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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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und deren Gleichgewicht.
überwiegend zu werden, kann man bey Erwerbung noch
mehrerer Länder, allenfals hinlängliche Sicherheit fo-
dern d]. Blosse Versicherungen, selbst durch Eide bestä-
tigt, dürften aber dafür kaum anzusehn seyn, sondern
z. B. die Besetzung der festen Plätze in den neuerworbe-
nen Provinzen durch andere Nazionen etc. e].

Ob und wenn zu Erhaltung des Gleichgewichts Krieg
und andere gewaltsame Mittel Statt finden? ist eine
von den Völkerrechtslehrern äusserst bestrittene Frage.

Einige glauben mit Kahlen f], alle Nazionen,
denen es um ihre Erhaltung zu thun wäre, müsten dieie-
nigen sogleich für ihre Feinde ansehn, welche die
Schranken einer gemässigten Macht überschritten, und
nach einer Herschaft strebten, wodurch ienen früher oder
später der Untergang bereitet würde. Sie sehen gute
Kriegsanstalten, Festungen, Vertheidigungsbündnisse
etc. für weise Maasregeln an, deren man sich zuförderst
bedienen müsse; aber ausserdem daß die Unterhaltung
zahlreicher Armeen etc. und die Schliessung der Bünd-
nisse mit vielen Kosten und oft nicht mit geringen
Schwierigkeiten verknüpft sind g], sey es noch sehr un-
gewis, ob der mächtige Feind seinen Gegnern zu allen
diesen Vorkehrungen Zeit genug lassen, oder sie viel-
mehr unvermuthet überfallen werde. Es sey daher bes-
ser, zuvorzukommen, und iede überhandnehmende Macht
mit Gewalt einzuschränken. Folge gleich nicht, daß
der Mächtigere den Schwächern allezeit unterdrücke, so
müsse dieser doch in beständiger Furcht deshalb leben,
weil, wenn auch der itzige Regent tugendhaft wäre,
man doch nicht wisse, was man von seinen Nachfolgern
zu erwarten habe. Es würde unverantwortlich seyn,
wenn eine Nazion ihrem Untergang geduldig entgegen
sehn wolte, bis er unvermeidlich wäre. In Fällen,
wo es unmöglich oder zu gefährlich sey, eine völlige Ge-
wisheit abzuwarten, müsse man auch nach einer ver-

nünf-

und deren Gleichgewicht.
uͤberwiegend zu werden, kann man bey Erwerbung noch
mehrerer Laͤnder, allenfals hinlaͤngliche Sicherheit fo-
dern d]. Bloſſe Verſicherungen, ſelbſt durch Eide beſtaͤ-
tigt, duͤrften aber dafuͤr kaum anzuſehn ſeyn, ſondern
z. B. die Beſetzung der feſten Plaͤtze in den neuerworbe-
nen Provinzen durch andere Nazionen ꝛc. e].

Ob und wenn zu Erhaltung des Gleichgewichts Krieg
und andere gewaltſame Mittel Statt finden? iſt eine
von den Voͤlkerrechtslehrern aͤuſſerſt beſtrittene Frage.

