Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Untugenden des Alterthums aufzählt, aber ein
wichtiges, modernes Laster ganz mit Stillschwei¬
gen übergeht, ein Laster, wofür die Alten gar
keinen Ausdruck hatten. Rumohr konnte davon
nicht sprechen, weil er selbst darin ganz ver¬
strickt ist. Dies ist die Langeweile. Aber was
Rumohr? Es gibt eine weit tiefere Höflich¬
keitstheorie, welche auf ästhetischen und mora¬
lischen Prinzipien zu gleicher Zeit beruht. Soll
ich ihren Grundsatz nennen? Lassen Sie aus
einem christlichen Gebote nur einen Buchstaben
weg. Rathen Sie!"

Wally wurde roth: nicht des Räthsels we¬
gen, sondern des Christenthums.

Cäsar ergänzte sich selbst und sagte: "Lebe
deinen Nächsten, wie dich selbst! Sei Egoist,
ohne deinen Nachbar zu verwunden! Wenn ich
mich in die innersten Falten Ihrer Seele (Fal¬
ten! Ihre junge Seele! Aber die Seele ist
immer alt, der Theil der jahrtausendjährigen

Untugenden des Alterthums aufzählt, aber ein
wichtiges, modernes Laſter ganz mit Stillſchwei¬
gen übergeht, ein Laſter, wofür die Alten gar
keinen Ausdruck hatten. Rumohr konnte davon
nicht ſprechen, weil er ſelbſt darin ganz ver¬
ſtrickt iſt. Dies iſt die Langeweile. Aber was
Rumohr? Es gibt eine weit tiefere Höflich¬
keitstheorie, welche auf äſthetiſchen und mora¬
liſchen Prinzipien zu gleicher Zeit beruht. Soll
ich ihren Grundſatz nennen? Laſſen Sie aus
einem chriſtlichen Gebote nur einen Buchſtaben
weg. Rathen Sie!“

Wally wurde roth: nicht des Räthſels we¬
gen, ſondern des Chriſtenthums.

Cäſar ergänzte ſich ſelbſt und ſagte: „Lebe
deinen Nächſten, wie dich ſelbſt! Sei Egoiſt,
ohne deinen Nachbar zu verwunden! Wenn ich
mich in die innerſten Falten Ihrer Seele (Fal¬
ten! Ihre junge Seele! Aber die Seele iſt
immer alt, der Theil der jahrtauſendjährigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0038" n="29"/>
Untugenden des Alterthums aufzählt, aber ein<lb/>
wichtiges, modernes La&#x017F;ter ganz mit Still&#x017F;chwei¬<lb/>
gen übergeht, ein La&#x017F;ter, wofür die Alten gar<lb/>
keinen Ausdruck hatten. Rumohr konnte davon<lb/>
nicht &#x017F;prechen, weil er &#x017F;elb&#x017F;t darin ganz ver¬<lb/>
&#x017F;trickt i&#x017F;t. Dies i&#x017F;t die Langeweile. Aber was<lb/>
Rumohr? Es gibt eine weit tiefere Höflich¬<lb/>
keitstheorie, welche auf ä&#x017F;theti&#x017F;chen und mora¬<lb/>
li&#x017F;chen Prinzipien zu gleicher Zeit beruht. Soll<lb/>
ich ihren Grund&#x017F;atz nennen? La&#x017F;&#x017F;en Sie aus<lb/>
einem chri&#x017F;tlichen Gebote nur einen Buch&#x017F;taben<lb/>
weg. Rathen Sie!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wally wurde roth: nicht des Räth&#x017F;els we¬<lb/>
gen, &#x017F;ondern des Chri&#x017F;tenthums.</p><lb/>
          <p>&#x017F;ar ergänzte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und &#x017F;agte: <hi rendition="#g">&#x201E;Lebe</hi><lb/>
deinen Näch&#x017F;ten, wie dich &#x017F;elb&#x017F;t! Sei Egoi&#x017F;t,<lb/>
ohne deinen Nachbar zu verwunden! Wenn ich<lb/>
mich in die inner&#x017F;ten Falten Ihrer Seele (Fal¬<lb/>
ten! Ihre junge Seele! Aber die Seele i&#x017F;t<lb/>
immer alt, der Theil der jahrtau&#x017F;endjährigen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0038] Untugenden des Alterthums aufzählt, aber ein wichtiges, modernes Laſter ganz mit Stillſchwei¬ gen übergeht, ein Laſter, wofür die Alten gar keinen Ausdruck hatten. Rumohr konnte davon nicht ſprechen, weil er ſelbſt darin ganz ver¬ ſtrickt iſt. Dies iſt die Langeweile. Aber was Rumohr? Es gibt eine weit tiefere Höflich¬ keitstheorie, welche auf äſthetiſchen und mora¬ liſchen Prinzipien zu gleicher Zeit beruht. Soll ich ihren Grundſatz nennen? Laſſen Sie aus einem chriſtlichen Gebote nur einen Buchſtaben weg. Rathen Sie!“ Wally wurde roth: nicht des Räthſels we¬ gen, ſondern des Chriſtenthums. Cäſar ergänzte ſich ſelbſt und ſagte: „Lebe deinen Nächſten, wie dich ſelbſt! Sei Egoiſt, ohne deinen Nachbar zu verwunden! Wenn ich mich in die innerſten Falten Ihrer Seele (Fal¬ ten! Ihre junge Seele! Aber die Seele iſt immer alt, der Theil der jahrtauſendjährigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/38
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/38>, abgerufen am 29.03.2024.