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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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II. Gewebelehre und Zellentheorie.
plinen. Die zahlreichen vergleichend-anatomischen Arbeiten
von Gegenbaur sind, ebenso wie sein allgemein verbreitetes
"Lehrbuch der Anatomie des Menschen", gleich ausgezeichnet durch
die gründliche empirische Kenntniß eines ungeheuren Thatsachen-
Materials, wie durch die umfassende Beherrschung desselben und
seine philosophische Verwerthung im Sinne der Entwickelungs-
lehre. Seine kürzlich erschienene "Vergleichende Anatomie der
Wirbelthiere" (1898) legt den unerschütterlichen Grund fest, auf
welchem sich unsere Ueberzeugung von der Wirbelthier-Natur
des Menschen nach allen Richtungen hin klar beweisen läßt.

Gewebelehre (Histologie) und Zellenlehre (Cyto-
logie)
. In ganz anderer Richtung als die vergleichende, ent-
wickelte sich im Laufe unseres Jahrhunderts die mikroskopische
Anatomie
. Schon im Anfange desselben (1802) unternahm
ein französischer Arzt, Bichat, den Versuch, mittelst des
Mikroskopes die Organe des menschlichen Körpers in ihre ein-
zelnen feineren Bestandtheile zu zerlegen und die Beziehungen
dieser verschiedenen Gewebe (Hista oder Tela) festzustellen.
Aber dieser erste Versuch führte nicht weit, da ihm das gemein-
same Element für die zahlreichen verschiedenen Gewebe unbekannt
blieb. Dies wurde erst 1838 für die Pflanzen in der Zelle
von Matthias Schleiden (in Jena) entdeckt und gleich
darauf auch für die Thiere von Theodor Schwann nach-
gewiesen, dem Schüler und Assistenten von Johannes Müller
in Berlin. Zwei andere berühmte Schüler dieses großen Meisters,
die heute noch leben, Albert Kölliker und Rudolf
Virchow,
führten dann im sechsten Decennium des 19. Jahr-
hunderts (in Würzburg) die Zellentheorie und die darauf ge-
gründete Gewebelehre für den gesunden und kranken Organismus
des Menschen im Einzelnen durch; sie wiesen nach, daß auch im
Menschen, wie in allen andern Thieren, alle Gewebe sich aus
den gleichen mikroskopischen Formbestandtheilen, den Zellen,

II. Gewebelehre und Zellentheorie.
plinen. Die zahlreichen vergleichend-anatomiſchen Arbeiten
von Gegenbaur ſind, ebenſo wie ſein allgemein verbreitetes
„Lehrbuch der Anatomie des Menſchen“, gleich ausgezeichnet durch
die gründliche empiriſche Kenntniß eines ungeheuren Thatſachen-
Materials, wie durch die umfaſſende Beherrſchung desſelben und
ſeine philoſophiſche Verwerthung im Sinne der Entwickelungs-
lehre. Seine kürzlich erſchienene „Vergleichende Anatomie der
Wirbelthiere“ (1898) legt den unerſchütterlichen Grund feſt, auf
welchem ſich unſere Ueberzeugung von der Wirbelthier-Natur
des Menſchen nach allen Richtungen hin klar beweiſen läßt.

Gewebelehre (Hiſtologie) und Zellenlehre (Cyto-
logie)
. In ganz anderer Richtung als die vergleichende, ent-
wickelte ſich im Laufe unſeres Jahrhunderts die mikroſkopiſche
Anatomie
. Schon im Anfange desſelben (1802) unternahm
ein franzöſiſcher Arzt, Bichat, den Verſuch, mittelſt des
Mikroſkopes die Organe des menſchlichen Körpers in ihre ein-
zelnen feineren Beſtandtheile zu zerlegen und die Beziehungen
dieſer verſchiedenen Gewebe (Hiſta oder Tela) feſtzuſtellen.
Aber dieſer erſte Verſuch führte nicht weit, da ihm das gemein-
ſame Element für die zahlreichen verſchiedenen Gewebe unbekannt
blieb. Dies wurde erſt 1838 für die Pflanzen in der Zelle
von Matthias Schleiden (in Jena) entdeckt und gleich
darauf auch für die Thiere von Theodor Schwann nach-
gewieſen, dem Schüler und Aſſiſtenten von Johannes Müller
in Berlin. Zwei andere berühmte Schüler dieſes großen Meiſters,
die heute noch leben, Albert Kölliker und Rudolf
Virchow,
führten dann im ſechſten Decennium des 19. Jahr-
hunderts (in Würzburg) die Zellentheorie und die darauf ge-
gründete Gewebelehre für den geſunden und kranken Organismus
des Menſchen im Einzelnen durch; ſie wieſen nach, daß auch im
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[31/0047] II. Gewebelehre und Zellentheorie. plinen. Die zahlreichen vergleichend-anatomiſchen Arbeiten von Gegenbaur ſind, ebenſo wie ſein allgemein verbreitetes „Lehrbuch der Anatomie des Menſchen“, gleich ausgezeichnet durch die gründliche empiriſche Kenntniß eines ungeheuren Thatſachen- Materials, wie durch die umfaſſende Beherrſchung desſelben und ſeine philoſophiſche Verwerthung im Sinne der Entwickelungs- lehre. Seine kürzlich erſchienene „Vergleichende Anatomie der Wirbelthiere“ (1898) legt den unerſchütterlichen Grund feſt, auf welchem ſich unſere Ueberzeugung von der Wirbelthier-Natur des Menſchen nach allen Richtungen hin klar beweiſen läßt. Gewebelehre (Hiſtologie) und Zellenlehre (Cyto- logie). In ganz anderer Richtung als die vergleichende, ent- wickelte ſich im Laufe unſeres Jahrhunderts die mikroſkopiſche Anatomie. Schon im Anfange desſelben (1802) unternahm ein franzöſiſcher Arzt, Bichat, den Verſuch, mittelſt des Mikroſkopes die Organe des menſchlichen Körpers in ihre ein- zelnen feineren Beſtandtheile zu zerlegen und die Beziehungen dieſer verſchiedenen Gewebe (Hiſta oder Tela) feſtzuſtellen. Aber dieſer erſte Verſuch führte nicht weit, da ihm das gemein- ſame Element für die zahlreichen verſchiedenen Gewebe unbekannt blieb. Dies wurde erſt 1838 für die Pflanzen in der Zelle von Matthias Schleiden (in Jena) entdeckt und gleich darauf auch für die Thiere von Theodor Schwann nach- gewieſen, dem Schüler und Aſſiſtenten von Johannes Müller in Berlin. Zwei andere berühmte Schüler dieſes großen Meiſters, die heute noch leben, Albert Kölliker und Rudolf Virchow, führten dann im ſechſten Decennium des 19. Jahr- hunderts (in Würzburg) die Zellentheorie und die darauf ge- gründete Gewebelehre für den geſunden und kranken Organismus des Menſchen im Einzelnen durch; ſie wieſen nach, daß auch im Menſchen, wie in allen andern Thieren, alle Gewebe ſich aus den gleichen mikroſkopiſchen Formbeſtandtheilen, den Zellen,

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/47>, abgerufen am 25.04.2024.