Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Talleyrand.
kämmerer, Vicegroßwahlherr, nur nicht tugendhaft. Er
war der Roue der Börse und des Spielhauses, er
liebte noch immer ohne Plan, flüchtig, auswählend, ja
er hatte keinen Anstoß daran, daß Frau Grandt noch
nicht einmal vor den Altar mit ihm getreten war.
Napoleon wollte von diesen lockern Banden nichts mehr
wissen, sondern drohte ihm mit seiner Ungnade, worauf
sich Talleyrand murrend verheirathete. Ossian entfiel
dem Gedächtnisse des Kaisers immer mehr: in den
polnischen Wäldern dachte er nicht mehr daran, und
Talleyrand fiel in förmliche Ungnade. Es war die
zweite Periode seiner Unthätigkeit, die er mit Sarkas¬
men, Geldspekulationen und Verschwörungen hinbrachte.
Er hatte den russischen Feldzug den Anfang des En¬
des genannt, und war früh genug zur Hand, dem ge¬
fallenen Helden die Krone vom Haupte zu nehmen.
Er gab sie den Bourbonen. Er konnte das Degen¬
geklirr der Napoleoniden nicht mehr hören und fürchtete
die Epauletten, welche um die Wiege des Kindes
Reichstadt würden gestanden haben. Talleyrand haßte
den Krieg, weil seine Entscheidungen ohne Berechnung
sind und nichts sichrer, nichts die Papiere der Börse
beherrschender ist, als ein nicht gefahrloser Friede, ein
Friede mit etwas Besorgniß und viel Diplomatie.

Talleyrand.
kaͤmmerer, Vicegroßwahlherr, nur nicht tugendhaft. Er
war der Roué der Boͤrſe und des Spielhauſes, er
liebte noch immer ohne Plan, fluͤchtig, auswaͤhlend, ja
er hatte keinen Anſtoß daran, daß Frau Grandt noch
nicht einmal vor den Altar mit ihm getreten war.
Napoleon wollte von dieſen lockern Banden nichts mehr
wiſſen, ſondern drohte ihm mit ſeiner Ungnade, worauf
ſich Talleyrand murrend verheirathete. Oſſian entfiel
dem Gedaͤchtniſſe des Kaiſers immer mehr: in den
polniſchen Waͤldern dachte er nicht mehr daran, und
Talleyrand fiel in foͤrmliche Ungnade. Es war die
zweite Periode ſeiner Unthaͤtigkeit, die er mit Sarkas¬
men, Geldſpekulationen und Verſchwoͤrungen hinbrachte.
Er hatte den ruſſiſchen Feldzug den Anfang des En¬
des genannt, und war fruͤh genug zur Hand, dem ge¬
fallenen Helden die Krone vom Haupte zu nehmen.
Er gab ſie den Bourbonen. Er konnte das Degen¬
geklirr der Napoleoniden nicht mehr hoͤren und fuͤrchtete
die Epauletten, welche um die Wiege des Kindes
Reichſtadt wuͤrden geſtanden haben. Talleyrand haßte
den Krieg, weil ſeine Entſcheidungen ohne Berechnung
ſind und nichts ſichrer, nichts die Papiere der Boͤrſe
beherrſchender iſt, als ein nicht gefahrloſer Friede, ein
Friede mit etwas Beſorgniß und viel Diplomatie.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Talleyrand</hi>.<lb/></fw> ka&#x0364;mmerer, Vicegroßwahlherr, nur nicht tugendhaft. Er<lb/>
war der Rou<hi rendition="#aq">é</hi> der Bo&#x0364;r&#x017F;e und des Spielhau&#x017F;es, er<lb/>
liebte noch immer ohne Plan, flu&#x0364;chtig, auswa&#x0364;hlend, ja<lb/>
er hatte keinen An&#x017F;toß daran, daß Frau Grandt noch<lb/>
nicht einmal vor den Altar mit ihm getreten war.<lb/>
Napoleon wollte von die&#x017F;en lockern Banden nichts mehr<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern drohte ihm mit &#x017F;einer Ungnade, worauf<lb/>
&#x017F;ich Talleyrand murrend verheirathete. O&#x017F;&#x017F;ian entfiel<lb/>
dem Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e des Kai&#x017F;ers immer mehr: in den<lb/>
polni&#x017F;chen Wa&#x0364;ldern dachte er nicht mehr daran, und<lb/>
Talleyrand fiel in fo&#x0364;rmliche Ungnade. Es war die<lb/>
zweite Periode &#x017F;einer Untha&#x0364;tigkeit, die er mit Sarkas¬<lb/>
men, Geld&#x017F;pekulationen und Ver&#x017F;chwo&#x0364;rungen hinbrachte.<lb/>
Er hatte den ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Feldzug den Anfang des En¬<lb/>
des genannt, und war fru&#x0364;h genug zur Hand, dem ge¬<lb/>
fallenen Helden die Krone vom Haupte zu nehmen.<lb/>
Er gab &#x017F;ie den Bourbonen. Er konnte das Degen¬<lb/>
geklirr der Napoleoniden nicht mehr ho&#x0364;ren und fu&#x0364;rchtete<lb/>
die Epauletten, welche um die Wiege des Kindes<lb/>
Reich&#x017F;tadt wu&#x0364;rden ge&#x017F;tanden haben. Talleyrand haßte<lb/>
den Krieg, weil &#x017F;eine Ent&#x017F;cheidungen ohne Berechnung<lb/>
&#x017F;ind und nichts &#x017F;ichrer, nichts die Papiere der Bo&#x0364;r&#x017F;e<lb/>
beherr&#x017F;chender i&#x017F;t, als ein nicht gefahrlo&#x017F;er Friede, ein<lb/>
Friede mit etwas Be&#x017F;orgniß und viel Diplomatie.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0031] Talleyrand. kaͤmmerer, Vicegroßwahlherr, nur nicht tugendhaft. Er war der Roué der Boͤrſe und des Spielhauſes, er liebte noch immer ohne Plan, fluͤchtig, auswaͤhlend, ja er hatte keinen Anſtoß daran, daß Frau Grandt noch nicht einmal vor den Altar mit ihm getreten war. Napoleon wollte von dieſen lockern Banden nichts mehr wiſſen, ſondern drohte ihm mit ſeiner Ungnade, worauf ſich Talleyrand murrend verheirathete. Oſſian entfiel dem Gedaͤchtniſſe des Kaiſers immer mehr: in den polniſchen Waͤldern dachte er nicht mehr daran, und Talleyrand fiel in foͤrmliche Ungnade. Es war die zweite Periode ſeiner Unthaͤtigkeit, die er mit Sarkas¬ men, Geldſpekulationen und Verſchwoͤrungen hinbrachte. Er hatte den ruſſiſchen Feldzug den Anfang des En¬ des genannt, und war fruͤh genug zur Hand, dem ge¬ fallenen Helden die Krone vom Haupte zu nehmen. Er gab ſie den Bourbonen. Er konnte das Degen¬ geklirr der Napoleoniden nicht mehr hoͤren und fuͤrchtete die Epauletten, welche um die Wiege des Kindes Reichſtadt wuͤrden geſtanden haben. Talleyrand haßte den Krieg, weil ſeine Entſcheidungen ohne Berechnung ſind und nichts ſichrer, nichts die Papiere der Boͤrſe beherrſchender iſt, als ein nicht gefahrloſer Friede, ein Friede mit etwas Beſorgniß und viel Diplomatie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/31
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/31>, abgerufen am 20.04.2024.