Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

durch ihren differenten Aggregatzustand bedingt. Die
Anorgane wachsen durch Apposition oder durch äussere
Anlagerung der Moleküle, hingegen die Organismen durch
Intussusception oder durch innere Einlagerung der
Moleküle. Die vollkommenste anorganische Individualität,
der Krystall, wächst, indem sich Theilchen an Theilchen
äusserlich an den festen, schon bestehenden Krystallkörper
ansetzt. Die unvollkommenste organische Individualität,
das Moner, wächst, indem Theilchen für Theilchen von
aussen in das Innere hineindringt und von dem festflüssi¬
gen Plassonkörper "assimilirt" wird. Diese Assimilation
beruht darauf, dass zwischen den vorhandenen Plastidulen
stets neue Plastidule aus den aufgenommenen Nährflüssig¬
keiten gebildet werden. Der festflüssige Aggregat-Zustand
der organischen Materie ist die Vorbedingung dieses
eigenthümlichen Wachsthums, und die Molecular-Structur
der Kohlenstoff-Verbindungen ihre wahre Ursache. Dieses
Wachsthum durch Intussusception, welches allen Organis¬
men zukommt und allen Anorganen fehlt, erklärt auch
zugleich die Ernährung und den Stoffwechsel, durch welches
sich die ersteren von den letzteren unterscheiden. Dieses
Wachsthum durch Intussusception bedingt endlich vor
Allem diejenige "Lebens-Erscheinung", die als der wich¬
tigste Factor der organischen Entwickelung sich geltend
macht und die wir daher zunächst besonders betrachten
müssen: Die Fortpflanzung und die damit zusammen¬
hängende Vererbung.

Unstreitig ist es die Fortpflanzung, welche vor
allen anderen Functionen die Organismen gegenüber den
Anorganen charakterisirt. Denn durch die Fortpflanzung

durch ihren differenten Aggregatzustand bedingt. Die
Anorgane wachsen durch Apposition oder durch äussere
Anlagerung der Moleküle, hingegen die Organismen durch
Intussusception oder durch innere Einlagerung der
Moleküle. Die vollkommenste anorganische Individualität,
der Krystall, wächst, indem sich Theilchen an Theilchen
äusserlich an den festen, schon bestehenden Krystallkörper
ansetzt. Die unvollkommenste organische Individualität,
das Moner, wächst, indem Theilchen für Theilchen von
aussen in das Innere hineindringt und von dem festflüssi¬
gen Plassonkörper „assimilirt“ wird. Diese Assimilation
beruht darauf, dass zwischen den vorhandenen Plastidulen
stets neue Plastidule aus den aufgenommenen Nährflüssig¬
keiten gebildet werden. Der festflüssige Aggregat-Zustand
der organischen Materie ist die Vorbedingung dieses
eigenthümlichen Wachsthums, und die Molecular-Structur
der Kohlenstoff-Verbindungen ihre wahre Ursache. Dieses
Wachsthum durch Intussusception, welches allen Organis¬
men zukommt und allen Anorganen fehlt, erklärt auch
zugleich die Ernährung und den Stoffwechsel, durch welches
sich die ersteren von den letzteren unterscheiden. Dieses
Wachsthum durch Intussusception bedingt endlich vor
Allem diejenige „Lebens-Erscheinung“, die als der wich¬
tigste Factor der organischen Entwickelung sich geltend
macht und die wir daher zunächst besonders betrachten
müssen: Die Fortpflanzung und die damit zusammen¬
hängende Vererbung.

