Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Fichtenrinde, weil bey ihm weder Pariser noch
Berliner Fabrik ist. Diese Verbreitung durch
so lange Zeiten, die so allgemein und oft so
schell geschah, ist eben ein Zeichen des allge-
meinen Bedürfnisses. War es nicht eben der
Fall mit den Kartoffeln? Und wenn auch der
heil. Antonin, Erzb. von Florenz an den Wür-
feln so viel Sünden als Punkte findet *) und der
heil. Bernard dem Abte von Clairvaux die Leh-
re gab, jeden Bissen Brod mit Thränen zu be-
netzen, weil der Hauptzweck der Klöster Thrä-
nenvergiessung sey, über die Sünden des Volks
und der Klosterbewohner; so tritt doch ein
gewisser Abt Abraham **) auf die andere Seite
und erstreitet sogar den Einsiedlern Zeitvertrei-
be, troz ihrer solidesten Pietät und äussersten
Pönitenz. Er führt sogar das Beyspiel des heilgen
Evangel. Johannes an. Ich weiss nicht, aus welcher
Legende er das hat; allein er sagt auch nur on dit,
und gesunder Menschenverstand gilt in jedem
Kleide. Seine Worte sind lang, ich will sie ab-
kürzen. Der Evangelist Johannes spielte einst
mit einem Rebhuhne, das er mit seiner Hand
streichelte. Da kam ein Mann, ein Jäger von
Ansehen, und betrachtete den Evangelisten mit

*) Quot in taxillis sunt puncta, tot scelera ex eo procedunt.
**) In einer seiner Conferences de Cassien, Collat. 24. C. 20 u. 22.
A 4

Fichtenrinde, weil bey ihm weder Pariſer noch
Berliner Fabrik iſt. Dieſe Verbreitung durch
ſo lange Zeiten, die ſo allgemein und oft ſo
ſchell geſchah, iſt eben ein Zeichen des allge-
meinen Bedürfniſſes. War es nicht eben der
Fall mit den Kartoffeln? Und wenn auch der
heil. Antonin, Erzb. von Florenz an den Wür-
feln ſo viel Sünden als Punkte findet *) und der
heil. Bernard dem Abte von Clairvaux die Leh-
re gab, jeden Biſſen Brod mit Thränen zu be-
netzen, weil der Hauptzweck der Klöſter Thrä-
nenvergieſsung ſey, über die Sünden des Volks
und der Kloſterbewohner; ſo tritt doch ein
gewiſser Abt Abraham **) auf die andere Seite
und erſtreitet ſogar den Einſiedlern Zeitvertrei-
be, troz ihrer ſolideſten Pietät und äuſserſten
Pönitenz. Er führt ſogar das Beyſpiel des heilgen
Evangel. Johannes an. Ich weiſs nicht, aus welcher
Legende er das hat; allein er ſagt auch nur on dit,
und geſunder Menſchenverſtand gilt in jedem
Kleide. Seine Worte ſind lang, ich will ſie ab-
kürzen. Der Evangeliſt Johannes ſpielte einſt
mit einem Rebhuhne, das er mit ſeiner Hand
ſtreichelte. Da kam ein Mann, ein Jäger von
Anſehen, und betrachtete den Evangeliſten mit

