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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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und deren Gleichgewicht.
zur Unterdrückung anderer gemisbraucht werde, lehrt die
Erfahrung aller Zeiten: die Nazionen müssen daher bey
dem zu großen Anwuchs eines Staats in nicht ungegrün-
dete Besorgniß ihrer Sicherheit wegen versezt werden.
Alle Anstalten würden fruchtlos dagegen seyn, wenn die
sämtlichen übrigen Glieder der Geselschaft nicht Kräfte
genug hätten, der Gewalt eines Uebermächtigen Wider-
stand zu thun. Es ist also kein würksameres Mittel,
dieser Gefahr vorzubeugen, als die Einschränkung der zu
sehr überhandnehmenden Macht eines Einzigen a]. Folg-
lich sind die Nazionen zu Erhaltung des Gleichgewichts
berechtigt und verbunden. Die Rechtmässigkeit einer
solchen Einrichtung ist auch um so weniger zu bezweifeln,
wenn die Nazionen, wie in Europa, die Nothwendig-
keit der zum Wohl des Ganzen einzuschränkenden Macht
freiwillig anerkennen.

Im natürlichen Zustande einzelner Menschen würde
es freilich ungerecht seyn, wenn man [wie von einigen
zu Entkräftung des Gleichgewichts eingewand wird] b]
einem vorzüglich Starken Arme oder Beine zerbrechen etc.
wolte, damit er andern nicht schaden könte. Diese Vor-
sicht wäre hier ganz unnöthig, weil den übrigen, durch
Vereinigung, gewis immer noch Kräfte genug zum Wi-
derstand bleiben. In bürgerlichen Geselschaften ist eine
solche Einrichtung ebenfals minder nothwendig, weil da
die Oberherschaft den Ausschweifungen der Mächtigen
leicht Ziel setzen kann. Solte aber gleichwohl, beson-
ders in demokratischen und aristokratischen Staaten, ein
Bürger durch seine Macht dem Staate zu gefährlich wer-
den, und dieser Gefahr durch kein anderes Mittel vorzu-
beugen seyn; so rechtfertigt das algemeine Beste allerdings
eine Einschränkung iener Macht und eine Art von Athe-
nischen Ostracismus c].

a] Lehmann c. II. §. 60.
b]
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und deren Gleichgewicht.
zur Unterdruͤckung anderer gemisbraucht werde, lehrt die
Erfahrung aller Zeiten: die Nazionen muͤſſen daher bey
dem zu großen Anwuchs eines Staats in nicht ungegruͤn-
dete Beſorgniß ihrer Sicherheit wegen verſezt werden.
Alle Anſtalten wuͤrden fruchtlos dagegen ſeyn, wenn die
ſaͤmtlichen uͤbrigen Glieder der Geſelſchaft nicht Kraͤfte
genug haͤtten, der Gewalt eines Uebermaͤchtigen Wider-
ſtand zu thun. Es iſt alſo kein wuͤrkſameres Mittel,
dieſer Gefahr vorzubeugen, als die Einſchraͤnkung der zu
ſehr uͤberhandnehmenden Macht eines Einzigen a]. Folg-
lich ſind die Nazionen zu Erhaltung des Gleichgewichts
berechtigt und verbunden. Die Rechtmaͤſſigkeit einer
ſolchen Einrichtung iſt auch um ſo weniger zu bezweifeln,
wenn die Nazionen, wie in Europa, die Nothwendig-
keit der zum Wohl des Ganzen einzuſchraͤnkenden Macht
freiwillig anerkennen.

Im natuͤrlichen Zuſtande einzelner Menſchen wuͤrde
es freilich ungerecht ſeyn, wenn man [wie von einigen
zu Entkraͤftung des Gleichgewichts eingewand wird] b]
einem vorzuͤglich Starken Arme oder Beine zerbrechen ꝛc.
wolte, damit er andern nicht ſchaden koͤnte. Dieſe Vor-
ſicht waͤre hier ganz unnoͤthig, weil den uͤbrigen, durch
Vereinigung, gewis immer noch Kraͤfte genug zum Wi-
derſtand bleiben. In buͤrgerlichen Geſelſchaften iſt eine
ſolche Einrichtung ebenfals minder nothwendig, weil da
die Oberherſchaft den Ausſchweifungen der Maͤchtigen
leicht Ziel ſetzen kann. Solte aber gleichwohl, beſon-
ders in demokratiſchen und ariſtokratiſchen Staaten, ein
Buͤrger durch ſeine Macht dem Staate zu gefaͤhrlich wer-
den, und dieſer Gefahr durch kein anderes Mittel vorzu-
beugen ſeyn; ſo rechtfertigt das algemeine Beſte allerdings
eine Einſchraͤnkung iener Macht und eine Art von Athe-
niſchen Oſtraciſmus c].

a] Lehmann c. II. §. 60.
b]
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[361/0387] und deren Gleichgewicht. zur Unterdruͤckung anderer gemisbraucht werde, lehrt die Erfahrung aller Zeiten: die Nazionen muͤſſen daher bey dem zu großen Anwuchs eines Staats in nicht ungegruͤn- dete Beſorgniß ihrer Sicherheit wegen verſezt werden. Alle Anſtalten wuͤrden fruchtlos dagegen ſeyn, wenn die ſaͤmtlichen uͤbrigen Glieder der Geſelſchaft nicht Kraͤfte genug haͤtten, der Gewalt eines Uebermaͤchtigen Wider- ſtand zu thun. Es iſt alſo kein wuͤrkſameres Mittel, dieſer Gefahr vorzubeugen, als die Einſchraͤnkung der zu ſehr uͤberhandnehmenden Macht eines Einzigen a]. Folg- lich ſind die Nazionen zu Erhaltung des Gleichgewichts berechtigt und verbunden. Die Rechtmaͤſſigkeit einer ſolchen Einrichtung iſt auch um ſo weniger zu bezweifeln, wenn die Nazionen, wie in Europa, die Nothwendig- keit der zum Wohl des Ganzen einzuſchraͤnkenden Macht freiwillig anerkennen. Im natuͤrlichen Zuſtande einzelner Menſchen wuͤrde es freilich ungerecht ſeyn, wenn man [wie von einigen zu Entkraͤftung des Gleichgewichts eingewand wird] b] einem vorzuͤglich Starken Arme oder Beine zerbrechen ꝛc. wolte, damit er andern nicht ſchaden koͤnte. Dieſe Vor- ſicht waͤre hier ganz unnoͤthig, weil den uͤbrigen, durch Vereinigung, gewis immer noch Kraͤfte genug zum Wi- derſtand bleiben. In buͤrgerlichen Geſelſchaften iſt eine ſolche Einrichtung ebenfals minder nothwendig, weil da die Oberherſchaft den Ausſchweifungen der Maͤchtigen leicht Ziel ſetzen kann. Solte aber gleichwohl, beſon- ders in demokratiſchen und ariſtokratiſchen Staaten, ein Buͤrger durch ſeine Macht dem Staate zu gefaͤhrlich wer- den, und dieſer Gefahr durch kein anderes Mittel vorzu- beugen ſeyn; ſo rechtfertigt das algemeine Beſte allerdings eine Einſchraͤnkung iener Macht und eine Art von Athe- niſchen Oſtraciſmus c]. a] Lehmann c. II. §. 60. b] Z 5

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/387>, abgerufen am 18.04.2024.