreitung des Geruͤchts 1738, daß der Kaiſer mit Frankreich in geheimen Tracta- ten wegen Abtretung eines Theils der Niederlande ſtuͤnde, veranlaßte die Erklaͤrung der Generalſtaaten an den kaiſer- lichen Bothſchafter im Haag: Ihro Hochmoͤgenden wolten gebeten haben, daß Ihro Kaiſerl. Maj. hieruͤber ſich ge- nauer erklaͤren moͤchten, datait, wenn etwas in dieſen von allen Orten her zu verſchiedenen mahlen erſchollenen Ge- ruͤchten wuͤrklich waͤre, die Herrn Generalſtaaten bey guter Zeit ihre Anſtalten darnach treffen, oder wenn alles ohne Grund

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/328>, abgerufen am 28.03.2024.