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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768.

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VIII. Abschnitt. Die Muthmassungen.
geister herbei geführt werden; so kann man mit Grunde
fragen, wo diese endlich alle bleiben werden.

Sie haben nämlich keine bekannte Blutadern,
welche ihren Saft wieder ins Gehirn zurücke brächten, und
es scheinen die Nerven Schlagadern ohne Blutadern ähn-
lich zu sein, welche beständig empfangen und nichts wie-
der geben.

Es ist dieses in der That eine schwere Frage, nicht
nur, weil es uns an Erfahrungen mangelt, sondern auch
wegen der Schwierigkeit bei eben diesen Erscheinungen.
Es scheinen die Lebensgeister, vom Gehirne zu den Fleisch-
fasern mit der allergrösten Geschwindigkeit zu eilen, wenn
sie dieselbige zur Bewegung erwecken. Es hört aber
diese so grosse Bewegung plötzlich auf. Wenn nun in
der verkürtzten Faser noch Geister übrig sind, warum
hören sie zu wirken und zu reitzen auf? sind sie ver-
schwunden, wohin haben sie sich so geschwinde verlohren?
und warum haben sie dieses nicht kurz zuvor gethan?
was vor neue Wege sind entstanden, durch welche nun-
mehr die Geister aus der Faser verschwinden, und welche
in einem einzigen Augenblicke vorher noch verschlossen
waren, indem diese Geister kurz zuvor mit grossem Nach-
drucke in die Faser wirkten. Und doch kann man zeigen,
daß sich Geister verliehren lassen, weil wir von der An-
strengung der Muskeln ermüdet werden, und nicht bloß
Schmerzen empfinden, sondern gänzlich von denienigen
Kräften kommen, welche gewisse Muskeln ausüben müs-
sen, wie man an einer langen Reise und zu Fuße ein
Exempel hat. Jndessen wird die Erstattung dieser Gei-
ster durch die Ruhe, doch aber nicht durch diese allein, son-
dern noch viel geschwinder durch geistige Getränke und
Speisen verrichtet.

Es haben längst berümte Phisiologisten vor uns der-
gleichen Wege angewiesen, als wir auf der Strasse des

Blut-

VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen.
geiſter herbei gefuͤhrt werden; ſo kann man mit Grunde
fragen, wo dieſe endlich alle bleiben werden.

Sie haben naͤmlich keine bekannte Blutadern,
welche ihren Saft wieder ins Gehirn zuruͤcke braͤchten, und
es ſcheinen die Nerven Schlagadern ohne Blutadern aͤhn-
lich zu ſein, welche beſtaͤndig empfangen und nichts wie-
der geben.

Es iſt dieſes in der That eine ſchwere Frage, nicht
nur, weil es uns an Erfahrungen mangelt, ſondern auch
wegen der Schwierigkeit bei eben dieſen Erſcheinungen.
Es ſcheinen die Lebensgeiſter, vom Gehirne zu den Fleiſch-
faſern mit der allergroͤſten Geſchwindigkeit zu eilen, wenn
ſie dieſelbige zur Bewegung erwecken. Es hoͤrt aber
dieſe ſo groſſe Bewegung ploͤtzlich auf. Wenn nun in
der verkuͤrtzten Faſer noch Geiſter uͤbrig ſind, warum
hoͤren ſie zu wirken und zu reitzen auf? ſind ſie ver-
ſchwunden, wohin haben ſie ſich ſo geſchwinde verlohren?
und warum haben ſie dieſes nicht kurz zuvor gethan?
was vor neue Wege ſind entſtanden, durch welche nun-
mehr die Geiſter aus der Faſer verſchwinden, und welche
in einem einzigen Augenblicke vorher noch verſchloſſen
waren, indem dieſe Geiſter kurz zuvor mit groſſem Nach-
drucke in die Faſer wirkten. Und doch kann man zeigen,
daß ſich Geiſter verliehren laſſen, weil wir von der An-
ſtrengung der Muskeln ermuͤdet werden, und nicht bloß
Schmerzen empfinden, ſondern gaͤnzlich von denienigen
Kraͤften kommen, welche gewiſſe Muskeln ausuͤben muͤſ-
ſen, wie man an einer langen Reiſe und zu Fuße ein
Exempel hat. Jndeſſen wird die Erſtattung dieſer Gei-
ſter durch die Ruhe, doch aber nicht durch dieſe allein, ſon-
dern noch viel geſchwinder durch geiſtige Getraͤnke und
Speiſen verrichtet.

Es haben laͤngſt beruͤmte Phiſiologiſten vor uns der-
gleichen Wege angewieſen, als wir auf der Straſſe des

Blut-
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[635/0671] VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen. geiſter herbei gefuͤhrt werden; ſo kann man mit Grunde fragen, wo dieſe endlich alle bleiben werden. Sie haben naͤmlich keine bekannte Blutadern, welche ihren Saft wieder ins Gehirn zuruͤcke braͤchten, und es ſcheinen die Nerven Schlagadern ohne Blutadern aͤhn- lich zu ſein, welche beſtaͤndig empfangen und nichts wie- der geben. Es iſt dieſes in der That eine ſchwere Frage, nicht nur, weil es uns an Erfahrungen mangelt, ſondern auch wegen der Schwierigkeit bei eben dieſen Erſcheinungen. Es ſcheinen die Lebensgeiſter, vom Gehirne zu den Fleiſch- faſern mit der allergroͤſten Geſchwindigkeit zu eilen, wenn ſie dieſelbige zur Bewegung erwecken. Es hoͤrt aber dieſe ſo groſſe Bewegung ploͤtzlich auf. Wenn nun in der verkuͤrtzten Faſer noch Geiſter uͤbrig ſind, warum hoͤren ſie zu wirken und zu reitzen auf? ſind ſie ver- ſchwunden, wohin haben ſie ſich ſo geſchwinde verlohren? und warum haben ſie dieſes nicht kurz zuvor gethan? was vor neue Wege ſind entſtanden, durch welche nun- mehr die Geiſter aus der Faſer verſchwinden, und welche in einem einzigen Augenblicke vorher noch verſchloſſen waren, indem dieſe Geiſter kurz zuvor mit groſſem Nach- drucke in die Faſer wirkten. Und doch kann man zeigen, daß ſich Geiſter verliehren laſſen, weil wir von der An- ſtrengung der Muskeln ermuͤdet werden, und nicht bloß Schmerzen empfinden, ſondern gaͤnzlich von denienigen Kraͤften kommen, welche gewiſſe Muskeln ausuͤben muͤſ- ſen, wie man an einer langen Reiſe und zu Fuße ein Exempel hat. Jndeſſen wird die Erſtattung dieſer Gei- ſter durch die Ruhe, doch aber nicht durch dieſe allein, ſon- dern noch viel geſchwinder durch geiſtige Getraͤnke und Speiſen verrichtet. Es haben laͤngſt beruͤmte Phiſiologiſten vor uns der- gleichen Wege angewieſen, als wir auf der Straſſe des Blut-

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/671>, abgerufen am 25.04.2024.