Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Von den geselschaftlichen Verbindungen
auch wenn sie durch eine Zusammenkunft sämtlicher in
Verbindung stehender Völker zu bestimmen wären b].
Da diese Zusammenkunft aber nicht wohl thunlich, so
sind die blos aus dem Zweck der Geselschaft hergeleiteten
Grundsätze die sichersten.

a] Einige Völkerrechtslehrer unterscheiden, nicht ganz ohne
Grund, die geselschaftlichen Pflichten in volkomne [jus
sociale necessitatis
] und unvolkomne [jus sociale huma-
nitatis
]. Aus den ersten fließt der Grundsatz: Thue das,
was das gemeine Wohl der Geselschaft nothwen-
dig
erfordert; aus den letztern: Suche auf alle Art
und Weise das gemeinschaftliche Wohl
der Gesel-
schaft zu befördern
. Nur iene dürften ein Zwangs-
recht zulassen und im eigentlichen Völkerrechte Platz finden.
b] Wolf läßt die Gesetze seines algemeinen demokratischen
Weltstaats durch die Mehrheit der Stimmen besonders der
gesitteten Völker festsetzen. Der große Weltstaat, sagt er,
erfordert gewisse Gesetze. Diese können und müssen durch
den Willen der Glieder bestimt werden. Da aber nicht
alle Völker des Erdbodens zusammen kommen können, so
gilt dasienige, worein die Völker willigen solten, wenn sie
den Vorschriften einer gesunden Vernunft folgten: Cum --
in statu populari necesse sit, ut singuli in certo loco
conveniant et suam de eo, quod fieri debet voluntatem
declarent, gentes autem omnes per totum terrarum or-
bem dispersae inter se convenire nequeant, quod per
se patet, pro voluntate omnium gentium habendum,
in quod consentire debent, si ductum naturae secutae
ratione recte utantur, consequenter patet, quatenus ad-
mittendum id eße juris gentium, quod gentibus mora-
tioribus placuit.
Der Ungrund dieser Behauptungen wird
sich jedoch aus den vorhergehenden und folgenden Erinne-
rungen sattsam ergeben.
§. 9.

Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
auch wenn ſie durch eine Zuſammenkunft ſaͤmtlicher in
Verbindung ſtehender Voͤlker zu beſtimmen waͤren b].
Da dieſe Zuſammenkunft aber nicht wohl thunlich, ſo
ſind die blos aus dem Zweck der Geſelſchaft hergeleiteten
Grundſaͤtze die ſicherſten.

