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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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und dem eingeführten Range der Nazionen.
und beständig oder alzulang aufhalten wolte, oder der-
selbe, wegen seines hohen Alters oder beharrlicher Unpäß-
lichkeit, der Regierung nicht mehr vorstehen könte, oder
sonsten die Nothdurft des Reichs es erforderte. In die-
sen Fällen aber vertrit er mehr die Stelle des würklichen
Regenten, ob er gleich ohne ausdrücklichen Auftrag
und Einwilligung des lebenden Kaisers sich keiner Regier-
ung unterziehn darf d]. Die übrigen Vorwürfe treffen
den römischen Kaiser zugleich mit, wider dessen Vorrang
man gleichwohl nichts einzuwenden vermag.

Der Grund, welchen Schmidt e] aus dem päpstli-
chen Ceremonielbuche zur Entscheidung für den römischen
König hernimt, ist freilich sehr seichte; und Selchov
fragt billig, wer den Papst zum Oberceremonienmeister
unter den christlichen Fürsten gemacht habe? Aber eben
so wenig ist dessen Rang, wie Selchov glaubt, durch
den Besitz entschieden f]. Die Fälle, welche man des-
halb anzuführen pflegt, sind so unbezweifelt nicht. Daß
z. B. der römische König Joseph I. 1703 am kaiserlichen
Hofe den Rang über seinen Bruder König Karl III. von
Spanien genommen, dürfte, wie Moser sehr richtig
erinnert, von andern Mächten allerdings blos für eine
Familiensache angesehn werden. Es fehlt auch an Bei-
spielen nicht, welche die übrigen europäischen Könige für
sich entgegensetzen. Der Rang des römischen Königs ist
also wohl für noch unentschieden anzusehn.

a] Real, T. V. c. 4. Sect. 3. S. 971.
b] Mosers Grundsätze des europ. V. R. in Friedensz. 1. B.
2. K. §. 9. S. 24.
c] Wahlkapitulation, Art. III. §. 11.
d] Ebendas. Art. XXX. §. 3.
e] Principia juris publ. Ingolst. 1768. 8. p. 163.
f] Mosers auswärt, Staatsrecht, 1. B. 2. K. §. 5. S. 40.
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und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
und beſtaͤndig oder alzulang aufhalten wolte, oder der-
ſelbe, wegen ſeines hohen Alters oder beharrlicher Unpaͤß-
lichkeit, der Regierung nicht mehr vorſtehen koͤnte, oder
ſonſten die Nothdurft des Reichs es erforderte. In die-
ſen Faͤllen aber vertrit er mehr die Stelle des wuͤrklichen
Regenten, ob er gleich ohne ausdruͤcklichen Auftrag
und Einwilligung des lebenden Kaiſers ſich keiner Regier-
ung unterziehn darf d]. Die uͤbrigen Vorwuͤrfe treffen
den roͤmiſchen Kaiſer zugleich mit, wider deſſen Vorrang
man gleichwohl nichts einzuwenden vermag.

Der Grund, welchen Schmidt e] aus dem paͤpſtli-
chen Ceremonielbuche zur Entſcheidung fuͤr den roͤmiſchen
Koͤnig hernimt, iſt freilich ſehr ſeichte; und Selchov
fragt billig, wer den Papſt zum Oberceremonienmeiſter
unter den chriſtlichen Fuͤrſten gemacht habe? Aber eben
ſo wenig iſt deſſen Rang, wie Selchov glaubt, durch
den Beſitz entſchieden f]. Die Faͤlle, welche man des-
halb anzufuͤhren pflegt, ſind ſo unbezweifelt nicht. Daß
z. B. der roͤmiſche Koͤnig Joſeph I. 1703 am kaiſerlichen
Hofe den Rang uͤber ſeinen Bruder Koͤnig Karl III. von
Spanien genommen, duͤrfte, wie Moſer ſehr richtig
erinnert, von andern Maͤchten allerdings blos fuͤr eine
Familienſache angeſehn werden. Es fehlt auch an Bei-
ſpielen nicht, welche die uͤbrigen europaͤiſchen Koͤnige fuͤr
ſich entgegenſetzen. Der Rang des roͤmiſchen Koͤnigs iſt
alſo wohl fuͤr noch unentſchieden anzuſehn.

a] Real, T. V. c. 4. Sect. 3. S. 971.
b] Moſers Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz. 1. B.
2. K. §. 9. S. 24.
c] Wahlkapitulation, Art. III. §. 11.
d] Ebendaſ. Art. XXX. §. 3.
e] Principia juris publ. Ingolſt. 1768. 8. p. 163.
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[227/0253] und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen. und beſtaͤndig oder alzulang aufhalten wolte, oder der- ſelbe, wegen ſeines hohen Alters oder beharrlicher Unpaͤß- lichkeit, der Regierung nicht mehr vorſtehen koͤnte, oder ſonſten die Nothdurft des Reichs es erforderte. In die- ſen Faͤllen aber vertrit er mehr die Stelle des wuͤrklichen Regenten, ob er gleich ohne ausdruͤcklichen Auftrag und Einwilligung des lebenden Kaiſers ſich keiner Regier- ung unterziehn darf d]. Die uͤbrigen Vorwuͤrfe treffen den roͤmiſchen Kaiſer zugleich mit, wider deſſen Vorrang man gleichwohl nichts einzuwenden vermag. Der Grund, welchen Schmidt e] aus dem paͤpſtli- chen Ceremonielbuche zur Entſcheidung fuͤr den roͤmiſchen Koͤnig hernimt, iſt freilich ſehr ſeichte; und Selchov fragt billig, wer den Papſt zum Oberceremonienmeiſter unter den chriſtlichen Fuͤrſten gemacht habe? Aber eben ſo wenig iſt deſſen Rang, wie Selchov glaubt, durch den Beſitz entſchieden f]. Die Faͤlle, welche man des- halb anzufuͤhren pflegt, ſind ſo unbezweifelt nicht. Daß z. B. der roͤmiſche Koͤnig Joſeph I. 1703 am kaiſerlichen Hofe den Rang uͤber ſeinen Bruder Koͤnig Karl III. von Spanien genommen, duͤrfte, wie Moſer ſehr richtig erinnert, von andern Maͤchten allerdings blos fuͤr eine Familienſache angeſehn werden. Es fehlt auch an Bei- ſpielen nicht, welche die uͤbrigen europaͤiſchen Koͤnige fuͤr ſich entgegenſetzen. Der Rang des roͤmiſchen Koͤnigs iſt alſo wohl fuͤr noch unentſchieden anzuſehn. a] Real, T. V. c. 4. Sect. 3. S. 971. b] Moſers Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz. 1. B. 2. K. §. 9. S. 24. c] Wahlkapitulation, Art. III. §. 11. d] Ebendaſ. Art. XXX. §. 3. e] Principia juris publ. Ingolſt. 1768. 8. p. 163. f] Moſers auswaͤrt, Staatsrecht, 1. B. 2. K. §. 5. S. 40. *] P 2

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/253>, abgerufen am 20.04.2024.