Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

und dem europäischen insbesondere.
um die wissenschaftliche Bearbeitung desselben verdient
gemacht haben, unentbehrlich; weil die Bekantschaft mit
den Schicksalen, Volkommenheiten und Mängeln einer
Wissenschaft die Fortschritte in derselben ungemein erleich-
tert. Die eigentliche Geschichte der Wissenschaft be-
schäftigt sich mit Erzählung der wichtigsten von Zeit zu
Zeit in denselben aufgestelten Grundsätze und deren Ver-
anlassung; hingegen die Bemühungen der Gelehrten, sie
als Wissenschaft in Schriften auszubilden, werden in
der Gelehrtengeschichte oder sogenanten Literatur vor-
getragen.

§. 27.
Geschichte des natürlichen Völkerrechts.

Eine Geschichte im eigentlichen Verstande findet beim
natürlichen Völkerrechte, wie man gegen meinen Grund-
ris erinnert hat, zwar freilich nicht Statt, weil dessen
Grundsätze, eben so alt als die Nazionen, unveränder-
lich sind, und auf Schlüssen einer gesunden Vernunft
beruhen. Da iedoch die Art zu schlüssen nicht immer
die nämliche gewesen, die Gelehrten in vielen Sätzen
von einander abweichen, und manche derselben erst in
neuern Zeiten, bey zunehmender Aufklärung, mehrere
Berichtigung erhalten haben, so würde es wohl mehr
Geschichte der Wissenschaft, als bloße Literatur zu nen-
nen seyn, wenn man hauptsächlich die verschiedenen
Grundsätze des natürlichen Völkerrechts durchginge, und
zeigte, wie sie nach und nach entstanden, abgeändert und
vervolkomnet worden, mit Bemerkung der Gelehrten,
welche dieser oder iener Meinung zugethan gewesen.
Man kan folgende Epochen annehmen: a] die Zeiten der
alten und scholastischen Philosophie; b] Grotius und
seine Nachfolger; c] neuere Zeiten von Wolf bis itzt.
Die Ausführung dieser Geschichte würde für meine gegen-
wärtige Absicht zu weitläuftig seyn. Man kan indes

die-
C 5

und dem europaͤiſchen insbeſondere.
um die wiſſenſchaftliche Bearbeitung deſſelben verdient
gemacht haben, unentbehrlich; weil die Bekantſchaft mit
den Schickſalen, Volkommenheiten und Maͤngeln einer
Wiſſenſchaft die Fortſchritte in derſelben ungemein erleich-
tert. Die eigentliche Geſchichte der Wiſſenſchaft be-
ſchaͤftigt ſich mit Erzaͤhlung der wichtigſten von Zeit zu
Zeit in denſelben aufgeſtelten Grundſaͤtze und deren Ver-
anlaſſung; hingegen die Bemuͤhungen der Gelehrten, ſie
als Wiſſenſchaft in Schriften auszubilden, werden in
der Gelehrtengeſchichte oder ſogenanten Literatur vor-
getragen.

§. 27.
Geſchichte des natuͤrlichen Voͤlkerrechts.

Eine Geſchichte im eigentlichen Verſtande findet beim
natuͤrlichen Voͤlkerrechte, wie man gegen meinen Grund-
ris erinnert hat, zwar freilich nicht Statt, weil deſſen
Grundſaͤtze, eben ſo alt als die Nazionen, unveraͤnder-
lich ſind, und auf Schluͤſſen einer geſunden Vernunft
beruhen. Da iedoch die Art zu ſchluͤſſen nicht immer
die naͤmliche geweſen, die Gelehrten in vielen Saͤtzen
von einander abweichen, und manche derſelben erſt in
neuern Zeiten, bey zunehmender Aufklaͤrung, mehrere
Berichtigung erhalten haben, ſo wuͤrde es wohl mehr
Geſchichte der Wiſſenſchaft, als bloße Literatur zu nen-
nen ſeyn, wenn man hauptſaͤchlich die verſchiedenen
Grundſaͤtze des natuͤrlichen Voͤlkerrechts durchginge, und
zeigte, wie ſie nach und nach entſtanden, abgeaͤndert und
vervolkomnet worden, mit Bemerkung der Gelehrten,
welche dieſer oder iener Meinung zugethan geweſen.
Man kan folgende Epochen annehmen: a] die Zeiten der
alten und ſcholaſtiſchen Philoſophie; b] Grotius und
ſeine Nachfolger; c] neuere Zeiten von Wolf bis itzt.
Die Ausfuͤhrung dieſer Geſchichte wuͤrde fuͤr meine gegen-
waͤrtige Abſicht zu weitlaͤuftig ſeyn. Man kan indes

