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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

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Algemeine wechselseitige Rechte der Völker
mässigen Titel erworben und sich eigen gemacht. Er
hat den ersten Eigenthümer weder selbst beleidigt, noch
Theil an den Ungerechtigkeiten des Beleidigers genom-
men. Ihm liegt auch nicht ob, bey ieder Erwerbung
erst öffentlich anzufragen, ob einige Ansprüche darauf
vorhanden. Doch wird unter Völkern mit ganzen
Ländern selten der Fall eintreten, daß sie ohne Wissen
dem wahren Eigenthümer entzogen, und ohne einige
Regung desselben, auf rechtsbeständige Art, von einem
andern mit redlicher Ueberzeugung erworben werden
könten a].

In Ansehung des, bey der Zurückfoderung, von
dem letzten Besitzer gehabten Aufwandes und der ge-
nossenen Nutzungen macht man ebenfals einen Unter-
schied unter den redlichen und unredlichen Besitzer. Er-
sterer soll zwar die auf den Erwerb gewandten Kosten
verlieren, von den Nutzungen aber nur die noch vor-
handenen und die zu seiner Bereicherung angewandten
herauszugeben verbunden aber auch die erweißlichen
Verbesserungen in Gegenrechnung zu bringen berechtigt
seyn, dahingegen dem unrechtmässigen Besitzer alles,
ausser der unumgänglich nöthige Aufwand, abgespro-
chen wird b].

Indes ist nicht zu läugnen, daß die europäischen
Nazionen bey dem Rechte der Zurückfoderung mehr
dieienigen wilkührlichen Grundsätze angenommen zu
haben scheinen, nach welchen dieselbe wider ieden Be-
sitzer unternommen werden kann c].

a] M. s. G. S. Treuer in not. ad Puffendorff de offic.
hom. et civ. c. XIII.
§. 5. Die meisten Natur- und
Völkerrechtslehrer verstatten zwar dem ersten Eigenthü-
mer das Recht der Wiederfoderung gegen ieden auch red-
lichen Besitzer [vergl. Grotius L. II. c. 10. §. 1.
n.
2.]. Ich halte aber die gegentheiligen Gründe für

Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker
maͤſſigen Titel erworben und ſich eigen gemacht. Er
hat den erſten Eigenthuͤmer weder ſelbſt beleidigt, noch
Theil an den Ungerechtigkeiten des Beleidigers genom-
men. Ihm liegt auch nicht ob, bey ieder Erwerbung
erſt oͤffentlich anzufragen, ob einige Anſpruͤche darauf
vorhanden. Doch wird unter Voͤlkern mit ganzen
Laͤndern ſelten der Fall eintreten, daß ſie ohne Wiſſen
dem wahren Eigenthuͤmer entzogen, und ohne einige
Regung deſſelben, auf rechtsbeſtaͤndige Art, von einem
andern mit redlicher Ueberzeugung erworben werden
koͤnten a].

In Anſehung des, bey der Zuruͤckfoderung, von
dem letzten Beſitzer gehabten Aufwandes und der ge-
noſſenen Nutzungen macht man ebenfals einen Unter-
ſchied unter den redlichen und unredlichen Beſitzer. Er-
ſterer ſoll zwar die auf den Erwerb gewandten Koſten
verlieren, von den Nutzungen aber nur die noch vor-
handenen und die zu ſeiner Bereicherung angewandten
herauszugeben verbunden aber auch die erweißlichen
Verbeſſerungen in Gegenrechnung zu bringen berechtigt
ſeyn, dahingegen dem unrechtmaͤſſigen Beſitzer alles,
auſſer der unumgaͤnglich noͤthige Aufwand, abgeſpro-
chen wird b].

Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die europaͤiſchen
Nazionen bey dem Rechte der Zuruͤckfoderung mehr
dieienigen wilkuͤhrlichen Grundſaͤtze angenommen zu
haben ſcheinen, nach welchen dieſelbe wider ieden Be-
ſitzer unternommen werden kann c].

a] M. ſ. G. S. Treuer in not. ad Puffendorff de offic.
hom. et civ. c. XIII.
§. 5. Die meiſten Natur- und
Voͤlkerrechtslehrer verſtatten zwar dem erſten Eigenthuͤ-
mer das Recht der Wiederfoderung gegen ieden auch red-
lichen Beſitzer [vergl. Grotius L. II. c. 10. §. 1.
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2.]. Ich halte aber die gegentheiligen Gruͤnde fuͤr
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[214/0228] Algemeine wechſelſeitige Rechte der Voͤlker maͤſſigen Titel erworben und ſich eigen gemacht. Er hat den erſten Eigenthuͤmer weder ſelbſt beleidigt, noch Theil an den Ungerechtigkeiten des Beleidigers genom- men. Ihm liegt auch nicht ob, bey ieder Erwerbung erſt oͤffentlich anzufragen, ob einige Anſpruͤche darauf vorhanden. Doch wird unter Voͤlkern mit ganzen Laͤndern ſelten der Fall eintreten, daß ſie ohne Wiſſen dem wahren Eigenthuͤmer entzogen, und ohne einige Regung deſſelben, auf rechtsbeſtaͤndige Art, von einem andern mit redlicher Ueberzeugung erworben werden koͤnten a]. In Anſehung des, bey der Zuruͤckfoderung, von dem letzten Beſitzer gehabten Aufwandes und der ge- noſſenen Nutzungen macht man ebenfals einen Unter- ſchied unter den redlichen und unredlichen Beſitzer. Er- ſterer ſoll zwar die auf den Erwerb gewandten Koſten verlieren, von den Nutzungen aber nur die noch vor- handenen und die zu ſeiner Bereicherung angewandten herauszugeben verbunden aber auch die erweißlichen Verbeſſerungen in Gegenrechnung zu bringen berechtigt ſeyn, dahingegen dem unrechtmaͤſſigen Beſitzer alles, auſſer der unumgaͤnglich noͤthige Aufwand, abgeſpro- chen wird b]. Indes iſt nicht zu laͤugnen, daß die europaͤiſchen Nazionen bey dem Rechte der Zuruͤckfoderung mehr dieienigen wilkuͤhrlichen Grundſaͤtze angenommen zu haben ſcheinen, nach welchen dieſelbe wider ieden Be- ſitzer unternommen werden kann c]. a] M. ſ. G. S. Treuer in not. ad Puffendorff de offic. hom. et civ. c. XIII. §. 5. Die meiſten Natur- und Voͤlkerrechtslehrer verſtatten zwar dem erſten Eigenthuͤ- mer das Recht der Wiederfoderung gegen ieden auch red- lichen Beſitzer [vergl. Grotius L. II. c. 10. §. 1. n. 2.]. Ich halte aber die gegentheiligen Gruͤnde fuͤr ſtaͤrker;

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/228>, abgerufen am 19.04.2024.