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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Keiner auf den Andern Werth legt und Alle sich zu hassen scheinen.

Jch finde bei den Erfindungen der Mode noch mehr, das erstaunen macht, die unleugbare Tendenz nach dem Schönen hin. Man wird meinen Geschmack dieser Behauptung wegen für verdächtig halten; allein ich habe noch immer gefunden, daß, wenn mich der Anblick, z. B. eines Damenhutes, der eine Zeitlang in der Mode war, ermüdet, und die Mode eine neue Form entdeckt hatte, ich mir immer gestehen mußte, daß das Jüngste mich befriedigte, soweit die Thorheiten der Mode befriedigen können. Es gibt eine Kleiderästhetik, die von der Philosophie schwerlich so tief ergründet ist, als von einigen Modehändlerinnen in Paris.

Die Mode verwirft das sogenannte Altfränkische nicht: sie kömmt, wie wir in neurer Zeit gesehen haben, auffallend genug auf die meisten Geschmacksbestimmungen des vorigen Jahrhunderts zurück. Dieß ist ein Merkmal der Mode, welches den Weg bahnt zur Begriffsbestimmung des Modernen. Das Moderne verwirft das Alte nicht, sondern modelt es entweder nach eigenem Geschmack um oder treibt es ins Extrem, wo es komisch wird, oder raffinirt sonst daran auf irgend eine Weise. Ein gothisches Zimmer mit bunten Fensterscheiben, mit plumpen altfränkischen Meubeln und der ganzen Jllusion des Mittelalters ist das Modernste, was man haben kann. Das Moderne besteht demnach nur in einem gewissen Beigeschmack, in einem, fast möchte man sagen,

Keiner auf den Andern Werth legt und Alle sich zu hassen scheinen.

Jch finde bei den Erfindungen der Mode noch mehr, das erstaunen macht, die unleugbare Tendenz nach dem Schönen hin. Man wird meinen Geschmack dieser Behauptung wegen für verdächtig halten; allein ich habe noch immer gefunden, daß, wenn mich der Anblick, z. B. eines Damenhutes, der eine Zeitlang in der Mode war, ermüdet, und die Mode eine neue Form entdeckt hatte, ich mir immer gestehen mußte, daß das Jüngste mich befriedigte, soweit die Thorheiten der Mode befriedigen können. Es gibt eine Kleiderästhetik, die von der Philosophie schwerlich so tief ergründet ist, als von einigen Modehändlerinnen in Paris.

Die Mode verwirft das sogenannte Altfränkische nicht: sie kömmt, wie wir in neurer Zeit gesehen haben, auffallend genug auf die meisten Geschmacksbestimmungen des vorigen Jahrhunderts zurück. Dieß ist ein Merkmal der Mode, welches den Weg bahnt zur Begriffsbestimmung des Modernen. Das Moderne verwirft das Alte nicht, sondern modelt es entweder nach eigenem Geschmack um oder treibt es ins Extrem, wo es komisch wird, oder raffinirt sonst daran auf irgend eine Weise. Ein gothisches Zimmer mit bunten Fensterscheiben, mit plumpen altfränkischen Meubeln und der ganzen Jllusion des Mittelalters ist das Modernste, was man haben kann. Das Moderne besteht demnach nur in einem gewissen Beigeschmack, in einem, fast möchte man sagen,

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[154/0182] Keiner auf den Andern Werth legt und Alle sich zu hassen scheinen. Jch finde bei den Erfindungen der Mode noch mehr, das erstaunen macht, die unleugbare Tendenz nach dem Schönen hin. Man wird meinen Geschmack dieser Behauptung wegen für verdächtig halten; allein ich habe noch immer gefunden, daß, wenn mich der Anblick, z. B. eines Damenhutes, der eine Zeitlang in der Mode war, ermüdet, und die Mode eine neue Form entdeckt hatte, ich mir immer gestehen mußte, daß das Jüngste mich befriedigte, soweit die Thorheiten der Mode befriedigen können. Es gibt eine Kleiderästhetik, die von der Philosophie schwerlich so tief ergründet ist, als von einigen Modehändlerinnen in Paris. Die Mode verwirft das sogenannte Altfränkische nicht: sie kömmt, wie wir in neurer Zeit gesehen haben, auffallend genug auf die meisten Geschmacksbestimmungen des vorigen Jahrhunderts zurück. Dieß ist ein Merkmal der Mode, welches den Weg bahnt zur Begriffsbestimmung des Modernen. Das Moderne verwirft das Alte nicht, sondern modelt es entweder nach eigenem Geschmack um oder treibt es ins Extrem, wo es komisch wird, oder raffinirt sonst daran auf irgend eine Weise. Ein gothisches Zimmer mit bunten Fensterscheiben, mit plumpen altfränkischen Meubeln und der ganzen Jllusion des Mittelalters ist das Modernste, was man haben kann. Das Moderne besteht demnach nur in einem gewissen Beigeschmack, in einem, fast möchte man sagen,

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/182>, abgerufen am 25.04.2024.