Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

ist im Grunde derselbe Krebs, von welchem die Befreiung Europa's angenagt ist, wie die Farbigen jenseits des Ozeans. Der Egoismus, ja sogar eine gewisse Nothwendigkeit, die natürlich zu seyn scheint, spielen in beide Verhältnisse hinein. Die Ablösung der Feudallasten ist mit eben so großen Opfern verknüpft gewesen, als es die Emanzipation der Sklaven ist. Die südlichen Staaten können, wie man ihnen fast glauben möchte, ohne Neger nicht mehr das Zuckerrohr bauen. Und in Europa ist der Feudalismus, obgleich in seinen hauptsächlichsten Erscheinungen überall zerstört, wo Bildung und Freiheitssinn um sich griff, doch ein in hundert Vorurtheilen, Sitten und gesellschaftlichen Beziehungen versteckt gebliebenes Uebel.

Wie nun, wenn die Emanzipation der Sklaven, welche die großen Freiheitshelden und Christen in Nordamerika verweigern, dieselben Erscheinungen allmählich hervorriefe, wie bei uns in Europa der Kampf um bürgerliche Freiheit? Wenn, ich will nicht sagen, der Sklavengeist eine drohende Aehnlichkeit mit dem europäischen Liberalismus annähme, sondern nur die Gegner zwingen würde, andere Combinationen in ihr Urtheil einzulassen und eine politische Dialektik sich anzueignen, wie wir sie in Europa haben müssen, wo es so viel Sinn für Freiheit und leider so viel Rücksichten bei ihrem Dienste gibt? Eine lang ausgeübte Tyrannei wirkt auf die Herrscher selbst zurück, so wie man in Rom dem Monarchismus immer näher rückte, seitdem sich alle seine Kräfte

ist im Grunde derselbe Krebs, von welchem die Befreiung Europa’s angenagt ist, wie die Farbigen jenseits des Ozeans. Der Egoismus, ja sogar eine gewisse Nothwendigkeit, die natürlich zu seyn scheint, spielen in beide Verhältnisse hinein. Die Ablösung der Feudallasten ist mit eben so großen Opfern verknüpft gewesen, als es die Emanzipation der Sklaven ist. Die südlichen Staaten können, wie man ihnen fast glauben möchte, ohne Neger nicht mehr das Zuckerrohr bauen. Und in Europa ist der Feudalismus, obgleich in seinen hauptsächlichsten Erscheinungen überall zerstört, wo Bildung und Freiheitssinn um sich griff, doch ein in hundert Vorurtheilen, Sitten und gesellschaftlichen Beziehungen versteckt gebliebenes Uebel.

Wie nun, wenn die Emanzipation der Sklaven, welche die großen Freiheitshelden und Christen in Nordamerika verweigern, dieselben Erscheinungen allmählich hervorriefe, wie bei uns in Europa der Kampf um bürgerliche Freiheit? Wenn, ich will nicht sagen, der Sklavengeist eine drohende Aehnlichkeit mit dem europäischen Liberalismus annähme, sondern nur die Gegner zwingen würde, andere Combinationen in ihr Urtheil einzulassen und eine politische Dialektik sich anzueignen, wie wir sie in Europa haben müssen, wo es so viel Sinn für Freiheit und leider so viel Rücksichten bei ihrem Dienste gibt? Eine lang ausgeübte Tyrannei wirkt auf die Herrscher selbst zurück, so wie man in Rom dem Monarchismus immer näher rückte, seitdem sich alle seine Kräfte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="150"/>
ist im Grunde derselbe Krebs, von welchem die Befreiung Europa&#x2019;s angenagt ist, wie die Farbigen jenseits des Ozeans. Der Egoismus, ja sogar eine gewisse Nothwendigkeit, die natürlich zu seyn scheint, spielen in beide Verhältnisse hinein. Die Ablösung der Feudallasten ist mit eben so großen Opfern verknüpft gewesen, als es die Emanzipation der Sklaven ist. Die südlichen Staaten können, wie man ihnen fast glauben möchte, ohne Neger nicht mehr das Zuckerrohr bauen. Und in Europa ist der Feudalismus, obgleich in seinen hauptsächlichsten Erscheinungen überall zerstört, wo Bildung und Freiheitssinn um sich griff, doch ein in hundert Vorurtheilen, Sitten und gesellschaftlichen Beziehungen versteckt gebliebenes Uebel.</p>
        <p>Wie nun, wenn die Emanzipation der Sklaven, welche die großen Freiheitshelden und Christen in Nordamerika verweigern, dieselben Erscheinungen allmählich hervorriefe, wie bei uns in Europa der Kampf um bürgerliche Freiheit? Wenn, ich will nicht sagen, der Sklavengeist eine drohende Aehnlichkeit mit dem europäischen Liberalismus annähme, sondern nur die Gegner zwingen würde, andere Combinationen in ihr Urtheil einzulassen und eine politische Dialektik sich anzueignen, wie wir sie in Europa haben müssen, wo es so viel Sinn für Freiheit und leider so viel Rücksichten bei ihrem Dienste gibt? Eine lang ausgeübte Tyrannei wirkt auf die Herrscher selbst zurück, so wie man in Rom dem Monarchismus immer näher rückte, seitdem sich alle seine Kräfte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0178] ist im Grunde derselbe Krebs, von welchem die Befreiung Europa’s angenagt ist, wie die Farbigen jenseits des Ozeans. Der Egoismus, ja sogar eine gewisse Nothwendigkeit, die natürlich zu seyn scheint, spielen in beide Verhältnisse hinein. Die Ablösung der Feudallasten ist mit eben so großen Opfern verknüpft gewesen, als es die Emanzipation der Sklaven ist. Die südlichen Staaten können, wie man ihnen fast glauben möchte, ohne Neger nicht mehr das Zuckerrohr bauen. Und in Europa ist der Feudalismus, obgleich in seinen hauptsächlichsten Erscheinungen überall zerstört, wo Bildung und Freiheitssinn um sich griff, doch ein in hundert Vorurtheilen, Sitten und gesellschaftlichen Beziehungen versteckt gebliebenes Uebel. Wie nun, wenn die Emanzipation der Sklaven, welche die großen Freiheitshelden und Christen in Nordamerika verweigern, dieselben Erscheinungen allmählich hervorriefe, wie bei uns in Europa der Kampf um bürgerliche Freiheit? Wenn, ich will nicht sagen, der Sklavengeist eine drohende Aehnlichkeit mit dem europäischen Liberalismus annähme, sondern nur die Gegner zwingen würde, andere Combinationen in ihr Urtheil einzulassen und eine politische Dialektik sich anzueignen, wie wir sie in Europa haben müssen, wo es so viel Sinn für Freiheit und leider so viel Rücksichten bei ihrem Dienste gibt? Eine lang ausgeübte Tyrannei wirkt auf die Herrscher selbst zurück, so wie man in Rom dem Monarchismus immer näher rückte, seitdem sich alle seine Kräfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/178
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/178>, abgerufen am 24.04.2024.