Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Am Ende unserer philosophischen Studien über die Welt-
räthsel angelangt, dürfen wir getrost zur Beantwortung der
schwerwiegenden Frage schreiten: Wie weit ist uns deren Lösung
gelungen? Welchen Werth besitzen die ungeheuren Fortschritte,
welche das scheidende 19. Jahrhundert in der wahren Natur-
Erkenntniß gemacht hat? Und welche Aussicht eröffnen sie uns
für die Zukunft, für die weitere Entwickelung unserer Welt-
anschauung im 20. Jahrhundert, an dessen Schwelle wir stehen?
Jeder unbefangene Denker, der die thatsächlichen Fortschritte
unserer empirischen Kenntnisse und die einheitliche Klärung
unseres philosophischen Verständnisses derselben einigermaßen
übersehen kann, wird unsere Ansicht theilen: das neunzehnte
Jahrhundert hat größere Fortschritte in der Kenntniß der Natur
und im Verständniß ihres Wesens herbeigeführt als alle früheren
Jahrhunderte; es hat viele große "Welträthsel" gelöst, die an
seinem Beginne für unlösbar galten; es hat uns neue Gebiete
des Wissens und Erkennens entdeckt, von deren Existenz der
Mensch vor hundert Jahren noch keine Ahnung hatte. Vor Allem
aber hat es uns das erhabene Ziel der monistischen Kosmo-
logie
klar vor Augen gestellt und den Weg gezeigt, auf
welchem allein wir uns demselben nähern können, den Weg der
exakten empirischen Erforschung der Thatsachen und der
kritischen genetischen Erkenntniß ihrer Ursachen. Das abstrakte

Am Ende unſerer philoſophiſchen Studien über die Welt-
räthſel angelangt, dürfen wir getroſt zur Beantwortung der
ſchwerwiegenden Frage ſchreiten: Wie weit iſt uns deren Löſung
gelungen? Welchen Werth beſitzen die ungeheuren Fortſchritte,
welche das ſcheidende 19. Jahrhundert in der wahren Natur-
Erkenntniß gemacht hat? Und welche Ausſicht eröffnen ſie uns
für die Zukunft, für die weitere Entwickelung unſerer Welt-
anſchauung im 20. Jahrhundert, an deſſen Schwelle wir ſtehen?
Jeder unbefangene Denker, der die thatſächlichen Fortſchritte
unſerer empiriſchen Kenntniſſe und die einheitliche Klärung
unſeres philoſophiſchen Verſtändniſſes derſelben einigermaßen
überſehen kann, wird unſere Anſicht theilen: das neunzehnte
Jahrhundert hat größere Fortſchritte in der Kenntniß der Natur
und im Verſtändniß ihres Weſens herbeigeführt als alle früheren
Jahrhunderte; es hat viele große „Welträthſel“ gelöſt, die an
ſeinem Beginne für unlösbar galten; es hat uns neue Gebiete
des Wiſſens und Erkennens entdeckt, von deren Exiſtenz der
Menſch vor hundert Jahren noch keine Ahnung hatte. Vor Allem
aber hat es uns das erhabene Ziel der moniſtiſchen Kosmo-
logie
klar vor Augen geſtellt und den Weg gezeigt, auf
welchem allein wir uns demſelben nähern können, den Weg der
exakten empiriſchen Erforſchung der Thatſachen und der
kritiſchen genetiſchen Erkenntniß ihrer Urſachen. Das abſtrakte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0439" n="[423]"/>
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#in">A</hi>m Ende un&#x017F;erer philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Studien über die Welt-<lb/>
räth&#x017F;el angelangt, dürfen wir getro&#x017F;t zur Beantwortung der<lb/>
&#x017F;chwerwiegenden Frage &#x017F;chreiten: Wie weit i&#x017F;t uns deren Lö&#x017F;ung<lb/>
gelungen? Welchen Werth be&#x017F;itzen die ungeheuren Fort&#x017F;chritte,<lb/>