die-
C 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0067" n="41"/><fw place="top" type="header">und dem europa&#x0364;i&#x017F;chen insbe&#x017F;ondere.</fw><lb/>
um die wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Bearbeitung de&#x017F;&#x017F;elben verdient<lb/>
gemacht haben, unentbehrlich; weil die Bekant&#x017F;chaft mit<lb/>
den Schick&#x017F;alen, Volkommenheiten und Ma&#x0364;ngeln einer<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die Fort&#x017F;chritte in der&#x017F;elben ungemein erleich-<lb/>
tert. Die eigentliche <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi> be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigt &#x017F;ich mit Erza&#x0364;hlung der wichtig&#x017F;ten von Zeit zu<lb/>
Zeit in den&#x017F;elben aufge&#x017F;telten Grund&#x017F;a&#x0364;tze und deren Ver-<lb/>
anla&#x017F;&#x017F;ung; hingegen die Bemu&#x0364;hungen der Gelehrten, &#x017F;ie<lb/>
als Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft in Schriften auszubilden, werden in<lb/>
der Gelehrtenge&#x017F;chichte oder &#x017F;ogenanten <hi rendition="#fr">Literatur</hi> vor-<lb/>
getragen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 27.<lb/><hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichte des natu&#x0364;rlichen Vo&#x0364;lkerrechts</hi>.</head><lb/>
          <p>Eine Ge&#x017F;chichte im eigentlichen Ver&#x017F;tande findet beim<lb/>
natu&#x0364;rlichen Vo&#x0364;lkerrechte, wie man gegen meinen Grund-<lb/>
ris erinnert hat, zwar freilich nicht Statt, weil de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tze, eben &#x017F;o alt als die Nazionen, unvera&#x0364;nder-<lb/>
lich &#x017F;ind, und auf Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en einer ge&#x017F;unden Vernunft<lb/>
beruhen. Da iedoch die Art zu &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nicht immer<lb/>
die na&#x0364;mliche gewe&#x017F;en, die Gelehrten in vielen Sa&#x0364;tzen<lb/>
von einander abweichen, und manche der&#x017F;elben er&#x017F;t in<lb/>
neuern Zeiten, bey zunehmender Aufkla&#x0364;rung, mehrere<lb/>
Berichtigung erhalten haben, &#x017F;o wu&#x0364;rde es wohl mehr<lb/>
Ge&#x017F;chichte der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, als bloße Literatur zu nen-<lb/>
nen &#x017F;eyn, wenn man haupt&#x017F;a&#x0364;chlich die ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tze des natu&#x0364;rlichen Vo&#x0364;lkerrechts durchginge, und<lb/>
zeigte, wie &#x017F;ie nach und nach ent&#x017F;tanden, abgea&#x0364;ndert und<lb/>
vervolkomnet worden, mit Bemerkung der Gelehrten,<lb/>
welche die&#x017F;er oder iener Meinung zugethan gewe&#x017F;en.<lb/>
Man kan folgende Epochen annehmen: <hi rendition="#aq">a</hi>] die Zeiten der<lb/>
alten und &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie; <hi rendition="#aq">b</hi>] Grotius und<lb/>
&#x017F;eine Nachfolger; <hi rendition="#aq">c</hi>] neuere Zeiten von Wolf bis itzt.<lb/>
Die Ausfu&#x0364;hrung die&#x017F;er Ge&#x017F;chichte wu&#x0364;rde fu&#x0364;r meine gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtige Ab&#x017F;icht zu weitla&#x0364;uftig &#x017F;eyn. Man kan indes<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 5</fw><fw place="bottom" type="catch">die-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0067] und dem europaͤiſchen insbeſondere. um die wiſſenſchaftliche Bearbeitung deſſelben verdient gemacht haben, unentbehrlich; weil die Bekantſchaft mit den Schickſalen, Volkommenheiten und Maͤngeln einer Wiſſenſchaft die Fortſchritte in derſelben ungemein erleich- tert. Die eigentliche Geſchichte der Wiſſenſchaft be- ſchaͤftigt ſich mit Erzaͤhlung der wichtigſten von Zeit zu Zeit in denſelben aufgeſtelten Grundſaͤtze und deren Ver- anlaſſung; hingegen die Bemuͤhungen der Gelehrten, ſie als Wiſſenſchaft in Schriften auszubilden, werden in der Gelehrtengeſchichte oder ſogenanten Literatur vor- getragen. §. 27. Geſchichte des natuͤrlichen Voͤlkerrechts. Eine Geſchichte im eigentlichen Verſtande findet beim natuͤrlichen Voͤlkerrechte, wie man gegen meinen Grund- ris erinnert hat, zwar freilich nicht Statt, weil deſſen Grundſaͤtze, eben ſo alt als die Nazionen, unveraͤnder- lich ſind, und auf Schluͤſſen einer geſunden Vernunft beruhen. Da iedoch die Art zu ſchluͤſſen nicht immer die naͤmliche geweſen, die Gelehrten in vielen Saͤtzen von einander abweichen, und manche derſelben erſt in neuern Zeiten, bey zunehmender Aufklaͤrung, mehrere Berichtigung erhalten haben, ſo wuͤrde es wohl mehr Geſchichte der Wiſſenſchaft, als bloße Literatur zu nen- nen ſeyn, wenn man hauptſaͤchlich die verſchiedenen Grundſaͤtze des natuͤrlichen Voͤlkerrechts durchginge, und zeigte, wie ſie nach und nach entſtanden, abgeaͤndert und vervolkomnet worden, mit Bemerkung der Gelehrten, welche dieſer oder iener Meinung zugethan geweſen. Man kan folgende Epochen annehmen: a] die Zeiten der alten und ſcholaſtiſchen Philoſophie; b] Grotius und ſeine Nachfolger; c] neuere Zeiten von Wolf bis itzt. Die Ausfuͤhrung dieſer Geſchichte wuͤrde fuͤr meine gegen- waͤrtige Abſicht zu weitlaͤuftig ſeyn. Man kan indes die- C 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/67
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/67>, abgerufen am 28.03.2024.