Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762.

Bild:
<< vorherige Seite
Siebendes Buch. Die Ursachen
§. 31.
Worinnen die Anziehungskraft der gleicharti-
gen Theile wiederlegt wird.

So annemlich als sich die Einfalt von dergleichen
Hipotesen bei Gelerten zu machen gewust, so wenig
stimmen doch solche mit dem Baue der Dinge selbst
überein. Es verstatten nämlich alle gegenseitige Ver-
suche nicht, daß man einen ursprünglichen Saft, wo-
mit ein jeder Theil eines thierischen Körpers von je
her getränkt seyn soll, und welcher in erwachsnen Thie-
re beständig fortfaren soll, durch eben diesen Abson-
drungsdurchseiher hindurch zu flissen, annehmen könne.
Werden wir also zeigen, daß es keinen dergleichen fort-
wärenden Saft gebe, so ist zugleich dadurch der er-
stere Theil der Hipotese über den Haufen geworfen.

Es sind also die Säfte in der Frucht von denjeni-
gen Säften eines erwachsenen Menschen, denen wir
eben denselben Namen geben, und die in einerlei Werk-
zeuge abgeschieden werden, überhaupt verschieden. Jn
einer sich bildenden Frucht ist alles sanft, weich, ei-
weisartig, ohne Geschmak, ohne Farbe. So ist die
Galle aus der Gallenblase (s), in einem bebrüteten
Hünchen, und eben so in der Frucht der Vierfüßigen,
und so gar in der menschlichen Frucht, weder gelb,
noch grün, noch scharf, oder bitter, und es nimmt
die Stelle derselben, selbst in der Gallenblase, im Hün-
chen ein helles Flieswasser, in der menschlichen Frucht (t)
ein roter Leim ein, welcher sich zu Fäden ziehen lässet
und geschmaklos ist, ein. So ist, denn ich bin es
dem Ansehn solcher berümter Männer in der That schul-
dig, daß ich ihre Gründe mit einer mehr, als gemei-

nen
(s) [Spaltenumbruch] Memoir. sur la formation
du poulet T. II.
S. 192.
(t) [Spaltenumbruch] viridet du bon chyle. n.
254.
Siebendes Buch. Die Urſachen
§. 31.
Worinnen die Anziehungskraft der gleicharti-
gen Theile wiederlegt wird.

So annemlich als ſich die Einfalt von dergleichen
Hipoteſen bei Gelerten zu machen gewuſt, ſo wenig
ſtimmen doch ſolche mit dem Baue der Dinge ſelbſt
uͤberein. Es verſtatten naͤmlich alle gegenſeitige Ver-
ſuche nicht, daß man einen urſpruͤnglichen Saft, wo-
mit ein jeder Theil eines thieriſchen Koͤrpers von je
her getraͤnkt ſeyn ſoll, und welcher in erwachſnen Thie-
re beſtaͤndig fortfaren ſoll, durch eben dieſen Abſon-
drungsdurchſeiher hindurch zu fliſſen, annehmen koͤnne.
Werden wir alſo zeigen, daß es keinen dergleichen fort-
waͤrenden Saft gebe, ſo iſt zugleich dadurch der er-
ſtere Theil der Hipoteſe uͤber den Haufen geworfen.

Es ſind alſo die Saͤfte in der Frucht von denjeni-
gen Saͤften eines erwachſenen Menſchen, denen wir
eben denſelben Namen geben, und die in einerlei Werk-
zeuge abgeſchieden werden, uͤberhaupt verſchieden. Jn
einer ſich bildenden Frucht iſt alles ſanft, weich, ei-
weisartig, ohne Geſchmak, ohne Farbe. So iſt die
Galle aus der Gallenblaſe (s), in einem bebruͤteten
Huͤnchen, und eben ſo in der Frucht der Vierfuͤßigen,
und ſo gar in der menſchlichen Frucht, weder gelb,
noch gruͤn, noch ſcharf, oder bitter, und es nimmt
die Stelle derſelben, ſelbſt in der Gallenblaſe, im Huͤn-
chen ein helles Flieswaſſer, in der menſchlichen Frucht (t)
ein roter Leim ein, welcher ſich zu Faͤden ziehen laͤſſet
und geſchmaklos iſt, ein. So iſt, denn ich bin es
dem Anſehn ſolcher beruͤmter Maͤnner in der That ſchul-
dig, daß ich ihre Gruͤnde mit einer mehr, als gemei-