welche das &#x017F;cheidende 19. Jahrhundert in der wahren Natur-<lb/>
Erkenntniß gemacht hat? Und welche Aus&#x017F;icht eröffnen &#x017F;ie uns<lb/>
für die Zukunft, für die weitere Entwickelung un&#x017F;erer Welt-<lb/>
an&#x017F;chauung im 20. Jahrhundert, an de&#x017F;&#x017F;en Schwelle wir &#x017F;tehen?<lb/>
Jeder unbefangene Denker, der die that&#x017F;ächlichen Fort&#x017F;chritte<lb/>
un&#x017F;erer empiri&#x017F;chen Kenntni&#x017F;&#x017F;e und die einheitliche Klärung<lb/>
un&#x017F;eres philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Ver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;es der&#x017F;elben einigermaßen<lb/>
über&#x017F;ehen kann, wird un&#x017F;ere An&#x017F;icht theilen: das neunzehnte<lb/>
Jahrhundert hat größere Fort&#x017F;chritte in der Kenntniß der Natur<lb/>
und im Ver&#x017F;tändniß ihres We&#x017F;ens herbeigeführt als alle früheren<lb/>
Jahrhunderte; es hat viele große &#x201E;Welträth&#x017F;el&#x201C; gelö&#x017F;t, die an<lb/>
&#x017F;einem Beginne für unlösbar galten; es hat uns neue Gebiete<lb/>
des Wi&#x017F;&#x017F;ens und Erkennens entdeckt, von deren Exi&#x017F;tenz der<lb/>
Men&#x017F;ch vor hundert Jahren noch keine Ahnung hatte. Vor Allem<lb/>
aber hat es uns das erhabene Ziel der <hi rendition="#g">moni&#x017F;ti&#x017F;chen Kosmo-<lb/>
logie</hi> klar vor Augen ge&#x017F;tellt und den Weg gezeigt, auf<lb/>
welchem allein wir uns dem&#x017F;elben nähern können, den Weg der<lb/>
exakten empiri&#x017F;chen Erfor&#x017F;chung der <hi rendition="#g">That&#x017F;achen</hi> und der<lb/>
kriti&#x017F;chen geneti&#x017F;chen Erkenntniß ihrer <hi rendition="#g">Ur&#x017F;achen</hi>. Das ab&#x017F;trakte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[423]/0439] Am Ende unſerer philoſophiſchen Studien über die Welt- räthſel angelangt, dürfen wir getroſt zur Beantwortung der ſchwerwiegenden Frage ſchreiten: Wie weit iſt uns deren Löſung gelungen? Welchen Werth beſitzen die ungeheuren Fortſchritte, welche das ſcheidende 19. Jahrhundert in der wahren Natur- Erkenntniß gemacht hat? Und welche Ausſicht eröffnen ſie uns für die Zukunft, für die weitere Entwickelung unſerer Welt- anſchauung im 20. Jahrhundert, an deſſen Schwelle wir ſtehen? Jeder unbefangene Denker, der die thatſächlichen Fortſchritte unſerer empiriſchen Kenntniſſe und die einheitliche Klärung unſeres philoſophiſchen Verſtändniſſes derſelben einigermaßen überſehen kann, wird unſere Anſicht theilen: das neunzehnte Jahrhundert hat größere Fortſchritte in der Kenntniß der Natur und im Verſtändniß ihres Weſens herbeigeführt als alle früheren Jahrhunderte; es hat viele große „Welträthſel“ gelöſt, die an ſeinem Beginne für unlösbar galten; es hat uns neue Gebiete des Wiſſens und Erkennens entdeckt, von deren Exiſtenz der Menſch vor hundert Jahren noch keine Ahnung hatte. Vor Allem aber hat es uns das erhabene Ziel der moniſtiſchen Kosmo- logie klar vor Augen geſtellt und den Weg gezeigt, auf welchem allein wir uns demſelben nähern können, den Weg der exakten empiriſchen Erforſchung der Thatſachen und der kritiſchen genetiſchen Erkenntniß ihrer Urſachen. Das abſtrakte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/439
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. [423]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/439>, abgerufen am 25.04.2024.