*) Quot in taxillis ſunt puncta, tot ſcelera ex eo procedunt.
**) In einer ſeiner Conferences de Caſſien, Collat. 24. C. 20 u. 22.
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0039" n="7"/>
Fichtenrinde, weil bey ihm weder Pari&#x017F;er noch<lb/>
Berliner Fabrik i&#x017F;t. Die&#x017F;e Verbreitung durch<lb/>
&#x017F;o lange Zeiten, die &#x017F;o allgemein und oft &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chell ge&#x017F;chah, i&#x017F;t eben ein Zeichen des allge-<lb/>
meinen <hi rendition="#i">Bedürfni&#x017F;&#x017F;es</hi>. War es nicht eben der<lb/>
Fall mit den Kartoffeln? Und wenn auch der<lb/>
heil. Antonin, Erzb. von Florenz an den Wür-<lb/>
feln &#x017F;o viel Sünden als Punkte findet <note place="foot" n="*)">Quot in taxillis &#x017F;unt puncta, tot &#x017F;celera ex eo procedunt.</note> und der<lb/>
heil. Bernard dem Abte von Clairvaux die Leh-<lb/>
re gab, jeden Bi&#x017F;&#x017F;en Brod mit Thränen zu be-<lb/>
netzen, weil der Hauptzweck der Klö&#x017F;ter Thrä-<lb/>
nenvergie&#x017F;sung &#x017F;ey, über die Sünden des Volks<lb/>
und der Klo&#x017F;terbewohner; &#x017F;o tritt doch ein<lb/>
gewi&#x017F;ser Abt Abraham <note place="foot" n="**)">In einer &#x017F;einer Conferences de Ca&#x017F;&#x017F;ien, <hi rendition="#k">Collat</hi>. 24. C. 20 u. 22.</note> auf die andere Seite<lb/>
und er&#x017F;treitet &#x017F;ogar den Ein&#x017F;iedlern Zeitvertrei-<lb/>
be, troz ihrer &#x017F;olide&#x017F;ten Pietät und äu&#x017F;ser&#x017F;ten<lb/>
Pönitenz. Er führt &#x017F;ogar das Bey&#x017F;piel des heilgen<lb/>
Evangel. Johannes an. Ich wei&#x017F;s nicht, aus welcher<lb/>
Legende er das hat; allein er &#x017F;agt auch nur <hi rendition="#i">on dit</hi>,<lb/>
und ge&#x017F;under Men&#x017F;chenver&#x017F;tand gilt in jedem<lb/>
Kleide. Seine Worte &#x017F;ind lang, ich will &#x017F;ie ab-<lb/>
kürzen. Der Evangeli&#x017F;t Johannes &#x017F;pielte ein&#x017F;t<lb/>
mit einem Rebhuhne, das er mit &#x017F;einer Hand<lb/>
&#x017F;treichelte. Da kam ein Mann, ein Jäger von<lb/>
An&#x017F;ehen, und betrachtete den Evangeli&#x017F;ten mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0039] Fichtenrinde, weil bey ihm weder Pariſer noch Berliner Fabrik iſt. Dieſe Verbreitung durch ſo lange Zeiten, die ſo allgemein und oft ſo ſchell geſchah, iſt eben ein Zeichen des allge- meinen Bedürfniſſes. War es nicht eben der Fall mit den Kartoffeln? Und wenn auch der heil. Antonin, Erzb. von Florenz an den Wür- feln ſo viel Sünden als Punkte findet *) und der heil. Bernard dem Abte von Clairvaux die Leh- re gab, jeden Biſſen Brod mit Thränen zu be- netzen, weil der Hauptzweck der Klöſter Thrä- nenvergieſsung ſey, über die Sünden des Volks und der Kloſterbewohner; ſo tritt doch ein gewiſser Abt Abraham **) auf die andere Seite und erſtreitet ſogar den Einſiedlern Zeitvertrei- be, troz ihrer ſolideſten Pietät und äuſserſten Pönitenz. Er führt ſogar das Beyſpiel des heilgen Evangel. Johannes an. Ich weiſs nicht, aus welcher Legende er das hat; allein er ſagt auch nur on dit, und geſunder Menſchenverſtand gilt in jedem Kleide. Seine Worte ſind lang, ich will ſie ab- kürzen. Der Evangeliſt Johannes ſpielte einſt mit einem Rebhuhne, das er mit ſeiner Hand ſtreichelte. Da kam ein Mann, ein Jäger von Anſehen, und betrachtete den Evangeliſten mit *) Quot in taxillis ſunt puncta, tot ſcelera ex eo procedunt. **) In einer ſeiner Conferences de Caſſien, Collat. 24. C. 20 u. 22. A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/39
Zitationshilfe: Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/39>, abgerufen am 20.04.2024.