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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der ursprünglichen Gleichheit
schen Regenten nie algemein anerkant, obgleich verschie-
dene derselben, zu deren Vorteil sie entschieden, bey an-
dern vorkommenden Gelegenheiten solche als eine Grund-
regel wolten angesehn wissen. Heutzutage aber kommen
sie in keine Betrachtung mehr a].

Der Rang der Staaten in Europa ist daher noch
gröstenteils unentschieden. Nachdem ich in den vorher-
gehenden §. §. die algemeinen Gründe des Vorranges
angeführt habe, will ich nun die einzelnen europäischen
Staaten, hauptsächlich nach Ordnung ihrer geographi-
schen Lage durchgehen und ihre vornehmsten Ansprüche
auf Vorrang oder Gleichheit nebst den besondern Grün-
den und darüber entstandenen Streitigkeiten kürzlich
bemerken.

Ich hatte es fast für unnöthig mit Paradisi und
Rousset b] hierbey ausdrücklich zu erinnern, daß ich
keinesweges die Absicht habe, irgend einer Nazion zum
Vorteil oder Nachtheil zu schreiben, sondern blos die
gegenseitigen Gründe und Handlungen historisch anzufüh-
ren. Solte ein Privatschriftsteller auch würklich aus
Partheilichkeit dieser oder iener Nazion das Wort reden,
so glaube ich, daß die übrigen Staaten nicht Ursach ha-
ben, sich darüber zu entrüsten b], weil die Urteile und
Meinungen der Privatschriftsteller ihren Rechten ganz
und gar nichts vergeben oder sie dadurch zu etwas ver-
binden können.

a] Die Rangordnung Papst Julius II. soll, dem Vorgeben
nach, auch am päpstlichen Hofe nur noch in Ansehung der
vier erstern Monarchen beobachtet, dem römischen Könige
iedoch nicht der Rang vor Spanien und Frankreich einge-
räumt, sondern er diesen nur gleich tractirt werden, Lünig
Theat. Cerem. t. I. p.
9.
b] Rousset rukte vor seinen Memoires, sur le rang etc. fol-
gende Erklärung ein: Je soußigne declare, qu' en publiant

Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
ſchen Regenten nie algemein anerkant, obgleich verſchie-
dene derſelben, zu deren Vorteil ſie entſchieden, bey an-
dern vorkommenden Gelegenheiten ſolche als eine Grund-
regel wolten angeſehn wiſſen. Heutzutage aber kommen
ſie in keine Betrachtung mehr a].

Der Rang der Staaten in Europa iſt daher noch
groͤſtenteils unentſchieden. Nachdem ich in den vorher-
gehenden §. §. die algemeinen Gruͤnde des Vorranges
angefuͤhrt habe, will ich nun die einzelnen europaͤiſchen
Staaten, hauptſaͤchlich nach Ordnung ihrer geographi-
ſchen Lage durchgehen und ihre vornehmſten Anſpruͤche
auf Vorrang oder Gleichheit nebſt den beſondern Gruͤn-
den und daruͤber entſtandenen Streitigkeiten kuͤrzlich
bemerken.

Ich hatte es faſt fuͤr unnoͤthig mit Paradiſi und
Rouſſet b] hierbey ausdruͤcklich zu erinnern, daß ich
keinesweges die Abſicht habe, irgend einer Nazion zum
Vorteil oder Nachtheil zu ſchreiben, ſondern blos die
gegenſeitigen Gruͤnde und Handlungen hiſtoriſch anzufuͤh-
ren. Solte ein Privatſchriftſteller auch wuͤrklich aus
Partheilichkeit dieſer oder iener Nazion das Wort reden,
ſo glaube ich, daß die uͤbrigen Staaten nicht Urſach ha-
ben, ſich daruͤber zu entruͤſten b], weil die Urteile und
Meinungen der Privatſchriftſteller ihren Rechten ganz
und gar nichts vergeben oder ſie dadurch zu etwas ver-
binden koͤnnen.

a] Die Rangordnung Papſt Julius II. ſoll, dem Vorgeben
nach, auch am paͤpſtlichen Hofe nur noch in Anſehung der
vier erſtern Monarchen beobachtet, dem roͤmiſchen Koͤnige
iedoch nicht der Rang vor Spanien und Frankreich einge-
raͤumt, ſondern er dieſen nur gleich tractirt werden, Lünig
Theat. Cerem. t. I. p.
9.
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gende Erklaͤrung ein: Je ſoußigné declare, qu’ en publiant
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[220[222]/0248] Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ſchen Regenten nie algemein anerkant, obgleich verſchie- dene derſelben, zu deren Vorteil ſie entſchieden, bey an- dern vorkommenden Gelegenheiten ſolche als eine Grund- regel wolten angeſehn wiſſen. Heutzutage aber kommen ſie in keine Betrachtung mehr a]. Der Rang der Staaten in Europa iſt daher noch groͤſtenteils unentſchieden. Nachdem ich in den vorher- gehenden §. §. die algemeinen Gruͤnde des Vorranges angefuͤhrt habe, will ich nun die einzelnen europaͤiſchen Staaten, hauptſaͤchlich nach Ordnung ihrer geographi- ſchen Lage durchgehen und ihre vornehmſten Anſpruͤche auf Vorrang oder Gleichheit nebſt den beſondern Gruͤn- den und daruͤber entſtandenen Streitigkeiten kuͤrzlich bemerken. Ich hatte es faſt fuͤr unnoͤthig mit Paradiſi und Rouſſet b] hierbey ausdruͤcklich zu erinnern, daß ich keinesweges die Abſicht habe, irgend einer Nazion zum Vorteil oder Nachtheil zu ſchreiben, ſondern blos die gegenſeitigen Gruͤnde und Handlungen hiſtoriſch anzufuͤh- ren. Solte ein Privatſchriftſteller auch wuͤrklich aus Partheilichkeit dieſer oder iener Nazion das Wort reden, ſo glaube ich, daß die uͤbrigen Staaten nicht Urſach ha- ben, ſich daruͤber zu entruͤſten b], weil die Urteile und Meinungen der Privatſchriftſteller ihren Rechten ganz und gar nichts vergeben oder ſie dadurch zu etwas ver- binden koͤnnen. a] Die Rangordnung Papſt Julius II. ſoll, dem Vorgeben nach, auch am paͤpſtlichen Hofe nur noch in Anſehung der vier erſtern Monarchen beobachtet, dem roͤmiſchen Koͤnige iedoch nicht der Rang vor Spanien und Frankreich einge- raͤumt, ſondern er dieſen nur gleich tractirt werden, Lünig Theat. Cerem. t. I. p. 9. b] Rouſſet rukte vor ſeinen Memoires, ſur le rang etc. fol- gende Erklaͤrung ein: Je ſoußigné declare, qu’ en publiant ces

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 220[222]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/248>, abgerufen am 25.04.2024.