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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der ursprünglichen Gleichheit
§. 7.
c] Alter des Christenthums.

Die häufigste Gelegenheit zu Zusammenkünften der
europäischen Nazionen waren ehemals die algemeinen
Kirchenversamlungen. Da hier das Wohl der gesamten
Christenheit in Erwägung gezogen werden solte, so
sahen die Päpste, welche nebst dem Kaiser das gröste
Gewicht und vorzüglichste Interesse dabey hatten, bey
Anweisung der Plätze hauptsächlich auf den mehrern oder
mindern Antheil, den die Völker an dem Besten der
christlichen Kirche nahmen und auf ihre frühere oder spä-
tere Bekehrung zur christlichen Religion a]. Aber aus-
serdem, daß dies auch nur zufällige Eigenschaften sind,
lief hierbey, wie bey dem Ursprunge der Reiche, viel
Fabelhaftes mit unter. In dem einen Staate solte
schon Joseph von Arimathias, in dem andern Petrus
und Paulus die christliche Religion gepredigt und einge-
führt haben. Es ist daher leicht abzunehmen, wie unzu-
verlässig und streitig die Entscheidung des Ranges daraus
gewesen seyn müsse. Ueberdies konte diese aus besondrer
Rücksicht in ienen Versamlungen beliebte Ordnung über-
haupt nicht füglich auf andre Fälle angewandt werden,
wiewohl die Nazionen sie auch sonst häufig als Richt-
schnur anzuführen pflegten. Auf diese frühere Bekehr-
ung zum Christenthum bezogen sich ehemals hauptsächlich
Spanien, Frankreich und England.

a] Grotius scheint diesen Grund zu billigen, indem er, nach
der obigen Vergleichung der Nazionen mit ältern und iün-
gern Brüdern hinzufügt: atque hic mos antiquitus in
Christianorum quoque regum ac populorum societate
obtinuit, ut qui primi Christianismum professi sunt in
conciliis ad rem christianam pertinentibus praecedant
caeteros.
*] Crusius c. VI. §. 44. p. 63. Stiev, S. 37-56.
§. 8.
Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
§. 7.
c] Alter des Chriſtenthums.

Die haͤufigſte Gelegenheit zu Zuſammenkuͤnften der
europaͤiſchen Nazionen waren ehemals die algemeinen
Kirchenverſamlungen. Da hier das Wohl der geſamten
Chriſtenheit in Erwaͤgung gezogen werden ſolte, ſo
ſahen die Paͤpſte, welche nebſt dem Kaiſer das groͤſte
Gewicht und vorzuͤglichſte Intereſſe dabey hatten, bey
Anweiſung der Plaͤtze hauptſaͤchlich auf den mehrern oder
mindern Antheil, den die Voͤlker an dem Beſten der
chriſtlichen Kirche nahmen und auf ihre fruͤhere oder ſpaͤ-
tere Bekehrung zur chriſtlichen Religion a]. Aber auſ-
ſerdem, daß dies auch nur zufaͤllige Eigenſchaften ſind,
lief hierbey, wie bey dem Urſprunge der Reiche, viel
Fabelhaftes mit unter. In dem einen Staate ſolte
ſchon Joſeph von Arimathias, in dem andern Petrus
und Paulus die chriſtliche Religion gepredigt und einge-
fuͤhrt haben. Es iſt daher leicht abzunehmen, wie unzu-
verlaͤſſig und ſtreitig die Entſcheidung des Ranges daraus
geweſen ſeyn muͤſſe. Ueberdies konte dieſe aus beſondrer
Ruͤckſicht in ienen Verſamlungen beliebte Ordnung uͤber-
haupt nicht fuͤglich auf andre Faͤlle angewandt werden,
wiewohl die Nazionen ſie auch ſonſt haͤufig als Richt-
ſchnur anzufuͤhren pflegten. Auf dieſe fruͤhere Bekehr-
ung zum Chriſtenthum bezogen ſich ehemals hauptſaͤchlich
Spanien, Frankreich und England.

a] Grotius ſcheint dieſen Grund zu billigen, indem er, nach
der obigen Vergleichung der Nazionen mit aͤltern und iuͤn-
gern Bruͤdern hinzufuͤgt: atque hic mos antiquitus in
Chriſtianorum quoque regum ac populorum ſocietate
obtinuit, ut qui primi Chriſtianismum profeſſi ſunt in
conciliis ad rem chriſtianam pertinentibus praecedant
caeteros.
*] Cruſius c. VI. §. 44. p. 63. Stiev, S. 37-56.
§. 8.
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[206/0232] Von der urſpruͤnglichen Gleichheit §. 7. c] Alter des Chriſtenthums. Die haͤufigſte Gelegenheit zu Zuſammenkuͤnften der europaͤiſchen Nazionen waren ehemals die algemeinen Kirchenverſamlungen. Da hier das Wohl der geſamten Chriſtenheit in Erwaͤgung gezogen werden ſolte, ſo ſahen die Paͤpſte, welche nebſt dem Kaiſer das groͤſte Gewicht und vorzuͤglichſte Intereſſe dabey hatten, bey Anweiſung der Plaͤtze hauptſaͤchlich auf den mehrern oder mindern Antheil, den die Voͤlker an dem Beſten der chriſtlichen Kirche nahmen und auf ihre fruͤhere oder ſpaͤ- tere Bekehrung zur chriſtlichen Religion a]. Aber auſ- ſerdem, daß dies auch nur zufaͤllige Eigenſchaften ſind, lief hierbey, wie bey dem Urſprunge der Reiche, viel Fabelhaftes mit unter. In dem einen Staate ſolte ſchon Joſeph von Arimathias, in dem andern Petrus und Paulus die chriſtliche Religion gepredigt und einge- fuͤhrt haben. Es iſt daher leicht abzunehmen, wie unzu- verlaͤſſig und ſtreitig die Entſcheidung des Ranges daraus geweſen ſeyn muͤſſe. Ueberdies konte dieſe aus beſondrer Ruͤckſicht in ienen Verſamlungen beliebte Ordnung uͤber- haupt nicht fuͤglich auf andre Faͤlle angewandt werden, wiewohl die Nazionen ſie auch ſonſt haͤufig als Richt- ſchnur anzufuͤhren pflegten. Auf dieſe fruͤhere Bekehr- ung zum Chriſtenthum bezogen ſich ehemals hauptſaͤchlich Spanien, Frankreich und England. a] Grotius ſcheint dieſen Grund zu billigen, indem er, nach der obigen Vergleichung der Nazionen mit aͤltern und iuͤn- gern Bruͤdern hinzufuͤgt: atque hic mos antiquitus in Chriſtianorum quoque regum ac populorum ſocietate obtinuit, ut qui primi Chriſtianismum profeſſi ſunt in conciliis ad rem chriſtianam pertinentibus praecedant caeteros. *] Cruſius c. VI. §. 44. p. 63. Stiev, S. 37-56. §. 8.

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/232>, abgerufen am 28.03.2024.