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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von dem Völkerrechte überhaupt,
lich auf Verträge oder specielle Gewonheiten beruht. Am
31sten December 1782. erklärte der englische Minister dem
holländischen Gesandten zu Paris, daß England alle vori-
gen besondern Verbindungen mit Holland als aufge-
hört betrachte, und nun nur schlechterdings und einzig
nach den algemeinen Grundsätzen des Völkerrechts
gegen die Republik verfahren könne; doch fragten die hol-
ländischen Gesandten in der Antwort vom 5ten Januar
1783., was der Londner Hof durch die Grundsätze dieses
Völkerrechts verstehe?
§. 20.
Vom Gebrauch der Bibel, der römischen
und andrer Privatrechte in den Völ-
kerrechtsmaterien
.

Ausser dem algemeinen natürlichen Völkerrechte hal-
ten J. J. Moser und andere das göttliche Recht der
Bibel a], besonders neuen Testaments, und dessen
Hauptgrundsätze: 1] Liebe deinen Nächsten als dich
selbst; 2] Was ihr wolt, das euch die Leute
thun sollen, das thut ihr ihnen auch
, für eine der
ersten Normen, wornach besonders die europäischen Na-
zionen ihre Handlungen einrichten solten, weil sie, eini-
ge orientalische Staaten ausgenommen, alle zur christli-
chen Religion sich bekennen. Doch gesteht er selbst, daß
in den Staatshandlungen der Souverains von Gott
und göttlichem Rechte selten, von der heiligen Schrift
aber fast nie die Rede sey, wenn schon ein Satz daraus
noch so entscheidend wäre. So verehrungswürdig die-
ses göttliche Buch in den Augen des wahren Christen,
und so verbindlich es für das Gewissen christlicher Re-
genten ist, so wenig kan demselben doch eine volkomne
äussere Verbindlichkeit im juristischen Verstande beige-
legt werden, da die, ausser den iüdischen Ceremoniel-
und Privatgesetzen, in demselben enthaltene Vorschrif-

ten
Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
lich auf Vertraͤge oder ſpecielle Gewonheiten beruht. Am
31ſten December 1782. erklaͤrte der engliſche Miniſter dem
hollaͤndiſchen Geſandten zu Paris, daß England alle vori-
gen beſondern Verbindungen mit Holland als aufge-
hoͤrt betrachte, und nun nur ſchlechterdings und einzig
nach den algemeinen Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts
gegen die Republik verfahren koͤnne; doch fragten die hol-
laͤndiſchen Geſandten in der Antwort vom 5ten Januar
1783., was der Londner Hof durch die Grundſaͤtze dieſes
Voͤlkerrechts verſtehe?
§. 20.
Vom Gebrauch der Bibel, der roͤmiſchen
und andrer Privatrechte in den Voͤl-
kerrechtsmaterien
.

Auſſer dem algemeinen natuͤrlichen Voͤlkerrechte hal-
ten J. J. Moſer und andere das goͤttliche Recht der
Bibel a], beſonders neuen Teſtaments, und deſſen
Hauptgrundſaͤtze: 1] Liebe deinen Naͤchſten als dich
ſelbſt; 2] Was ihr wolt, das euch die Leute
thun ſollen, das thut ihr ihnen auch
, fuͤr eine der
erſten Normen, wornach beſonders die europaͤiſchen Na-
zionen ihre Handlungen einrichten ſolten, weil ſie, eini-
ge orientaliſche Staaten ausgenommen, alle zur chriſtli-
chen Religion ſich bekennen. Doch geſteht er ſelbſt, daß
in den Staatshandlungen der Souverains von Gott
und goͤttlichem Rechte ſelten, von der heiligen Schrift
aber faſt nie die Rede ſey, wenn ſchon ein Satz daraus
noch ſo entſcheidend waͤre. So verehrungswuͤrdig die-
ſes goͤttliche Buch in den Augen des wahren Chriſten,
und ſo verbindlich es fuͤr das Gewiſſen chriſtlicher Re-
genten iſt, ſo wenig kan demſelben doch eine volkomne
aͤuſſere Verbindlichkeit im juriſtiſchen Verſtande beige-
legt werden, da die, auſſer den iuͤdiſchen Ceremoniel-
und Privatgeſetzen, in demſelben enthaltene Vorſchrif-

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[32/0058] Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt, *] lich auf Vertraͤge oder ſpecielle Gewonheiten beruht. Am 31ſten December 1782. erklaͤrte der engliſche Miniſter dem hollaͤndiſchen Geſandten zu Paris, daß England alle vori- gen beſondern Verbindungen mit Holland als aufge- hoͤrt betrachte, und nun nur ſchlechterdings und einzig nach den algemeinen Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts gegen die Republik verfahren koͤnne; doch fragten die hol- laͤndiſchen Geſandten in der Antwort vom 5ten Januar 1783., was der Londner Hof durch die Grundſaͤtze dieſes Voͤlkerrechts verſtehe? §. 20. Vom Gebrauch der Bibel, der roͤmiſchen und andrer Privatrechte in den Voͤl- kerrechtsmaterien. Auſſer dem algemeinen natuͤrlichen Voͤlkerrechte hal- ten J. J. Moſer und andere das goͤttliche Recht der Bibel a], beſonders neuen Teſtaments, und deſſen Hauptgrundſaͤtze: 1] Liebe deinen Naͤchſten als dich ſelbſt; 2] Was ihr wolt, das euch die Leute thun ſollen, das thut ihr ihnen auch, fuͤr eine der erſten Normen, wornach beſonders die europaͤiſchen Na- zionen ihre Handlungen einrichten ſolten, weil ſie, eini- ge orientaliſche Staaten ausgenommen, alle zur chriſtli- chen Religion ſich bekennen. Doch geſteht er ſelbſt, daß in den Staatshandlungen der Souverains von Gott und goͤttlichem Rechte ſelten, von der heiligen Schrift aber faſt nie die Rede ſey, wenn ſchon ein Satz daraus noch ſo entſcheidend waͤre. So verehrungswuͤrdig die- ſes goͤttliche Buch in den Augen des wahren Chriſten, und ſo verbindlich es fuͤr das Gewiſſen chriſtlicher Re- genten iſt, ſo wenig kan demſelben doch eine volkomne aͤuſſere Verbindlichkeit im juriſtiſchen Verſtande beige- legt werden, da die, auſſer den iuͤdiſchen Ceremoniel- und Privatgeſetzen, in demſelben enthaltene Vorſchrif- ten

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/58>, abgerufen am 19.04.2024.