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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Algemeine Grundsätze des Völkerrechts.
der leicht abzunehmen. Diese sind iedoch nicht alle einer-
ley Art. Einige derselben fliessen unmittelbar aus der
Natur und dem Wesen der Völker, und heissen daher
unbedingte [officia absoluta] oder sie setzen eine wilkühr-
liche Einrichtung, einen Vertrag, oder sonst eine ver-
bindende Handlung voraus, und werden besondere,
bedingte
[hypothetica] genant. Die erstern sind wie-
derum entweder verneinende Pflichten [officia negativa]
oder beiahende [affirmativa]. Jene verlangen die Unter-
lassung solcher Handlungen, welche die Glückseligkeit
anderer hindern oder stören könten; diese erstrecken sich
auch auf deren Beförderung durch werkthätige Beihülfe.
Nazionen, welche die negativen Pflichten beobachten,
nent man gerecht [justae], dieienigen, welche auch in
Ansehung der affirmativen sich nichts zu Schulden kom-
men lassen, billig [aequae]. Ferner theilt man die un-
bedingten Verbindlichkeiten in volkomne [officia perfe-
cta
] und unvolkomne [imperfecta], nachdem sie, im
Nichtbeobachtungsfall, einen Zwang, selbst mit Gewalt
der Waffen, zulassen oder nicht.

*] Ickstadt Elem. J. G. L. 2. c. 1. §. 1. u. 2. Schrodt
P. I. c.
2. §. 1.
§. 8.
Volkomne Verbindlichkeit, die Glückselig-
keit anderer nicht zu stören
.

Im ursprünglich natürlichen Zustande haben die
Völker, so wie einzelne Menschen, lauter verneinen-
de Verbindlichkeiten gegeneinander, zu deren Beobach-
tung sie mit volkomnem Rechte angehalten werden kön-
nen. Sie sind verbunden, die Erhaltung und Vervol-
komnung anderer weder zu hindern, und ihnen die da-
zu erforderlichen Mittel und deren Gebrauch zu ent-

ziehn,

Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
der leicht abzunehmen. Dieſe ſind iedoch nicht alle einer-
ley Art. Einige derſelben flieſſen unmittelbar aus der
Natur und dem Weſen der Voͤlker, und heiſſen daher
unbedingte [officia abſoluta] oder ſie ſetzen eine wilkuͤhr-
liche Einrichtung, einen Vertrag, oder ſonſt eine ver-
bindende Handlung voraus, und werden beſondere,
bedingte
[hypothetica] genant. Die erſtern ſind wie-
derum entweder verneinende Pflichten [officia negativa]
oder beiahende [affirmativa]. Jene verlangen die Unter-
laſſung ſolcher Handlungen, welche die Gluͤckſeligkeit
anderer hindern oder ſtoͤren koͤnten; dieſe erſtrecken ſich
auch auf deren Befoͤrderung durch werkthaͤtige Beihuͤlfe.
Nazionen, welche die negativen Pflichten beobachten,
nent man gerecht [juſtae], dieienigen, welche auch in
Anſehung der affirmativen ſich nichts zu Schulden kom-
men laſſen, billig [aequae]. Ferner theilt man die un-
bedingten Verbindlichkeiten in volkomne [officia perfe-
cta
] und unvolkomne [imperfecta], nachdem ſie, im
Nichtbeobachtungsfall, einen Zwang, ſelbſt mit Gewalt
der Waffen, zulaſſen oder nicht.

*] Ickſtadt Elem. J. G. L. 2. c. 1. §. 1. u. 2. Schrodt
P. I. c.
2. §. 1.
§. 8.
Volkomne Verbindlichkeit, die Gluͤckſelig-
keit anderer nicht zu ſtoͤren
.

Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande haben die
Voͤlker, ſo wie einzelne Menſchen, lauter verneinen-
de Verbindlichkeiten gegeneinander, zu deren Beobach-
tung ſie mit volkomnem Rechte angehalten werden koͤn-
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[394/0420] Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts. der leicht abzunehmen. Dieſe ſind iedoch nicht alle einer- ley Art. Einige derſelben flieſſen unmittelbar aus der Natur und dem Weſen der Voͤlker, und heiſſen daher unbedingte [officia abſoluta] oder ſie ſetzen eine wilkuͤhr- liche Einrichtung, einen Vertrag, oder ſonſt eine ver- bindende Handlung voraus, und werden beſondere, bedingte [hypothetica] genant. Die erſtern ſind wie- derum entweder verneinende Pflichten [officia negativa] oder beiahende [affirmativa]. Jene verlangen die Unter- laſſung ſolcher Handlungen, welche die Gluͤckſeligkeit anderer hindern oder ſtoͤren koͤnten; dieſe erſtrecken ſich auch auf deren Befoͤrderung durch werkthaͤtige Beihuͤlfe. Nazionen, welche die negativen Pflichten beobachten, nent man gerecht [juſtae], dieienigen, welche auch in Anſehung der affirmativen ſich nichts zu Schulden kom- men laſſen, billig [aequae]. Ferner theilt man die un- bedingten Verbindlichkeiten in volkomne [officia perfe- cta] und unvolkomne [imperfecta], nachdem ſie, im Nichtbeobachtungsfall, einen Zwang, ſelbſt mit Gewalt der Waffen, zulaſſen oder nicht. *] Ickſtadt Elem. J. G. L. 2. c. 1. §. 1. u. 2. Schrodt P. I. c. 2. §. 1. §. 8. Volkomne Verbindlichkeit, die Gluͤckſelig- keit anderer nicht zu ſtoͤren. Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande haben die Voͤlker, ſo wie einzelne Menſchen, lauter verneinen- de Verbindlichkeiten gegeneinander, zu deren Beobach- tung ſie mit volkomnem Rechte angehalten werden koͤn- nen. Sie ſind verbunden, die Erhaltung und Vervol- komnung anderer weder zu hindern, und ihnen die da- zu erforderlichen Mittel und deren Gebrauch zu ent- ziehn,

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/420>, abgerufen am 28.03.2024.