Einige glauben mit Kahlen f], alle Nazionen,
denen es um ihre Erhaltung zu thun waͤre, muͤſten dieie-
nigen ſogleich fuͤr ihre Feinde anſehn, welche die
Schranken einer gemaͤſſigten Macht uͤberſchritten, und
nach einer Herſchaft ſtrebten, wodurch ienen fruͤher oder
ſpaͤter der Untergang bereitet wuͤrde. Sie ſehen gute
Kriegsanſtalten, Feſtungen, Vertheidigungsbuͤndniſſe
ꝛc. fuͤr weiſe Maasregeln an, deren man ſich zufoͤrderſt
bedienen muͤſſe; aber auſſerdem daß die Unterhaltung
zahlreicher Armeen ꝛc. und die Schlieſſung der Buͤnd-
niſſe mit vielen Koſten und oft nicht mit geringen
Schwierigkeiten verknuͤpft ſind g], ſey es noch ſehr un-
gewis, ob der maͤchtige Feind ſeinen Gegnern zu allen
dieſen Vorkehrungen Zeit genug laſſen, oder ſie viel-
mehr unvermuthet uͤberfallen werde. Es ſey daher beſ-
ſer, zuvorzukommen, und iede uͤberhandnehmende Macht
mit Gewalt einzuſchraͤnken. Folge gleich nicht, daß
der Maͤchtigere den Schwaͤchern allezeit unterdruͤcke, ſo
muͤſſe dieſer doch in beſtaͤndiger Furcht deshalb leben,
weil, wenn auch der itzige Regent tugendhaft waͤre,
man doch nicht wiſſe, was man von ſeinen Nachfolgern
zu erwarten habe. Es wuͤrde unverantwortlich ſeyn,
wenn eine Nazion ihrem Untergang geduldig entgegen
ſehn wolte, bis er unvermeidlich waͤre. In Faͤllen,
wo es unmoͤglich oder zu gefaͤhrlich ſey, eine voͤllige Ge-
wisheit abzuwarten, muͤſſe man auch nach einer ver-

nuͤnf-
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[363/0389] und deren Gleichgewicht. uͤberwiegend zu werden, kann man bey Erwerbung noch mehrerer Laͤnder, allenfals hinlaͤngliche Sicherheit fo- dern d]. Bloſſe Verſicherungen, ſelbſt durch Eide beſtaͤ- tigt, duͤrften aber dafuͤr kaum anzuſehn ſeyn, ſondern z. B. die Beſetzung der feſten Plaͤtze in den neuerworbe- nen Provinzen durch andere Nazionen ꝛc. e]. Ob und wenn zu Erhaltung des Gleichgewichts Krieg und andere gewaltſame Mittel Statt finden? iſt eine von den Voͤlkerrechtslehrern aͤuſſerſt beſtrittene Frage. Einige glauben mit Kahlen f], alle Nazionen, denen es um ihre Erhaltung zu thun waͤre, muͤſten dieie- nigen ſogleich fuͤr ihre Feinde anſehn, welche die Schranken einer gemaͤſſigten Macht uͤberſchritten, und nach einer Herſchaft ſtrebten, wodurch ienen fruͤher oder ſpaͤter der Untergang bereitet wuͤrde. Sie ſehen gute Kriegsanſtalten, Feſtungen, Vertheidigungsbuͤndniſſe ꝛc. fuͤr weiſe Maasregeln an, deren man ſich zufoͤrderſt bedienen muͤſſe; aber auſſerdem daß die Unterhaltung zahlreicher Armeen ꝛc. und die Schlieſſung der Buͤnd- niſſe mit vielen Koſten und oft nicht mit geringen Schwierigkeiten verknuͤpft ſind g], ſey es noch ſehr un- gewis, ob der maͤchtige Feind ſeinen Gegnern zu allen dieſen Vorkehrungen Zeit genug laſſen, oder ſie viel- mehr unvermuthet uͤberfallen werde. Es ſey daher beſ- ſer, zuvorzukommen, und iede uͤberhandnehmende Macht mit Gewalt einzuſchraͤnken. Folge gleich nicht, daß der Maͤchtigere den Schwaͤchern allezeit unterdruͤcke, ſo muͤſſe dieſer doch in beſtaͤndiger Furcht deshalb leben, weil, wenn auch der itzige Regent tugendhaft waͤre, man doch nicht wiſſe, was man von ſeinen Nachfolgern zu erwarten habe. Es wuͤrde unverantwortlich ſeyn, wenn eine Nazion ihrem Untergang geduldig entgegen ſehn wolte, bis er unvermeidlich waͤre. In Faͤllen, wo es unmoͤglich oder zu gefaͤhrlich ſey, eine voͤllige Ge- wisheit abzuwarten, muͤſſe man auch nach einer ver- nuͤnf-

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/389>, abgerufen am 20.04.2024.