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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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I. Anthropistische Irrthümer.
Menschenart denken, sprechen und handeln läßt; sie gelangt da-
durch zu dem paradoxen Begriff eines "gasförmigen Wirbel-
thieres". -- III. Das anthropolatrische Dogma ergiebt
sich aus dieser Vergleichung der menschlichen und göttlichen
Seelenthätigkeit von selbst; es führt zu der göttlichen Ver-
ehrung
des menschlichen Organismus, zum "anthropistischen
Größenwahn". Daraus folgt wieder der hochgeschätzte "Glaube
an die persönliche Unsterblichkeit der Seele", sowie das dualistische
Dogma von der Doppelnatur des Menschen, dessen "unsterbliche
Seele" den sterblichen Körper nur zeitweise bewohnt. Indem
nun diese drei anthropistischen Dogmen mannichfach ausgebildet
und der wechselnden Glaubensform der verschiedenen Religionen
angepaßt wurden, erlangten sie im Laufe der Zeit eine außer-
ordentliche Bedeutung und wurden zur Quelle der gefährlichsten
Irrthümer. Die anthropistische Weltanschauung, die
daraus entsprang, steht in unversöhnlichem Gegensatz zu unserer
monistischen Natur-Erkenntniß; sie wird zunächst schon durch
deren kosmologische Perspektive widerlegt.

Kosmologische Perspektive. Nicht allein die drei anthro-
pistischen Dogmen, sondern auch viele andere Anschauungen der
dualistischen Philosophie und der orthodoxen Religion offenbaren
ihre Unhaltbarkeit, sobald wir sie aus der kosmologischen
Perspektive
unsers Monismus kritisch betrachten. Wir ver-
stehen darunter jene umfassende Anschauung des Welt-
ganzen
, welche wir vom höchsten erklommenen Standpunkt der
monistischen Natur-Erkenntniß gewonnen haben. Da überzeugen
wir uns von folgenden wichtigen, nach unserer Ansicht jetzt
größtentheils bewiesenen "kosmologischen Lehrsätzen".

1. Das Weltall (Universum oder Kosmos) ist ewig, un-
endlich und unbegrenzt. 2. Die Substanz desselben mit ihren
beiden Attributen (Materie und Energie) erfüllt den unendlichen
Raum und befindet sich in ewiger Bewegung. 3. Diese Bewegung

I. Anthropiſtiſche Irrthümer.
Menſchenart denken, ſprechen und handeln läßt; ſie gelangt da-
durch zu dem paradoxen Begriff eines „gasförmigen Wirbel-
thieres“. — III. Das anthropolatriſche Dogma ergiebt
ſich aus dieſer Vergleichung der menſchlichen und göttlichen
Seelenthätigkeit von ſelbſt; es führt zu der göttlichen Ver-
ehrung
des menſchlichen Organismus, zum „anthropiſtiſchen
Größenwahn“. Daraus folgt wieder der hochgeſchätzte „Glaube
an die perſönliche Unſterblichkeit der Seele“, ſowie das dualiſtiſche
Dogma von der Doppelnatur des Menſchen, deſſen „unſterbliche
Seele“ den ſterblichen Körper nur zeitweiſe bewohnt. Indem
nun dieſe drei anthropiſtiſchen Dogmen mannichfach ausgebildet
und der wechſelnden Glaubensform der verſchiedenen Religionen
angepaßt wurden, erlangten ſie im Laufe der Zeit eine außer-
ordentliche Bedeutung und wurden zur Quelle der gefährlichſten
Irrthümer. Die anthropiſtiſche Weltanſchauung, die
daraus entſprang, ſteht in unverſöhnlichem Gegenſatz zu unſerer
moniſtiſchen Natur-Erkenntniß; ſie wird zunächſt ſchon durch
deren kosmologiſche Perſpektive widerlegt.

Kosmologiſche Perſpektive. Nicht allein die drei anthro-
piſtiſchen Dogmen, ſondern auch viele andere Anſchauungen der
dualiſtiſchen Philoſophie und der orthodoxen Religion offenbaren
ihre Unhaltbarkeit, ſobald wir ſie aus der kosmologiſchen
Perſpektive
unſers Monismus kritiſch betrachten. Wir ver-
ſtehen darunter jene umfaſſende Anſchauung des Welt-
ganzen
, welche wir vom höchſten erklommenen Standpunkt der
moniſtiſchen Natur-Erkenntniß gewonnen haben. Da überzeugen
wir uns von folgenden wichtigen, nach unſerer Anſicht jetzt
größtentheils bewieſenen „kosmologiſchen Lehrſätzen“.

1. Das Weltall (Univerſum oder Kosmos) iſt ewig, un-
endlich und unbegrenzt. 2. Die Subſtanz deſſelben mit ihren
beiden Attributen (Materie und Energie) erfüllt den unendlichen
Raum und befindet ſich in ewiger Bewegung. 3. Dieſe Bewegung

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[15/0031] I. Anthropiſtiſche Irrthümer. Menſchenart denken, ſprechen und handeln läßt; ſie gelangt da- durch zu dem paradoxen Begriff eines „gasförmigen Wirbel- thieres“. — III. Das anthropolatriſche Dogma ergiebt ſich aus dieſer Vergleichung der menſchlichen und göttlichen Seelenthätigkeit von ſelbſt; es führt zu der göttlichen Ver- ehrung des menſchlichen Organismus, zum „anthropiſtiſchen Größenwahn“. Daraus folgt wieder der hochgeſchätzte „Glaube an die perſönliche Unſterblichkeit der Seele“, ſowie das dualiſtiſche Dogma von der Doppelnatur des Menſchen, deſſen „unſterbliche Seele“ den ſterblichen Körper nur zeitweiſe bewohnt. Indem nun dieſe drei anthropiſtiſchen Dogmen mannichfach ausgebildet und der wechſelnden Glaubensform der verſchiedenen Religionen angepaßt wurden, erlangten ſie im Laufe der Zeit eine außer- ordentliche Bedeutung und wurden zur Quelle der gefährlichſten Irrthümer. Die anthropiſtiſche Weltanſchauung, die daraus entſprang, ſteht in unverſöhnlichem Gegenſatz zu unſerer moniſtiſchen Natur-Erkenntniß; ſie wird zunächſt ſchon durch deren kosmologiſche Perſpektive widerlegt. Kosmologiſche Perſpektive. Nicht allein die drei anthro- piſtiſchen Dogmen, ſondern auch viele andere Anſchauungen der dualiſtiſchen Philoſophie und der orthodoxen Religion offenbaren ihre Unhaltbarkeit, ſobald wir ſie aus der kosmologiſchen Perſpektive unſers Monismus kritiſch betrachten. Wir ver- ſtehen darunter jene umfaſſende Anſchauung des Welt- ganzen, welche wir vom höchſten erklommenen Standpunkt der moniſtiſchen Natur-Erkenntniß gewonnen haben. Da überzeugen wir uns von folgenden wichtigen, nach unſerer Anſicht jetzt größtentheils bewieſenen „kosmologiſchen Lehrſätzen“. 1. Das Weltall (Univerſum oder Kosmos) iſt ewig, un- endlich und unbegrenzt. 2. Die Subſtanz deſſelben mit ihren beiden Attributen (Materie und Energie) erfüllt den unendlichen Raum und befindet ſich in ewiger Bewegung. 3. Dieſe Bewegung

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/31>, abgerufen am 28.03.2024.