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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

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Algemeine wechselseitige Rechte der Völker
§. 10.
Rechte der Nachbarschaft.

Die benachbarten Nazionen haben, der blossen
Nachbarschaft wegen, hierzu kein stärkeres Recht, wenn
auch das Territorium ganz mit den Landen eines andern
Volks umschlossen seyn solte a]. Sie können zwar ver-
langen, daß der Nachbar sein Territorium nicht zum
offenbaren Schaden gebrauche b] ihm iedoch nicht ver-
wehren, solche an sich unschädliche Anstalten zu treffen,
die er seinen Vortheilen angemessen findet, wenn auch
den benachbarten Nazionen dadurch ein gehofter Nutzen
entgehen und ihm also mittelbar einiger Nachtheil zu-
gefügt werden solte c]. Denn mit eignem Schaden
ist niemand verbunden des andern Vortheil zu beför-
dern. Indes ist nicht zu läugnen, daß die benach-
barten, besonders mächtigern Nazionen, unter dem
Vorwand der Nachbarschaftsrechte sich nicht selten eins
und das andere herausnehmen d] und die mindermäch-
tigen oft etwas dulten, thun oder lassen müssen, wozu
sie den Rechten nach eben nicht verbunden wären: wie
denn überhaupt die Klugheit allerdings unter Nachbarn,
wegen der beständigen Verbindungen und mannichfal-
tigen Verhältnisse, eine genauere Beobachtung der an
sich unvolkomnen und sogenanten Liebespflichten fodert.

a] Mosers Versuch 6. Th. S. 167.
b] Ebendas. 5. B. 4. K. Von den Rechten und Pflich-
ten benachbarter Mächte S. 372. ff. und Beiträge in
Fr. Zeit. 5. Th. 7. Kap. S. 321. ff.
c] z. B. Anlegung eigner Fabriken etc. Mosers Versuch
5. Th. S. 374.
d] Ueber den Misbrauch dieses vermeintlichen Rechts der
Nachbarschaft geriethen unter andern Rußland und Polen,
wegen des Herzogthums Curland in Streit. Polen äus-
Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker
§. 10.
Rechte der Nachbarſchaft.

Die benachbarten Nazionen haben, der bloſſen
Nachbarſchaft wegen, hierzu kein ſtaͤrkeres Recht, wenn
auch das Territorium ganz mit den Landen eines andern
Volks umſchloſſen ſeyn ſolte a]. Sie koͤnnen zwar ver-
langen, daß der Nachbar ſein Territorium nicht zum
offenbaren Schaden gebrauche b] ihm iedoch nicht ver-
wehren, ſolche an ſich unſchaͤdliche Anſtalten zu treffen,
die er ſeinen Vortheilen angemeſſen findet, wenn auch
den benachbarten Nazionen dadurch ein gehofter Nutzen
entgehen und ihm alſo mittelbar einiger Nachtheil zu-
gefuͤgt werden ſolte c]. Denn mit eignem Schaden
iſt niemand verbunden des andern Vortheil zu befoͤr-
dern. Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die benach-
barten, beſonders maͤchtigern Nazionen, unter dem
Vorwand der Nachbarſchaftsrechte ſich nicht ſelten eins
und das andere herausnehmen d] und die mindermaͤch-
tigen oft etwas dulten, thun oder laſſen muͤſſen, wozu
ſie den Rechten nach eben nicht verbunden waͤren: wie
denn uͤberhaupt die Klugheit allerdings unter Nachbarn,
wegen der beſtaͤndigen Verbindungen und mannichfal-
tigen Verhaͤltniſſe, eine genauere Beobachtung der an
ſich unvolkomnen und ſogenanten Liebespflichten fodert.

a] Moſers Verſuch 6. Th. S. 167.
b] Ebendaſ. 5. B. 4. K. Von den Rechten und Pflich-
ten benachbarter Maͤchte S. 372. ff. und Beitraͤge in
Fr. Zeit. 5. Th. 7. Kap. S. 321. ff.
c] z. B. Anlegung eigner Fabriken ꝛc. Moſers Verſuch
5. Th. S. 374.
d] Ueber den Misbrauch dieſes vermeintlichen Rechts der
Nachbarſchaft geriethen unter andern Rußland und Polen,
wegen des Herzogthums Curland in Streit. Polen aͤuſ-
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[230/0244] Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker §. 10. Rechte der Nachbarſchaft. Die benachbarten Nazionen haben, der bloſſen Nachbarſchaft wegen, hierzu kein ſtaͤrkeres Recht, wenn auch das Territorium ganz mit den Landen eines andern Volks umſchloſſen ſeyn ſolte a]. Sie koͤnnen zwar ver- langen, daß der Nachbar ſein Territorium nicht zum offenbaren Schaden gebrauche b] ihm iedoch nicht ver- wehren, ſolche an ſich unſchaͤdliche Anſtalten zu treffen, die er ſeinen Vortheilen angemeſſen findet, wenn auch den benachbarten Nazionen dadurch ein gehofter Nutzen entgehen und ihm alſo mittelbar einiger Nachtheil zu- gefuͤgt werden ſolte c]. Denn mit eignem Schaden iſt niemand verbunden des andern Vortheil zu befoͤr- dern. Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die benach- barten, beſonders maͤchtigern Nazionen, unter dem Vorwand der Nachbarſchaftsrechte ſich nicht ſelten eins und das andere herausnehmen d] und die mindermaͤch- tigen oft etwas dulten, thun oder laſſen muͤſſen, wozu ſie den Rechten nach eben nicht verbunden waͤren: wie denn uͤberhaupt die Klugheit allerdings unter Nachbarn, wegen der beſtaͤndigen Verbindungen und mannichfal- tigen Verhaͤltniſſe, eine genauere Beobachtung der an ſich unvolkomnen und ſogenanten Liebespflichten fodert. a] Moſers Verſuch 6. Th. S. 167. b] Ebendaſ. 5. B. 4. K. Von den Rechten und Pflich- ten benachbarter Maͤchte S. 372. ff. und Beitraͤge in Fr. Zeit. 5. Th. 7. Kap. S. 321. ff. c] z. B. Anlegung eigner Fabriken ꝛc. Moſers Verſuch 5. Th. S. 374. d] Ueber den Misbrauch dieſes vermeintlichen Rechts der Nachbarſchaft geriethen unter andern Rußland und Polen, wegen des Herzogthums Curland in Streit. Polen aͤuſ- ſerte:

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/244>, abgerufen am 25.04.2024.