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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von dem Völkerrechte überhaupt,
"den lassen möchte; auch kein philosophisches, wie ein
"ieder, der sich dünkt, ein Weltweiser zu seyn, nach der
"sich eingebildeten und selbst formirten Geschichte und Na-
"tur
der Menschheit etwa thun könte und würde.' ' Indes
kan ich den Unterschied hiervon nicht einsehn.
§. 3.
Dessen Eintheilung in
a] nothwendiges.

Völker, als moralische Personen, im natürlichen,
unabhängigen Zustande betrachtet, sind ohnstreitig dem
für einzelne Menschen verbindlichen Rechte der Natur
unterworfen. Es erhält aber von dem Gegenstande sei-
ner Anwendung den Namen des Völkerrechts. Die-
ses auf die Völker angewandte Naturrecht oder natürliche
Völkerrecht müssen die Nationen ohne Rücksicht einer
engern Verbindung unter einander beobachten. Man
nent es seiner verbindenden Kraft wegen daher das
nothwendige [necessarium] a] oder auch das ursprüng-
liche [primarium], weil die Gesetze der Natur unmittel-
bar es begründen, und ist, wie sie, unveränderlich.
Die Erlangung einseitiger Vortheile, ohne Beleidigung
anderer Nazionen macht den Hauptgrundsatz desselben
aus. Es würde zur Entscheidung der unter Völkern vor-
kommenden Fälle hinlänglich seyn, wenn sie alle noch in
einem blos natürlichen Zustande sich befänden. Dahin
gehören unter andern das Recht der natürlichen Freiheit
und Gleichheit, das Erwerbungsrecht, das Recht Ver-
träge zu schließen u. s. w.

a] Wolf I. G. Proleg. §. 3. 4. Vattel Prelim. §. 6. 7. etc.
§. 4.
b] Freiwilliges Völkerrecht.

Die Völker traten iedoch bald, eben so, wie einzelne
Menschen in nähere Verbindungen und Geselschaften

zusam-
Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
„den laſſen moͤchte; auch kein philoſophiſches, wie ein
„ieder, der ſich duͤnkt, ein Weltweiſer zu ſeyn, nach der
„ſich eingebildeten und ſelbſt formirten Geſchichte und Na-
„tur
der Menſchheit etwa thun koͤnte und wuͤrde.’ ’ Indes
kan ich den Unterſchied hiervon nicht einſehn.
§. 3.
Deſſen Eintheilung in
a] nothwendiges.

Voͤlker, als moraliſche Perſonen, im natuͤrlichen,
unabhaͤngigen Zuſtande betrachtet, ſind ohnſtreitig dem
fuͤr einzelne Menſchen verbindlichen Rechte der Natur
unterworfen. Es erhaͤlt aber von dem Gegenſtande ſei-
ner Anwendung den Namen des Voͤlkerrechts. Die-
ſes auf die Voͤlker angewandte Naturrecht oder natuͤrliche
Voͤlkerrecht muͤſſen die Nationen ohne Ruͤckſicht einer
engern Verbindung unter einander beobachten. Man
nent es ſeiner verbindenden Kraft wegen daher das
nothwendige [neceſſarium] a] oder auch das urſpruͤng-
liche [primarium], weil die Geſetze der Natur unmittel-
bar es begruͤnden, und iſt, wie ſie, unveraͤnderlich.
Die Erlangung einſeitiger Vortheile, ohne Beleidigung
anderer Nazionen macht den Hauptgrundſatz deſſelben
aus. Es wuͤrde zur Entſcheidung der unter Voͤlkern vor-
kommenden Faͤlle hinlaͤnglich ſeyn, wenn ſie alle noch in
einem blos natuͤrlichen Zuſtande ſich befaͤnden. Dahin
gehoͤren unter andern das Recht der natuͤrlichen Freiheit
und Gleichheit, das Erwerbungsrecht, das Recht Ver-
traͤge zu ſchließen u. ſ. w.

a] Wolf I. G. Proleg. §. 3. 4. Vattel Prélim. §. 6. 7. etc.
§. 4.
b] Freiwilliges Voͤlkerrecht.

Die Voͤlker traten iedoch bald, eben ſo, wie einzelne
Menſchen in naͤhere Verbindungen und Geſelſchaften

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[4/0030] Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt, *] „den laſſen moͤchte; auch kein philoſophiſches, wie ein „ieder, der ſich duͤnkt, ein Weltweiſer zu ſeyn, nach der „ſich eingebildeten und ſelbſt formirten Geſchichte und Na- „tur der Menſchheit etwa thun koͤnte und wuͤrde.’ ’ Indes kan ich den Unterſchied hiervon nicht einſehn. §. 3. Deſſen Eintheilung in a] nothwendiges. Voͤlker, als moraliſche Perſonen, im natuͤrlichen, unabhaͤngigen Zuſtande betrachtet, ſind ohnſtreitig dem fuͤr einzelne Menſchen verbindlichen Rechte der Natur unterworfen. Es erhaͤlt aber von dem Gegenſtande ſei- ner Anwendung den Namen des Voͤlkerrechts. Die- ſes auf die Voͤlker angewandte Naturrecht oder natuͤrliche Voͤlkerrecht muͤſſen die Nationen ohne Ruͤckſicht einer engern Verbindung unter einander beobachten. Man nent es ſeiner verbindenden Kraft wegen daher das nothwendige [neceſſarium] a] oder auch das urſpruͤng- liche [primarium], weil die Geſetze der Natur unmittel- bar es begruͤnden, und iſt, wie ſie, unveraͤnderlich. Die Erlangung einſeitiger Vortheile, ohne Beleidigung anderer Nazionen macht den Hauptgrundſatz deſſelben aus. Es wuͤrde zur Entſcheidung der unter Voͤlkern vor- kommenden Faͤlle hinlaͤnglich ſeyn, wenn ſie alle noch in einem blos natuͤrlichen Zuſtande ſich befaͤnden. Dahin gehoͤren unter andern das Recht der natuͤrlichen Freiheit und Gleichheit, das Erwerbungsrecht, das Recht Ver- traͤge zu ſchließen u. ſ. w. a] Wolf I. G. Proleg. §. 3. 4. Vattel Prélim. §. 6. 7. etc. §. 4. b] Freiwilliges Voͤlkerrecht. Die Voͤlker traten iedoch bald, eben ſo, wie einzelne Menſchen in naͤhere Verbindungen und Geſelſchaften zuſam-

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/30>, abgerufen am 16.04.2024.