a] Einige Voͤlkerrechtslehrer unterſcheiden, nicht ganz ohne
Grund, die geſelſchaftlichen Pflichten in volkomne [jus
ſociale neceſſitatis
] und unvolkomne [jus ſociale huma-
nitatis
]. Aus den erſten fließt der Grundſatz: Thue das,
was das gemeine Wohl der Geſelſchaft nothwen-
dig
erfordert; aus den letztern: Suche auf alle Art
und Weiſe das gemeinſchaftliche Wohl
der Geſel-
ſchaft zu befoͤrdern
. Nur iene duͤrften ein Zwangs-
recht zulaſſen und im eigentlichen Voͤlkerrechte Platz finden.
b] Wolf laͤßt die Geſetze ſeines algemeinen demokratiſchen
Weltſtaats durch die Mehrheit der Stimmen beſonders der
geſitteten Voͤlker feſtſetzen. Der große Weltſtaat, ſagt er,
erfordert gewiſſe Geſetze. Dieſe koͤnnen und muͤſſen durch
den Willen der Glieder beſtimt werden. Da aber nicht
alle Voͤlker des Erdbodens zuſammen kommen koͤnnen, ſo
gilt dasienige, worein die Voͤlker willigen ſolten, wenn ſie
den Vorſchriften einer geſunden Vernunft folgten: Cum —
in ſtatu populari neceſſe ſit, ut ſinguli in certo loco
conveniant et ſuam de eo, quod fieri debet voluntatem
declarent, gentes autem omnes per totum terrarum or-
bem disperſae inter ſe convenire nequeant, quod per
ſe patet, pro voluntate omnium gentium habendum,
in quod conſentire debent, ſi ductum naturae ſecutae
ratione recte utantur, conſequenter patet, quatenus ad-
mittendum id eße juris gentium, quod gentibus mora-
tioribus placuit.
Der Ungrund dieſer Behauptungen wird
ſich jedoch aus den vorhergehenden und folgenden Erinne-
rungen ſattſam ergeben.
§. 9.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0182" n="156"/><fw place="top" type="header">Von den ge&#x017F;el&#x017F;chaftlichen Verbindungen</fw><lb/>
auch wenn &#x017F;ie durch eine Zu&#x017F;ammenkunft &#x017F;a&#x0364;mtlicher in<lb/>
Verbindung &#x017F;tehender Vo&#x0364;lker zu be&#x017F;timmen wa&#x0364;ren <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">b</hi></hi>].<lb/>
Da die&#x017F;e Zu&#x017F;ammenkunft aber nicht wohl thunlich, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ind die blos aus dem Zweck der Ge&#x017F;el&#x017F;chaft hergeleiteten<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tze die &#x017F;icher&#x017F;ten.</p><lb/>
            <note place="end" n="a]">Einige Vo&#x0364;lkerrechtslehrer unter&#x017F;cheiden, nicht ganz ohne<lb/>
Grund, die ge&#x017F;el&#x017F;chaftlichen Pflichten in volkomne [<hi rendition="#aq">jus<lb/>
&#x017F;ociale nece&#x017F;&#x017F;itatis</hi>] und unvolkomne [<hi rendition="#aq">jus &#x017F;ociale huma-<lb/>
nitatis</hi>]. Aus den er&#x017F;ten fließt der Grund&#x017F;atz: Thue das,<lb/>
was das gemeine <hi rendition="#fr">Wohl der Ge&#x017F;el&#x017F;chaft nothwen-<lb/>
dig</hi> erfordert; aus den letztern: <hi rendition="#fr">Suche auf alle Art<lb/>
und Wei&#x017F;e das gemein&#x017F;chaftliche Wohl</hi> der <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;el-<lb/>
&#x017F;chaft zu befo&#x0364;rdern</hi>. Nur iene du&#x0364;rften ein Zwangs-<lb/>
recht zula&#x017F;&#x017F;en und im eigentlichen Vo&#x0364;lkerrechte Platz finden.</note><lb/>
            <note place="end" n="b]">Wolf la&#x0364;ßt die Ge&#x017F;etze &#x017F;eines algemeinen demokrati&#x017F;chen<lb/>
Welt&#x017F;taats durch die Mehrheit der Stimmen be&#x017F;onders der<lb/>
ge&#x017F;itteten Vo&#x0364;lker fe&#x017F;t&#x017F;etzen. Der große Welt&#x017F;taat, &#x017F;agt er,<lb/>
erfordert gewi&#x017F;&#x017F;e Ge&#x017F;etze. Die&#x017F;e ko&#x0364;nnen und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en durch<lb/>
den Willen der Glieder be&#x017F;timt werden. Da aber nicht<lb/>
alle Vo&#x0364;lker des Erdbodens zu&#x017F;ammen kommen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o<lb/>
gilt dasienige, worein die Vo&#x0364;lker willigen &#x017F;olten, wenn &#x017F;ie<lb/>
den Vor&#x017F;chriften einer ge&#x017F;unden Vernunft folgten: <hi rendition="#aq">Cum &#x2014;<lb/>
in &#x017F;tatu populari nece&#x017F;&#x017F;e &#x017F;it, ut &#x017F;inguli in certo loco<lb/>
conveniant et &#x017F;uam de eo, quod fieri debet voluntatem<lb/>
declarent, gentes autem omnes per totum terrarum or-<lb/>
bem disper&#x017F;ae inter &#x017F;e convenire nequeant, quod per<lb/>
&#x017F;e patet, pro voluntate omnium gentium habendum,<lb/>
in quod con&#x017F;entire debent, &#x017F;i ductum naturae &#x017F;ecutae<lb/>
ratione recte utantur, con&#x017F;equenter patet, quatenus ad-<lb/>
mittendum id eße juris gentium, quod gentibus mora-<lb/>
tioribus placuit.</hi> Der Ungrund die&#x017F;er Behauptungen wird<lb/>
&#x017F;ich jedoch aus den vorhergehenden und folgenden Erinne-<lb/>
rungen &#x017F;att&#x017F;am ergeben.</note>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 9.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0182] Von den geſelſchaftlichen Verbindungen auch wenn ſie durch eine Zuſammenkunft ſaͤmtlicher in Verbindung ſtehender Voͤlker zu beſtimmen waͤren b]. Da dieſe Zuſammenkunft aber nicht wohl thunlich, ſo ſind die blos aus dem Zweck der Geſelſchaft hergeleiteten Grundſaͤtze die ſicherſten. a] Einige Voͤlkerrechtslehrer unterſcheiden, nicht ganz ohne Grund, die geſelſchaftlichen Pflichten in volkomne [jus ſociale neceſſitatis] und unvolkomne [jus ſociale huma- nitatis]. Aus den erſten fließt der Grundſatz: Thue das, was das gemeine Wohl der Geſelſchaft nothwen- dig erfordert; aus den letztern: Suche auf alle Art und Weiſe das gemeinſchaftliche Wohl der Geſel- ſchaft zu befoͤrdern. Nur iene duͤrften ein Zwangs- recht zulaſſen und im eigentlichen Voͤlkerrechte Platz finden. b] Wolf laͤßt die Geſetze ſeines algemeinen demokratiſchen Weltſtaats durch die Mehrheit der Stimmen beſonders der geſitteten Voͤlker feſtſetzen. Der große Weltſtaat, ſagt er, erfordert gewiſſe Geſetze. Dieſe koͤnnen und muͤſſen durch den Willen der Glieder beſtimt werden. Da aber nicht alle Voͤlker des Erdbodens zuſammen kommen koͤnnen, ſo gilt dasienige, worein die Voͤlker willigen ſolten, wenn ſie den Vorſchriften einer geſunden Vernunft folgten: Cum — in ſtatu populari neceſſe ſit, ut ſinguli in certo loco conveniant et ſuam de eo, quod fieri debet voluntatem declarent, gentes autem omnes per totum terrarum or- bem disperſae inter ſe convenire nequeant, quod per ſe patet, pro voluntate omnium gentium habendum, in quod conſentire debent, ſi ductum naturae ſecutae ratione recte utantur, conſequenter patet, quatenus ad- mittendum id eße juris gentium, quod gentibus mora- tioribus placuit. Der Ungrund dieſer Behauptungen wird ſich jedoch aus den vorhergehenden und folgenden Erinne- rungen ſattſam ergeben. §. 9.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/182
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/182>, abgerufen am 19.04.2024.