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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der Macht der Nazionen
der Zeit durch Erlangung immer mehrerer Vortheile,
den übrigen nordischen Nazionen Besorgnisse erregte b].
Die nun hervorwachsende preussische Macht allein war
vermögend ihr einigermaassen das Gleichgewicht zu
halten, so daß Rußland es in der Folge für nöthig hielt,
sich deren ferneren Ausbreitung zu widersetzen c]. In
neuern Zeiten haben beide Nazionen durch die polnische
Theilung und andere vortheilhafte Ereignisse ansehnliche
Vergrößerungen ihrer Macht erhalten, die iedoch ver-
möge der Aufmerksamkeit der übrigen europäischen Staa-
ten, den Nachbarn nicht so leicht gefährlich werden
kan d].

a] Neyron principes L. I. c. 2. Art. 3. §. 39.
b] Mosers Grundsätze in Frz. 1. B. 6. K. §. 24. u. f.
S. 56.
c] Im Jahre 1751 erklärte die Kaiserin in Rußland: Alle
ihre Bemühungen gingen nur dahin, den wichtigen Punkt
wegen Erhaltung der Ruhe und des Gleichge-vichts in
Norden sicher zu stellen. Sie suchte deshalb die 1719 in
Schweden eingeführte Regierungsform zu handhaben, und
den Anwachs der preussischen Macht auf alle Art zu hin-
dern. Es wurde auch 1755 in einer Versamlung des
russischen großen Raths zu einer beständigen Staatsmaxime
des russischen Reichs festgesezt: sich nicht allein allem
fernern Anwachs der preussischen Macht zu widersetzen,
sondern auch alle Kräfte anzuwenden, um das Haus
Brandenburg in seinen vorigen mittelmäsigen Stand zu
versetzen; und daß man solches nicht allein thun wolte,
wenn Hannover von Preussen angegriffen würde, sondern
auch, wenn man selbst vor nöthig fände, den Krieg gegen
Preussen zu erklären und anzufangen; welche Entschliesung
in der Folge mehrmalen bestätigt ward. Mosers Bei-
träge zum Europ. V. R. in Frz. 1. Th. S. 73 u. 74.
d]

Von der Macht der Nazionen
der Zeit durch Erlangung immer mehrerer Vortheile,
den uͤbrigen nordiſchen Nazionen Beſorgniſſe erregte b].
Die nun hervorwachſende preuſſiſche Macht allein war
vermoͤgend ihr einigermaaſſen das Gleichgewicht zu
halten, ſo daß Rußland es in der Folge fuͤr noͤthig hielt,
ſich deren ferneren Ausbreitung zu widerſetzen c]. In
neuern Zeiten haben beide Nazionen durch die polniſche
Theilung und andere vortheilhafte Ereigniſſe anſehnliche
Vergroͤßerungen ihrer Macht erhalten, die iedoch ver-
moͤge der Aufmerkſamkeit der uͤbrigen europaͤiſchen Staa-
ten, den Nachbarn nicht ſo leicht gefaͤhrlich werden
kan d].

a] Neyron principes L. I. c. 2. Art. 3. §. 39.
b] Moſers Grundſaͤtze in Frz. 1. B. 6. K. §. 24. u. f.
S. 56.
c] Im Jahre 1751 erklaͤrte die Kaiſerin in Rußland: Alle
ihre Bemuͤhungen gingen nur dahin, den wichtigen Punkt
wegen Erhaltung der Ruhe und des Gleichge-vichts in
Norden ſicher zu ſtellen. Sie ſuchte deshalb die 1719 in
Schweden eingefuͤhrte Regierungsform zu handhaben, und
den Anwachs der preuſſiſchen Macht auf alle Art zu hin-
dern. Es wurde auch 1755 in einer Verſamlung des
ruſſiſchen großen Raths zu einer beſtaͤndigen Staatsmaxime
des ruſſiſchen Reichs feſtgeſezt: ſich nicht allein allem
fernern Anwachs der preuſſiſchen Macht zu widerſetzen,
ſondern auch alle Kraͤfte anzuwenden, um das Haus
Brandenburg in ſeinen vorigen mittelmaͤſigen Stand zu
verſetzen; und daß man ſolches nicht allein thun wolte,
wenn Hannover von Preuſſen angegriffen wuͤrde, ſondern
auch, wenn man ſelbſt vor noͤthig faͤnde, den Krieg gegen
Preuſſen zu erklaͤren und anzufangen; welche Entſchlieſung
in der Folge mehrmalen beſtaͤtigt ward. Moſers Bei-
traͤge zum Europ. V. R. in Frz. 1. Th. S. 73 u. 74.
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[374/0400] Von der Macht der Nazionen der Zeit durch Erlangung immer mehrerer Vortheile, den uͤbrigen nordiſchen Nazionen Beſorgniſſe erregte b]. Die nun hervorwachſende preuſſiſche Macht allein war vermoͤgend ihr einigermaaſſen das Gleichgewicht zu halten, ſo daß Rußland es in der Folge fuͤr noͤthig hielt, ſich deren ferneren Ausbreitung zu widerſetzen c]. In neuern Zeiten haben beide Nazionen durch die polniſche Theilung und andere vortheilhafte Ereigniſſe anſehnliche Vergroͤßerungen ihrer Macht erhalten, die iedoch ver- moͤge der Aufmerkſamkeit der uͤbrigen europaͤiſchen Staa- ten, den Nachbarn nicht ſo leicht gefaͤhrlich werden kan d]. a] Neyron principes L. I. c. 2. Art. 3. §. 39. b] Moſers Grundſaͤtze in Frz. 1. B. 6. K. §. 24. u. f. S. 56. c] Im Jahre 1751 erklaͤrte die Kaiſerin in Rußland: Alle ihre Bemuͤhungen gingen nur dahin, den wichtigen Punkt wegen Erhaltung der Ruhe und des Gleichge-vichts in Norden ſicher zu ſtellen. Sie ſuchte deshalb die 1719 in Schweden eingefuͤhrte Regierungsform zu handhaben, und den Anwachs der preuſſiſchen Macht auf alle Art zu hin- dern. Es wurde auch 1755 in einer Verſamlung des ruſſiſchen großen Raths zu einer beſtaͤndigen Staatsmaxime des ruſſiſchen Reichs feſtgeſezt: ſich nicht allein allem fernern Anwachs der preuſſiſchen Macht zu widerſetzen, ſondern auch alle Kraͤfte anzuwenden, um das Haus Brandenburg in ſeinen vorigen mittelmaͤſigen Stand zu verſetzen; und daß man ſolches nicht allein thun wolte, wenn Hannover von Preuſſen angegriffen wuͤrde, ſondern auch, wenn man ſelbſt vor noͤthig faͤnde, den Krieg gegen Preuſſen zu erklaͤren und anzufangen; welche Entſchlieſung in der Folge mehrmalen beſtaͤtigt ward. Moſers Bei- traͤge zum Europ. V. R. in Frz. 1. Th. S. 73 u. 74. d]

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/400>, abgerufen am 28.03.2024.