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[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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bringen, die durch ihre Tugend und Hoheit die Züge des Guten in die Gluth der Begeisterung, die hohlen Furchen der Bösen in die bleiche Kälte der Scham und der Furcht versetzen müssen. Auf dem Sokkus gaukelt dann jener heitere Scherz, der nicht mehr von den Flicken seines Gewandes und den Wundern seiner Pritsche spricht, sondern von den milden Sonnenblicken der Hoffnung, die aus dem bald lachenden, bald weinenden Auge leuchten. Ihre Bibliotheken werden sie eröffnen und die lernbegierige Jugend in die bücherreichen Säle führen. Aber die Pedanten, die hier früher lehrten, haben sich neben ihren Perrücken in die Ruhe des Grabes gelegt, und die muntern Knaben werden nur die Zahl, nicht den Inhalt der Folianten bewundern.

O, Du Herrliche, daß ich doch morgen erst lesen lernte! Daß ich so Vieles nicht wüßte, was mich verhindert, Besseres zu wissen! Daß ich jene Fülle von geistiger Spannkraft und Energie zurückbekäme, die ich einst an den todten Buchstaben verwitterter Pergamentblätter nach der Sitte jener Zeit vergeudet habe! Warum muß ich so alt sein, und in dieser Frühlingsgegenwart nur Eis und Schnee unter meinen Augen haben, daß ich nun an ewigem Thauwetter leide! O, ihr Glücklichen, die ihr heute zum ersten Male in die Welt blickt!

bringen, die durch ihre Tugend und Hoheit die Züge des Guten in die Gluth der Begeisterung, die hohlen Furchen der Bösen in die bleiche Kälte der Scham und der Furcht versetzen müssen. Auf dem Sokkus gaukelt dann jener heitere Scherz, der nicht mehr von den Flicken seines Gewandes und den Wundern seiner Pritsche spricht, sondern von den milden Sonnenblicken der Hoffnung, die aus dem bald lachenden, bald weinenden Auge leuchten. Ihre Bibliotheken werden sie eröffnen und die lernbegierige Jugend in die bücherreichen Säle führen. Aber die Pedanten, die hier früher lehrten, haben sich neben ihren Perrücken in die Ruhe des Grabes gelegt, und die muntern Knaben werden nur die Zahl, nicht den Inhalt der Folianten bewundern.

O, Du Herrliche, daß ich doch morgen erst lesen lernte! Daß ich so Vieles nicht wüßte, was mich verhindert, Besseres zu wissen! Daß ich jene Fülle von geistiger Spannkraft und Energie zurückbekäme, die ich einst an den todten Buchstaben verwitterter Pergamentblätter nach der Sitte jener Zeit vergeudet habe! Warum muß ich so alt sein, und in dieser Frühlingsgegenwart nur Eis und Schnee unter meinen Augen haben, daß ich nun an ewigem Thauwetter leide! O, ihr Glücklichen, die ihr heute zum ersten Male in die Welt blickt!

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[205/0218] bringen, die durch ihre Tugend und Hoheit die Züge des Guten in die Gluth der Begeisterung, die hohlen Furchen der Bösen in die bleiche Kälte der Scham und der Furcht versetzen müssen. Auf dem Sokkus gaukelt dann jener heitere Scherz, der nicht mehr von den Flicken seines Gewandes und den Wundern seiner Pritsche spricht, sondern von den milden Sonnenblicken der Hoffnung, die aus dem bald lachenden, bald weinenden Auge leuchten. Ihre Bibliotheken werden sie eröffnen und die lernbegierige Jugend in die bücherreichen Säle führen. Aber die Pedanten, die hier früher lehrten, haben sich neben ihren Perrücken in die Ruhe des Grabes gelegt, und die muntern Knaben werden nur die Zahl, nicht den Inhalt der Folianten bewundern. O, Du Herrliche, daß ich doch morgen erst lesen lernte! Daß ich so Vieles nicht wüßte, was mich verhindert, Besseres zu wissen! Daß ich jene Fülle von geistiger Spannkraft und Energie zurückbekäme, die ich einst an den todten Buchstaben verwitterter Pergamentblätter nach der Sitte jener Zeit vergeudet habe! Warum muß ich so alt sein, und in dieser Frühlingsgegenwart nur Eis und Schnee unter meinen Augen haben, daß ich nun an ewigem Thauwetter leide! O, ihr Glücklichen, die ihr heute zum ersten Male in die Welt blickt!

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/218>, abgerufen am 28.03.2024.