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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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II. Wirbelthier-Natur des Menschen.
Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fische. Die beiden niederen
Klassen: Insekten und Würmer, stellte er jenen als "Wirbel-
lose
" (Invertebrata) gegenüber. Cuvier bestätigte (1812)
die Einheit des Vertebraten-Typus und begründete sie fester
durch seine vergleichende Anatomie. In der That stimmen alle
Wirbelthiere, von den Fischen aufwärts bis zum Menschen, in
allen wesentlichen Hauptmerkmalen überein; sie besitzen alle ein
festes inneres Skelett, Knorpel- und Knochengerüst, und dieses
besteht überall aus einer Wirbelsäule und einem Schädel; die
verwickelte Zusammensetzung des letzteren ist zwar im Einzelnen
sehr mannigfaltig, aber im Allgemeinen stets auf dieselbe Urform
zurückzuführen. Ferner liegt bei allen Vertebraten auf der
Rückenseite dieses Axenskeletts das "Seelenorgan", das centrale
Nervensystem, in Gestalt eines Rückenmarks und eines Gehirns;
und auch von diesem wichtigen Gehirn -- dem Werkzeuge des
Bewußtseins und aller höheren Seelenthätigkeiten! -- gilt
dasselbe wie von der es umschließenden Knochenkapsel, dem
Schädel; im Einzelnen ist seine Ausbildung und Größe höchst
mannigfaltig abgestuft, im Großen und Ganzen bleibt die
charakteristische Zusammensetzung dieselbe.

Die gleiche Erscheinung zeigt sich nun auch, wenn wir die
übrigen Organe unseres Körpers mit denen der anderen Wirbel-
thiere vergleichen: überall bleibt in Folge von Vererbung die
ursprüngliche Anlage und die relative Lagerung der Organe
dieselbe, obgleich die Größe und Ausbildung der einzelnen Theile
höchst mannigfaltig sich sondert, entsprechend der Anpassung
an sehr verschiedene Lebensbedingungen. So sehen wir, daß
überall das Blut in zwei Hauptröhren kreist, von denen die eine
(Aorta) über dem Darm, die andere (Principalvene) unter dem
Darm verläuft, und daß durch Erweiterung der letzteren an
einer ganz bestimmten Stelle das Herz entsteht; dieses "Ventral-
Herz" ist für alle Wirbelthiere ebenso charakteristisch wie um-

Haeckel, Welträthsel. 3

II. Wirbelthier-Natur des Menſchen.
Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fiſche. Die beiden niederen
Klaſſen: Inſekten und Würmer, ſtellte er jenen als „Wirbel-
loſe
(Invertebrata) gegenüber. Cuvier beſtätigte (1812)
die Einheit des Vertebraten-Typus und begründete ſie feſter
durch ſeine vergleichende Anatomie. In der That ſtimmen alle
Wirbelthiere, von den Fiſchen aufwärts bis zum Menſchen, in
allen weſentlichen Hauptmerkmalen überein; ſie beſitzen alle ein
feſtes inneres Skelett, Knorpel- und Knochengerüſt, und dieſes
beſteht überall aus einer Wirbelſäule und einem Schädel; die
verwickelte Zuſammenſetzung des letzteren iſt zwar im Einzelnen
ſehr mannigfaltig, aber im Allgemeinen ſtets auf dieſelbe Urform
zurückzuführen. Ferner liegt bei allen Vertebraten auf der
Rückenſeite dieſes Axenſkeletts das „Seelenorgan“, das centrale
Nervenſyſtem, in Geſtalt eines Rückenmarks und eines Gehirns;
und auch von dieſem wichtigen Gehirn — dem Werkzeuge des
Bewußtſeins und aller höheren Seelenthätigkeiten! — gilt
dasſelbe wie von der es umſchließenden Knochenkapſel, dem
Schädel; im Einzelnen iſt ſeine Ausbildung und Größe höchſt
mannigfaltig abgeſtuft, im Großen und Ganzen bleibt die
charakteriſtiſche Zuſammenſetzung dieſelbe.

Die gleiche Erſcheinung zeigt ſich nun auch, wenn wir die
übrigen Organe unſeres Körpers mit denen der anderen Wirbel-
thiere vergleichen: überall bleibt in Folge von Vererbung die
urſprüngliche Anlage und die relative Lagerung der Organe
dieſelbe, obgleich die Größe und Ausbildung der einzelnen Theile
höchſt mannigfaltig ſich ſondert, entſprechend der Anpaſſung
an ſehr verſchiedene Lebensbedingungen. So ſehen wir, daß
überall das Blut in zwei Hauptröhren kreiſt, von denen die eine
(Aorta) über dem Darm, die andere (Principalvene) unter dem
Darm verläuft, und daß durch Erweiterung der letzteren an
einer ganz beſtimmten Stelle das Herz entſteht; dieſes „Ventral-
Herz“ iſt für alle Wirbelthiere ebenſo charakteriſtiſch wie um-

Haeckel, Welträthſel. 3
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[33/0049] II. Wirbelthier-Natur des Menſchen. Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fiſche. Die beiden niederen Klaſſen: Inſekten und Würmer, ſtellte er jenen als „Wirbel- loſe“ (Invertebrata) gegenüber. Cuvier beſtätigte (1812) die Einheit des Vertebraten-Typus und begründete ſie feſter durch ſeine vergleichende Anatomie. In der That ſtimmen alle Wirbelthiere, von den Fiſchen aufwärts bis zum Menſchen, in allen weſentlichen Hauptmerkmalen überein; ſie beſitzen alle ein feſtes inneres Skelett, Knorpel- und Knochengerüſt, und dieſes beſteht überall aus einer Wirbelſäule und einem Schädel; die verwickelte Zuſammenſetzung des letzteren iſt zwar im Einzelnen ſehr mannigfaltig, aber im Allgemeinen ſtets auf dieſelbe Urform zurückzuführen. Ferner liegt bei allen Vertebraten auf der Rückenſeite dieſes Axenſkeletts das „Seelenorgan“, das centrale Nervenſyſtem, in Geſtalt eines Rückenmarks und eines Gehirns; und auch von dieſem wichtigen Gehirn — dem Werkzeuge des Bewußtſeins und aller höheren Seelenthätigkeiten! — gilt dasſelbe wie von der es umſchließenden Knochenkapſel, dem Schädel; im Einzelnen iſt ſeine Ausbildung und Größe höchſt mannigfaltig abgeſtuft, im Großen und Ganzen bleibt die charakteriſtiſche Zuſammenſetzung dieſelbe. Die gleiche Erſcheinung zeigt ſich nun auch, wenn wir die übrigen Organe unſeres Körpers mit denen der anderen Wirbel- thiere vergleichen: überall bleibt in Folge von Vererbung die urſprüngliche Anlage und die relative Lagerung der Organe dieſelbe, obgleich die Größe und Ausbildung der einzelnen Theile höchſt mannigfaltig ſich ſondert, entſprechend der Anpaſſung an ſehr verſchiedene Lebensbedingungen. So ſehen wir, daß überall das Blut in zwei Hauptröhren kreiſt, von denen die eine (Aorta) über dem Darm, die andere (Principalvene) unter dem Darm verläuft, und daß durch Erweiterung der letzteren an einer ganz beſtimmten Stelle das Herz entſteht; dieſes „Ventral- Herz“ iſt für alle Wirbelthiere ebenſo charakteriſtiſch wie um- Haeckel, Welträthſel. 3

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/49>, abgerufen am 18.04.2024.