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[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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man sich selbst schon zehnmal belogen hat, ehe man einem Andern nur eine Lüge aufheftet, so schaudert's mich vor der Tiefe jenes Elends, wenn einmal von einer wunderthätigen Hand den Blinden die Augen sollten geöffnet werden.

Willst Du nun dennoch eine Reise zu unsern großen Geistern machen? Thu' es nicht! Ich beschwöre Dich, Geliebte, bei Deiner Unsterblichkeit, bleibe diesen Augenblick an Deinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte! Der Kaiser und die Kaiserin wollen Euch ja besuchen.

Schreibe mir dann doch ein kleines Fascikel Schloßplatzbeobachtungen, von dem Standpunkte jenes niedlichen Galanterieleuchters aus, den die Handlung Quittel und Comp. als Waarenschild mitten auf jenen Platz gestellt hat.

Wird man vielleicht das rührende Schauspiel: Familienliebe auf dem Throne wieder dort auf dem Balcone aufführen? wird sich der zweiköpfige Adler dem einköpfigen an die Brust werfen? Wird der Pöbel Hurrah schreien? wird man den Polen ein Pereat bringen?

Als die Kaiserin von Rußland vor drei Jahren mit ihrer stolzen Wagenburg durch die Königsstraße sprengte, und schon einige Flämmchen der kommenden Generalillumination aufflackerten, sagte eine Hökerfrau im stolzen Selbstgefühle: Ja, das

man sich selbst schon zehnmal belogen hat, ehe man einem Andern nur eine Lüge aufheftet, so schaudert’s mich vor der Tiefe jenes Elends, wenn einmal von einer wunderthätigen Hand den Blinden die Augen sollten geöffnet werden.

Willst Du nun dennoch eine Reise zu unsern großen Geistern machen? Thu’ es nicht! Ich beschwöre Dich, Geliebte, bei Deiner Unsterblichkeit, bleibe diesen Augenblick an Deinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte! Der Kaiser und die Kaiserin wollen Euch ja besuchen.

Schreibe mir dann doch ein kleines Fascikel Schloßplatzbeobachtungen, von dem Standpunkte jenes niedlichen Galanterieleuchters aus, den die Handlung Quittel und Comp. als Waarenschild mitten auf jenen Platz gestellt hat.

Wird man vielleicht das rührende Schauspiel: Familienliebe auf dem Throne wieder dort auf dem Balcone aufführen? wird sich der zweiköpfige Adler dem einköpfigen an die Brust werfen? Wird der Pöbel Hurrah schreien? wird man den Polen ein Pereat bringen?

Als die Kaiserin von Rußland vor drei Jahren mit ihrer stolzen Wagenburg durch die Königsstraße sprengte, und schon einige Flämmchen der kommenden Generalillumination aufflackerten, sagte eine Hökerfrau im stolzen Selbstgefühle: Ja, das

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[135/0148] man sich selbst schon zehnmal belogen hat, ehe man einem Andern nur eine Lüge aufheftet, so schaudert’s mich vor der Tiefe jenes Elends, wenn einmal von einer wunderthätigen Hand den Blinden die Augen sollten geöffnet werden. Willst Du nun dennoch eine Reise zu unsern großen Geistern machen? Thu’ es nicht! Ich beschwöre Dich, Geliebte, bei Deiner Unsterblichkeit, bleibe diesen Augenblick an Deinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte! Der Kaiser und die Kaiserin wollen Euch ja besuchen. Schreibe mir dann doch ein kleines Fascikel Schloßplatzbeobachtungen, von dem Standpunkte jenes niedlichen Galanterieleuchters aus, den die Handlung Quittel und Comp. als Waarenschild mitten auf jenen Platz gestellt hat. Wird man vielleicht das rührende Schauspiel: Familienliebe auf dem Throne wieder dort auf dem Balcone aufführen? wird sich der zweiköpfige Adler dem einköpfigen an die Brust werfen? Wird der Pöbel Hurrah schreien? wird man den Polen ein Pereat bringen? Als die Kaiserin von Rußland vor drei Jahren mit ihrer stolzen Wagenburg durch die Königsstraße sprengte, und schon einige Flämmchen der kommenden Generalillumination aufflackerten, sagte eine Hökerfrau im stolzen Selbstgefühle: Ja, das

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/148>, abgerufen am 28.03.2024.