Unstreitig ist es die Fortpflanzung, welche vor
allen anderen Functionen die Organismen gegenüber den
Anorganen charakterisirt. Denn durch die Fortpflanzung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="42"/>
durch ihren differenten Aggregatzustand bedingt. Die<lb/>
Anorgane wachsen durch <hi rendition="#g">Apposition</hi> oder durch äussere<lb/>
Anlagerung der Moleküle, hingegen die Organismen durch<lb/><hi rendition="#g">Intussusception</hi> oder durch innere Einlagerung der<lb/>
Moleküle. Die vollkommenste anorganische Individualität,<lb/>
der Krystall, wächst, indem sich Theilchen an Theilchen<lb/>
äusserlich an den festen, schon bestehenden Krystallkörper<lb/>
ansetzt. Die unvollkommenste organische Individualität,<lb/>
das Moner, wächst, indem Theilchen für Theilchen von<lb/>
aussen in das Innere hineindringt und von dem festflüssi¬<lb/>
gen Plassonkörper &#x201E;assimilirt&#x201C; wird. Diese Assimilation<lb/>
beruht darauf, dass zwischen den vorhandenen Plastidulen<lb/>
stets neue Plastidule aus den aufgenommenen Nährflüssig¬<lb/>
keiten gebildet werden. Der festflüssige Aggregat-Zustand<lb/>
der organischen Materie ist die Vorbedingung dieses<lb/>
eigenthümlichen Wachsthums, und die Molecular-Structur<lb/>
der Kohlenstoff-Verbindungen ihre wahre Ursache. Dieses<lb/>
Wachsthum durch Intussusception, welches allen Organis¬<lb/>
men zukommt und allen Anorganen fehlt, erklärt auch<lb/>
zugleich die Ernährung und den Stoffwechsel, durch welches<lb/>
sich die ersteren von den letzteren unterscheiden. Dieses<lb/>
Wachsthum durch Intussusception bedingt endlich vor<lb/>
Allem diejenige &#x201E;Lebens-Erscheinung&#x201C;, die als der wich¬<lb/>
tigste Factor der organischen Entwickelung sich geltend<lb/>
macht und die wir daher zunächst besonders betrachten<lb/>
müssen: Die <hi rendition="#g">Fortpflanzung</hi> und die damit zusammen¬<lb/>
hängende <hi rendition="#g">Vererbung</hi>.</p><lb/>
        <p>Unstreitig ist es die <hi rendition="#g">Fortpflanzung</hi>, welche vor<lb/>
allen anderen Functionen die Organismen gegenüber den<lb/>
Anorganen charakterisirt. Denn durch die Fortpflanzung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0048] durch ihren differenten Aggregatzustand bedingt. Die Anorgane wachsen durch Apposition oder durch äussere Anlagerung der Moleküle, hingegen die Organismen durch Intussusception oder durch innere Einlagerung der Moleküle. Die vollkommenste anorganische Individualität, der Krystall, wächst, indem sich Theilchen an Theilchen äusserlich an den festen, schon bestehenden Krystallkörper ansetzt. Die unvollkommenste organische Individualität, das Moner, wächst, indem Theilchen für Theilchen von aussen in das Innere hineindringt und von dem festflüssi¬ gen Plassonkörper „assimilirt“ wird. Diese Assimilation beruht darauf, dass zwischen den vorhandenen Plastidulen stets neue Plastidule aus den aufgenommenen Nährflüssig¬ keiten gebildet werden. Der festflüssige Aggregat-Zustand der organischen Materie ist die Vorbedingung dieses eigenthümlichen Wachsthums, und die Molecular-Structur der Kohlenstoff-Verbindungen ihre wahre Ursache. Dieses Wachsthum durch Intussusception, welches allen Organis¬ men zukommt und allen Anorganen fehlt, erklärt auch zugleich die Ernährung und den Stoffwechsel, durch welches sich die ersteren von den letzteren unterscheiden. Dieses Wachsthum durch Intussusception bedingt endlich vor Allem diejenige „Lebens-Erscheinung“, die als der wich¬ tigste Factor der organischen Entwickelung sich geltend macht und die wir daher zunächst besonders betrachten müssen: Die Fortpflanzung und die damit zusammen¬ hängende Vererbung. Unstreitig ist es die Fortpflanzung, welche vor allen anderen Functionen die Organismen gegenüber den Anorganen charakterisirt. Denn durch die Fortpflanzung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/48
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/48>, abgerufen am 29.03.2024.