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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

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Viertes Buch. Das Herz.
der That öfters noch länger als das Gedärme, weil es
alsdenn mit diesem gleichen Reiz hat (d). Es bekom-
men aber auch in der menschlichen Frucht die Gedärme
viel später ihre reizbare Natur, welche hingegen in dem
Herzen zuerst entstehet. Es stimmet auch keinesweges
mit der unveränderlichen Beständigkeit der Natur über-
ein, daß das Herz bei kalten Thieren eine grössere Kraft
haben, und es bei denen, die warmes Blut haben, nicht
eben so beschaffen seyn solte. Jn Ansehung derer übri-
gen Muskeln ist die Sache ausser allem Streite, indem
dieselben zwar eine Zeitlang, nach der völligen Zer-
störung derer Sinne und der willkührlichen Bewegung,
noch zukken (e), im übrigen aber schon lange Zeit über
ganz kalt, und bei allen Reizzungen unempfindlich sind,
wenn indessen das Herz entweder noch forfährt zu klopfen,
oder doch wenigstens seine verlohrne Bewegung nach der
Reizzung wieder bekommt. Es befindet sich unter diesen
Muskeln auch das Zwerchfell mit, welches aber noch ei-
ne länger daurende Bewegbarkeit besizzet (f).

Da nun alle Muskeln eben so, wie das Herz, ihre
Nerven bekommen, die an ihnen noch deutlicher und zahl-
reicher zu sehen sind, so folget, daß die Muskeln das
Herz überleben müsten, woferne die Bewegung derersel-
ben blos von der Nervenkraft herrührte. Weil aber
hingegen die übrigen Muskeln das Herz nicht überleben,
so erhellet daraus, daß im Herzen eine andere Ursache der
Bewegung müsse vorhanden seyn.

§. 4.
Die verschiedenen Reizze, wodurch das Herz wie-
der zum Leben gebracht wird.

Man wird mir hoffentlich erlauben, daß ich hier
noch einige nicht ganz unnüzze Versuche, wegen der reiz-

zenden
(d) [Spaltenumbruch] Exp. 473. 479. 480.
(e) Am angef. Ort, Abschn. 9.
(f) [Spaltenumbruch] Exp. 230. 239. 240.

Viertes Buch. Das Herz.
der That oͤfters noch laͤnger als das Gedaͤrme, weil es
alsdenn mit dieſem gleichen Reiz hat (d). Es bekom-
men aber auch in der menſchlichen Frucht die Gedaͤrme
viel ſpaͤter ihre reizbare Natur, welche hingegen in dem
Herzen zuerſt entſtehet. Es ſtimmet auch keinesweges
mit der unveraͤnderlichen Beſtaͤndigkeit der Natur uͤber-
ein, daß das Herz bei kalten Thieren eine groͤſſere Kraft
haben, und es bei denen, die warmes Blut haben, nicht
eben ſo beſchaffen ſeyn ſolte. Jn Anſehung derer uͤbri-
gen Muskeln iſt die Sache auſſer allem Streite, indem
dieſelben zwar eine Zeitlang, nach der voͤlligen Zer-
ſtoͤrung derer Sinne und der willkuͤhrlichen Bewegung,
noch zukken (e), im uͤbrigen aber ſchon lange Zeit uͤber
ganz kalt, und bei allen Reizzungen unempfindlich ſind,
wenn indeſſen das Herz entweder noch forfaͤhrt zu klopfen,
oder doch wenigſtens ſeine verlohrne Bewegung nach der
Reizzung wieder bekommt. Es befindet ſich unter dieſen
Muskeln auch das Zwerchfell mit, welches aber noch ei-
ne laͤnger daurende Bewegbarkeit beſizzet (f).

Da nun alle Muskeln eben ſo, wie das Herz, ihre
Nerven bekommen, die an ihnen noch deutlicher und zahl-
reicher zu ſehen ſind, ſo folget, daß die Muskeln das
Herz uͤberleben muͤſten, woferne die Bewegung dererſel-
ben blos von der Nervenkraft herruͤhrte. Weil aber
hingegen die uͤbrigen Muskeln das Herz nicht uͤberleben,
ſo erhellet daraus, daß im Herzen eine andere Urſache der
Bewegung muͤſſe vorhanden ſeyn.

§. 4.
Die verſchiedenen Reizze, wodurch das Herz wie-
der zum Leben gebracht wird.

Man wird mir hoffentlich erlauben, daß ich hier
noch einige nicht ganz unnuͤzze Verſuche, wegen der reiz-

zenden
(d) [Spaltenumbruch] Exp. 473. 479. 480.
(e) Am angef. Ort, Abſchn. 9.
(f) [Spaltenumbruch] Exp. 230. 239. 240.
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[892/0948] Viertes Buch. Das Herz. der That oͤfters noch laͤnger als das Gedaͤrme, weil es alsdenn mit dieſem gleichen Reiz hat (d). Es bekom- men aber auch in der menſchlichen Frucht die Gedaͤrme viel ſpaͤter ihre reizbare Natur, welche hingegen in dem Herzen zuerſt entſtehet. Es ſtimmet auch keinesweges mit der unveraͤnderlichen Beſtaͤndigkeit der Natur uͤber- ein, daß das Herz bei kalten Thieren eine groͤſſere Kraft haben, und es bei denen, die warmes Blut haben, nicht eben ſo beſchaffen ſeyn ſolte. Jn Anſehung derer uͤbri- gen Muskeln iſt die Sache auſſer allem Streite, indem dieſelben zwar eine Zeitlang, nach der voͤlligen Zer- ſtoͤrung derer Sinne und der willkuͤhrlichen Bewegung, noch zukken (e), im uͤbrigen aber ſchon lange Zeit uͤber ganz kalt, und bei allen Reizzungen unempfindlich ſind, wenn indeſſen das Herz entweder noch forfaͤhrt zu klopfen, oder doch wenigſtens ſeine verlohrne Bewegung nach der Reizzung wieder bekommt. Es befindet ſich unter dieſen Muskeln auch das Zwerchfell mit, welches aber noch ei- ne laͤnger daurende Bewegbarkeit beſizzet (f). Da nun alle Muskeln eben ſo, wie das Herz, ihre Nerven bekommen, die an ihnen noch deutlicher und zahl- reicher zu ſehen ſind, ſo folget, daß die Muskeln das Herz uͤberleben muͤſten, woferne die Bewegung dererſel- ben blos von der Nervenkraft herruͤhrte. Weil aber hingegen die uͤbrigen Muskeln das Herz nicht uͤberleben, ſo erhellet daraus, daß im Herzen eine andere Urſache der Bewegung muͤſſe vorhanden ſeyn. §. 4. Die verſchiedenen Reizze, wodurch das Herz wie- der zum Leben gebracht wird. Man wird mir hoffentlich erlauben, daß ich hier noch einige nicht ganz unnuͤzze Verſuche, wegen der reiz- zenden (d) Exp. 473. 479. 480. (e) Am angef. Ort, Abſchn. 9. (f) Exp. 230. 239. 240.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 892. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/948>, abgerufen am 28.03.2024.