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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Psychoplasma und Neuroplasma. VII.

Materielle Basis der Psyche. Alle Erscheinungen des
Seelenlebens ohne Ausnahme sind verknüpft mit materiellen
Vorgängen in der lebendigen Substanz des Körpers, im Plasma
oder Protoplasma. Wir haben jenen Theil des letzteren, der
als der unentbehrliche Träger der Psyche erscheint, als Psycho-
plasma
bezeichnet (als "Seelensubstanz" im monistischen
Sinne); d. h. wir erblicken darin kein besonderes "Wesen", sondern
wir betrachten die Psyche als Kollektiv-Begriff für
die gesammten psychischen Funktionen des Plasma
.
"Seele" ist in diesem Sinne ebenso eine physiologische Ab-
straktion wie der Begriff "Stoffwechsel" oder "Zeugung". Beim
Menschen und den höheren Thieren ist das Psychoplasma, zufolge
der vorgeschrittenen Arbeitstheilung der Organe und Gewebe,
ein differenzirter Bestandtheil des Nervensystems, das Neuro-
plasma
der Ganglienzellen und ihrer leitenden Ausläufer, der
Nervenfasern. Bei den niederen Thieren dagegen, die noch keine
gesonderten Nerven und Sinnesorgane besitzen, ist das Psycho-
plasma noch nicht zur selbstständigen Differenzirung gelangt,
ebenso wie bei den Pflanzen. Bei den einzelligen Protisten
endlich ist das Psychoplasma entweder identisch mit dem ganzen
lebendigen Protoplasma der einfachen Zelle oder mit einem
Theile desselben. In allen Fällen, ebenso auf dieser niedersten
wie auf jener höchsten Stufe der psychologischen Skala, ist eine
gewisse chemische Zusammensetzung des Psychoplasma und
eine gewisse physikalische Beschaffenheit desselben unent-
behrlich, wenn die "Seele" fungiren oder arbeiten soll. Das
gilt ebenso von der elementaren Seelenthätigkeit der plasma-
tischen Empfindung und Bewegung bei den Protozoen wie von
den zusammengesetzten Funktionen der Sinnesorgane und des
Gehirns bei den höheren Thieren und an ihrer Spitze dem
Menschen. Die Arbeit des Psychoplasma, die wir "Seele"
nennen, ist stets mit Stoffwechsel verknüpft.

Pſychoplasma und Neuroplasma. VII.

Materielle Baſis der Pſyche. Alle Erſcheinungen des
Seelenlebens ohne Ausnahme ſind verknüpft mit materiellen
Vorgängen in der lebendigen Subſtanz des Körpers, im Plasma
oder Protoplasma. Wir haben jenen Theil des letzteren, der
als der unentbehrliche Träger der Pſyche erſcheint, als Pſycho-
plasma
bezeichnet (als „Seelenſubſtanz“ im moniſtiſchen
Sinne); d. h. wir erblicken darin kein beſonderes „Weſen“, ſondern
wir betrachten die Pſyche als Kollektiv-Begriff für
die geſammten pſychiſchen Funktionen des Plasma
.
„Seele“ iſt in dieſem Sinne ebenſo eine phyſiologiſche Ab-
ſtraktion wie der Begriff „Stoffwechſel“ oder „Zeugung“. Beim
Menſchen und den höheren Thieren iſt das Pſychoplasma, zufolge
der vorgeſchrittenen Arbeitstheilung der Organe und Gewebe,
ein differenzirter Beſtandtheil des Nervenſyſtems, das Neuro-
plasma
der Ganglienzellen und ihrer leitenden Ausläufer, der
Nervenfaſern. Bei den niederen Thieren dagegen, die noch keine
geſonderten Nerven und Sinnesorgane beſitzen, iſt das Pſycho-
plasma noch nicht zur ſelbſtſtändigen Differenzirung gelangt,
ebenſo wie bei den Pflanzen. Bei den einzelligen Protiſten
endlich iſt das Pſychoplasma entweder identiſch mit dem ganzen
lebendigen Protoplasma der einfachen Zelle oder mit einem
Theile deſſelben. In allen Fällen, ebenſo auf dieſer niederſten
wie auf jener höchſten Stufe der pſychologiſchen Skala, iſt eine
gewiſſe chemiſche Zuſammenſetzung des Pſychoplasma und
eine gewiſſe phyſikaliſche Beſchaffenheit deſſelben unent-
behrlich, wenn die „Seele“ fungiren oder arbeiten ſoll. Das
gilt ebenſo von der elementaren Seelenthätigkeit der plasma-
tiſchen Empfindung und Bewegung bei den Protozoen wie von
den zuſammengeſetzten Funktionen der Sinnesorgane und des
Gehirns bei den höheren Thieren und an ihrer Spitze dem
Menſchen. Die Arbeit des Pſychoplasma, die wir „Seele“
nennen, iſt ſtets mit Stoffwechſel verknüpft.

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[128/0144] Pſychoplasma und Neuroplasma. VII. Materielle Baſis der Pſyche. Alle Erſcheinungen des Seelenlebens ohne Ausnahme ſind verknüpft mit materiellen Vorgängen in der lebendigen Subſtanz des Körpers, im Plasma oder Protoplasma. Wir haben jenen Theil des letzteren, der als der unentbehrliche Träger der Pſyche erſcheint, als Pſycho- plasma bezeichnet (als „Seelenſubſtanz“ im moniſtiſchen Sinne); d. h. wir erblicken darin kein beſonderes „Weſen“, ſondern wir betrachten die Pſyche als Kollektiv-Begriff für die geſammten pſychiſchen Funktionen des Plasma. „Seele“ iſt in dieſem Sinne ebenſo eine phyſiologiſche Ab- ſtraktion wie der Begriff „Stoffwechſel“ oder „Zeugung“. Beim Menſchen und den höheren Thieren iſt das Pſychoplasma, zufolge der vorgeſchrittenen Arbeitstheilung der Organe und Gewebe, ein differenzirter Beſtandtheil des Nervenſyſtems, das Neuro- plasma der Ganglienzellen und ihrer leitenden Ausläufer, der Nervenfaſern. Bei den niederen Thieren dagegen, die noch keine geſonderten Nerven und Sinnesorgane beſitzen, iſt das Pſycho- plasma noch nicht zur ſelbſtſtändigen Differenzirung gelangt, ebenſo wie bei den Pflanzen. Bei den einzelligen Protiſten endlich iſt das Pſychoplasma entweder identiſch mit dem ganzen lebendigen Protoplasma der einfachen Zelle oder mit einem Theile deſſelben. In allen Fällen, ebenſo auf dieſer niederſten wie auf jener höchſten Stufe der pſychologiſchen Skala, iſt eine gewiſſe chemiſche Zuſammenſetzung des Pſychoplasma und eine gewiſſe phyſikaliſche Beſchaffenheit deſſelben unent- behrlich, wenn die „Seele“ fungiren oder arbeiten ſoll. Das gilt ebenſo von der elementaren Seelenthätigkeit der plasma- tiſchen Empfindung und Bewegung bei den Protozoen wie von den zuſammengeſetzten Funktionen der Sinnesorgane und des Gehirns bei den höheren Thieren und an ihrer Spitze dem Menſchen. Die Arbeit des Pſychoplasma, die wir „Seele“ nennen, iſt ſtets mit Stoffwechſel verknüpft.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/144>, abgerufen am 19.04.2024.