nen
(s) [Spaltenumbruch] Memoir. ſur la formation
du poulet T. II.
S. 192.
(t) [Spaltenumbruch] viridet du bon chyle. n.
254.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0794" n="774"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Siebendes Buch. Die Ur&#x017F;achen</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 31.<lb/>
Worinnen die Anziehungskraft der gleicharti-<lb/>
gen Theile wiederlegt wird.</head><lb/>
            <p>So annemlich als &#x017F;ich die Einfalt von dergleichen<lb/>
Hipote&#x017F;en bei Gelerten zu machen gewu&#x017F;t, &#x017F;o wenig<lb/>
&#x017F;timmen doch &#x017F;olche mit dem Baue der Dinge &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;berein. Es ver&#x017F;tatten na&#x0364;mlich alle gegen&#x017F;eitige Ver-<lb/>
&#x017F;uche nicht, daß man einen ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Saft, wo-<lb/>
mit ein jeder Theil eines thieri&#x017F;chen Ko&#x0364;rpers von je<lb/>
her getra&#x0364;nkt &#x017F;eyn &#x017F;oll, und welcher in erwach&#x017F;nen Thie-<lb/>
re be&#x017F;ta&#x0364;ndig fortfaren &#x017F;oll, durch eben die&#x017F;en Ab&#x017F;on-<lb/>
drungsdurch&#x017F;eiher hindurch zu fli&#x017F;&#x017F;en, annehmen ko&#x0364;nne.<lb/>
Werden wir al&#x017F;o zeigen, daß es keinen dergleichen fort-<lb/>
wa&#x0364;renden Saft gebe, &#x017F;o i&#x017F;t zugleich dadurch der er-<lb/>
&#x017F;tere Theil der Hipote&#x017F;e u&#x0364;ber den Haufen geworfen.</p><lb/>
            <p>Es &#x017F;ind al&#x017F;o die Sa&#x0364;fte in der Frucht von denjeni-<lb/>
gen Sa&#x0364;ften eines erwach&#x017F;enen Men&#x017F;chen, denen wir<lb/>
eben den&#x017F;elben Namen geben, und die in einerlei Werk-<lb/>
zeuge abge&#x017F;chieden werden, u&#x0364;berhaupt ver&#x017F;chieden. Jn<lb/>
einer &#x017F;ich bildenden Frucht i&#x017F;t alles &#x017F;anft, weich, ei-<lb/>
weisartig, ohne Ge&#x017F;chmak, ohne Farbe. So i&#x017F;t die<lb/>
Galle aus der Gallenbla&#x017F;e <note place="foot" n="(s)"><cb/><hi rendition="#aq">Memoir. &#x017F;ur la formation<lb/>
du poulet T. II.</hi> S. 192.</note>, in einem bebru&#x0364;teten<lb/>
Hu&#x0364;nchen, und eben &#x017F;o in der Frucht der Vierfu&#x0364;ßigen,<lb/>
und &#x017F;o gar in der men&#x017F;chlichen Frucht, weder gelb,<lb/>
noch gru&#x0364;n, noch &#x017F;charf, oder bitter, und es nimmt<lb/>
die Stelle der&#x017F;elben, &#x017F;elb&#x017F;t in der Gallenbla&#x017F;e, im Hu&#x0364;n-<lb/>
chen ein helles Flieswa&#x017F;&#x017F;er, in der men&#x017F;chlichen Frucht <note place="foot" n="(t)"><cb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">viridet</hi> du bon chyle. n.</hi><lb/>
254.</note><lb/>
ein roter Leim ein, welcher &#x017F;ich zu Fa&#x0364;den ziehen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et<lb/>
und ge&#x017F;chmaklos i&#x017F;t, ein. So i&#x017F;t, denn ich bin es<lb/>
dem An&#x017F;ehn &#x017F;olcher beru&#x0364;mter Ma&#x0364;nner in der That &#x017F;chul-<lb/>
dig, daß ich ihre Gru&#x0364;nde mit einer mehr, als gemei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[774/0794] Siebendes Buch. Die Urſachen §. 31. Worinnen die Anziehungskraft der gleicharti- gen Theile wiederlegt wird. So annemlich als ſich die Einfalt von dergleichen Hipoteſen bei Gelerten zu machen gewuſt, ſo wenig ſtimmen doch ſolche mit dem Baue der Dinge ſelbſt uͤberein. Es verſtatten naͤmlich alle gegenſeitige Ver- ſuche nicht, daß man einen urſpruͤnglichen Saft, wo- mit ein jeder Theil eines thieriſchen Koͤrpers von je her getraͤnkt ſeyn ſoll, und welcher in erwachſnen Thie- re beſtaͤndig fortfaren ſoll, durch eben dieſen Abſon- drungsdurchſeiher hindurch zu fliſſen, annehmen koͤnne. Werden wir alſo zeigen, daß es keinen dergleichen fort- waͤrenden Saft gebe, ſo iſt zugleich dadurch der er- ſtere Theil der Hipoteſe uͤber den Haufen geworfen. Es ſind alſo die Saͤfte in der Frucht von denjeni- gen Saͤften eines erwachſenen Menſchen, denen wir eben denſelben Namen geben, und die in einerlei Werk- zeuge abgeſchieden werden, uͤberhaupt verſchieden. Jn einer ſich bildenden Frucht iſt alles ſanft, weich, ei- weisartig, ohne Geſchmak, ohne Farbe. So iſt die Galle aus der Gallenblaſe (s), in einem bebruͤteten Huͤnchen, und eben ſo in der Frucht der Vierfuͤßigen, und ſo gar in der menſchlichen Frucht, weder gelb, noch gruͤn, noch ſcharf, oder bitter, und es nimmt die Stelle derſelben, ſelbſt in der Gallenblaſe, im Huͤn- chen ein helles Flieswaſſer, in der menſchlichen Frucht (t) ein roter Leim ein, welcher ſich zu Faͤden ziehen laͤſſet und geſchmaklos iſt, ein. So iſt, denn ich bin es dem Anſehn ſolcher beruͤmter Maͤnner in der That ſchul- dig, daß ich ihre Gruͤnde mit einer mehr, als gemei- nen (s) Memoir. ſur la formation du poulet T. II. S. 192. (t) viridet du bon chyle. n. 254.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/794
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 774. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/794>, abgerufen am 16.04.2024.